30 Jahre Sektenjagd in Absurdistan: Thomas Gandow

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Abgesehen von seiner Heiligkeit Papst Benedikt in dessen früherer Funktion ist Thomas Gandow seit drei Jahrzehnten der bekannteste deutsche „Linienrichter“ des christlichen Glaubens. Seit der napoleonischen Ära kann dieser Berufsstand nirgendwo mehr Scheiterhaufen errichten. Doch nach wie vor darf sich als öffentlich verbrannt betrachten, wer hierzulande das gefürchtete Etikett "Sekte" angeheftet bekommt. Für die einen ist diese Machtfülle das kleinere Übel gegenüber dem Sektenunwesen selbst. Andere sehen in ihr einen unkontrollierbaren rechtsfreien Raum, in dem unbescholtene Existenzen vernichtet werden.

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Dreieinig für Recht und Freiheit: Die Sektenbeauftragten von Oldenburg, Bayern und Berlin-Brandenburg Rainer Schumann, Wolfgang Behnk und Thomas Gandow. Behnk verdanken wir das BVG-Urteil vom 9. Juni 1994, wonach Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften nicht beanspruchen können, „in einem kritikfreien Raum wirken zu dürfen“.

Zu letzteren gehört der Gandows Amtsbruder und Kritiker Prof. Gerhard Besier, der den Beweis dafür selbst lieferte. Der Dresdner Totalitarismusforscher hatte 2003 in Brüssel gewagt, die schon 1996 im Jaschke-Gutachten als „totalitäre Organisation" eingestufte Scientology Church als Vorkämpferin für Freiheit und Toleranz zu bezeichnen: „Die Scientology Kirche steht in der ersten Reihe derjenigen, die für die Akzeptanz von religiösem Pluralismus kämpfen“. Der ehemalige "Wunschkandidat der CDU" (Kocka), verlor daraufhin seinen politischen Rückhalt und die Leitung des Hannah Arendt Institutes samt Lehrstuhl. So wurde Stasijäger Besier, der einst Karl Barth die Zusammenarbeit mit dem totalitären SED-Regime aus linkspolitischer Motivation vorgeworfen hatte, zum Landtagskandidaten der sächsischen Linken.

Zu seinem dreißigjährigen Dienstjubliäum ließ es sich Thomas Gandow nicht nehmen, diesen Triumph über seinen einst renommiertesten Kritiker auszukosten. In der Materialmappe für den dreitägigen Kongress vom 7. bis zum 9. Juli lag neben Grußworten aus dem Bundeskanzleramt, der Päpstlichen Universität Gregoriana oder von Norbert Blüm auch die Brüsseler Scientology-Rede des nach links abgewanderten Konservativen.

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Prof. Dr. Stephen Kent von der Universität Alberta, Hauptreferent des dreitägigen-Kongresses, sieht das Ende von Sekten wie Scientology nahe herbeigekommen. Grund: Das Internet. Das web 2.0 lässt sich weder mit law-suites totprozessieren, noch durch Verunglimpfungs-Gegenschläge unglaubwürdig machen.

Angefangen hatte alles im Februar 1978 mit der Selbstverbrennung zweier Ananda Marga Jünger vor der Gedächtniskirche, darunter der Pfarrerssohn Helmut K.. Noch im selben Monat setzte die evangelische Kirche in Westberlin setzte eine Arbeitsgruppe ein, die klären sollte, ob und wie sie auf die Ausbreitung neureligiöser Bewegungen in der geteilten Stadt reagieren sollte. In einem Aufsatz entwickelte der Hilfsprediger Thomas Gandow damals das Konzept der "gemeindebezogenen Apologetik", das auch dem heutigen "Handbuch religiöse Gemeinschaften" zugrunde liegt, das die Vereinigte Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland (VELDK) alle fünf Jahre neu auflegt.

Die gemeindebezogene Apologetik geht davon aus, dass das Ziel von Sekten und Ideologen die Köpfe der Gemeindeglieder sind. Demzufolge ist die wichtigste Aufgabe eines Sektenbeauftragten deren Aufklärung und Betreuung, also Recherche und Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und begleitende Seelsorge an Betroffenen, Angehörigen und Aussteigern.

Diesem Ansatz verdanken das Büro Berliner Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten und das Dialogzentrum auch ihren Sitz in der "Heimat" in Zehlendorf. Dort hatten Anhänger der Moon-Sekte Ende der 70er einen Gemüseladen eröffnet. Wie Gandow herausfand, hatte Mun Sun-Myung („Reverend Moon“) in einer seiner „Offenbarungsreden“ erklärt, dass man mit einem Auslieferungsservice an die Menschen in den Stadtvierteln am einfachsten herankommen könne. Jetzt wurde klar, warum dort Kinder beim Gemüseholen immer nach ihren Eltern befragt wurden.

Ob seine Prognose von 1990 gestimmt hat, dass sich Sekten von da an verstärkt im Osten Deutschlands niederlassen würden, ist umstritten. Die Seelen eingefleischter Atheisten scheinen zwar sektenresistent zu sein, aber eben deshalb ist dort die Angst vor ihnen auch geringer und das Territorium der neuen Bundesländer zumindest als Siedlungsgebiet für Sekten hervorragend geeignet.

Innerkirchlich hat man inzwischen erkannt, dass die eigene Dezimierung weniger durch Sekten droht, als durch den Atheismus. Deshalb gibt es inzwischen Tendenzen, mit Sekten eher zusammenarbeiten zu wollen. Mit einigen zumindest. Was für Gandow die eine oder andere innerkirchliche Auseinandersetzung nach sich zog. Es gab Bestrebungen, seine Tätigkeit zu befristen oder zu einer Stabsstelle beim Bischof zu degradieren.

All das konnte der Sektenbeauftragte der Ev. Kirche von Berlin-Brandenburg schlesische Oberlausitz bislang erfolgreich verhindern. Was ihm jedoch nicht erspart blieb, war die Entdeckung des Balkens im Auge der eigenen Institution. Intransparenter Umgang mit Finanzen, Seilschaften, Machtzirkel, demokratiefeindliche Strukturen - jahrzehntelang hatte er das Sekten vorgeworfen, nun wurde er in seiner Volkskirche mit denselben Machenschaften konfrontiert. Nur gut, dass sein bayerischer Kollege Wolfgang Behnk schon 1994 vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten hat, dass Religionsgemeinschaften nicht beanspruchen können, in einem „kritikfreien Raum“ wirken zu dürfen. Mag damals auch eine Sekte gemeint gewesen sein, kann nun die Entscheidung auch auf ehemalige Staatskirchen angewandt werden.

Fotos: E. Trenkel (Sektenbeauftragter von Kurhessen-Waldeck)

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Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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