Creative Heads: Ein Schmuddelwort sucht seine Seele(n)

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Kurz vor der Jahrtausendwende erschien Hermann Vaskes „Why are You creative?“. Zweiundsiebzig weltbekannte kreative Köpfe hatte er vor laufender Kamera befragt, daraus ein Buch gemacht und schließlich das ganze auch noch als Doku-Serie an Arte verkauft. Auf der diesjährigen Berlinale startete er jetzt den Gegenversuch: Gemeinsam mit dem Google-Konzern und einer Jury aus weltweit führenden Kreativ-Direktoren sucht Vaske den neuen Superstar der Kreativität, dessen schlummerndes Talent irgendwo unter 300 Mio YouTube-Nutzern vermutet wird und durch die Frage geweckt werden soll: „Was bedeutet Kreativität für Dich?“.

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Bai Ling weckt auf YouTube nicht den Drachen, sondern Dein kreatives Talent. 2008 drehte Hermann Vaske mit ihr den ZDF-Spot und „Olympia von A-Z“.

Antworten können bis zum 24. Mai bei YouTube auf dem Creative Heads Channel hochgeladen werden als maximal 10minütige Videos, aus denen dann Vaske wieder einen Film produziert, der am 26. Juni in Cannes Premiere hat.

Fußballfreunde könnte das daran erinnern, wie Vaske sie mit einer ähnlichen Kollage schon anlässlich der WM 2006 begeistern konnte. In „The Art of Football“ kombinierte er Interviews mit Choryphäen wie Beckenbauer, Pelè, Kissinger oder Dave Stewart mit Amateur-Clips von YouTube-Usern. Diesmal sollen die YouTuber aber nicht nur Content liefern, sondern auch mitentscheiden, welcher Beitrag „prominent“ in Vaskes Film vertreten sein soll. Die Juroren treffen lediglich die Vorauswahl der 25 kreativsten, und vom 29. Mai an dürfen die YouTube-User selbst durch Voten bestimmen, wer am Ende des 9. Juni die Reise nach Cannes gewinnt.

Das ganze erinnert auch irgendwie an beliebte Castingshow-Formate, bei denen die Musikindustrie quasi per Schnellselektion frische Stimmen und Gesichter bekommt und deren Publikum gleich mit dazu. Nach diesem Prinzip könnte hier die Kreativ- oder Werbebranche im Eil-Verfahren neue Köpfe suchen oder – noch schlimmer – vor allem neue Ideen.

„Wer schützt dabei mein geistiges Eigentum“ , wollte deshalb eine bekannte Schauspielerin und Regisseurin bei der gestrigen Präsentation im Ritz-Carlton wissen. Sie selbst war vor ein paar Jahren in die engere Wahl gekommen, als die weltweit zweitgrößte Fernsehproduktionsgesellschaft für Deutschland einen neuen Geschäftsführer suchte und Interessenten aus der gesamten Medienbranche mit einer halben Million Euro Jahresgehalt köderte. Beim Wettbewerb um den Posten musste man kreative Ideen für innovative Sendekonzepte einreichen. Von den 20 in der Schlussauswahl wurde am Ende keiner genommen - wohl aber deren Ideen.

Doch Regeln zum Schutz der Kreativität laufen immer Gefahr, sie zu ersticken. Creative-Heads-Botschafterin Jana Pallaske (die Babette aus Inglorious Basterds) sagt, sie sei „tired of burocracy killing my creativity“. YouTuber denken dabei unweigerlich an die vielen von Google tonlos gemachten Videos, in denen offenbar keine lizenzfreie Musik verwendet wurde. Wenn aber schon die daran Verdienenden geistiges Eigentum nicht achten, wie kann das von Amateuren verlangt werden? Wenn sie Pech haben, stehen sie mit einem Bein im Gefängnis oder am Rande des finanziellen Ruins.

Bei diesem Wettbewerb soll das anders werden, versichert Google-Sprecher Kay Oberbeck. Was online gestellt wird, wird von der Jury vorab auch überprüft, ob Urheber- oder Persönlichkeitsrechte verletzt worden sein könnten, was ggf. in engem Kontakt mit den Einreichern geklärt wird. Außerdem will YouTube über eine verbesserte Anleitung der User in diesen Dingen nachdenken. Schließlich ist der Google-Konzern weltweit zu einer nicht nur virtuellen Institution geworden, die gerade mehr und mehr ihre gesellschaftliche und politische Verantwortung zu erkennen beginnt.

Die Skepsis, worum es eigentlich geht, gilt deshalb eher den Branchenführern unter den kreativen Köpfen, die Hermann Vaske in der Jury versammelt hat. Als vor zehn Jahren sein Buch erschien, glaubte Spiegel-Rezensentin Constanze Semidei, es sei der Versuch, auf unterhaltsame Art dem inflationären Missbrauch der Kreativität durch die Werbebranche eine ehrliche Suche entgegenzusetzen, „ein Versuch, dem schmuddeligen Wort wieder eine Seele einzuhauchen.“ Doch kann das gelingen, solange der Kommerz-Dämon ihren Leib mitbewohnt?

Bei Vaskes Art Director Kollegen scheint es geradezu Prinzip zu sein, dass neben ihrer Karriere-Seele auch die rebellische Underground-Kreativität in derselben Brust zu finden ist, weshalb sie offenbar unterschiedslos Kampagnen sowohl für Naturschützer wie „Friends of the Earth“, als auch für Gemeinwohlparasiten wie P.P.P. („Private Public Partnership“) machen können – als könnte schöpferisch sein, was die Schöpfung zerstört.

Letzte Zweifel müssen deshalb erlaubt sein, ob mit der Vaske-Methode gelingen kann, die wahre Bedeutung von Kreativität je zu entschlüsseln.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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