Die Bundeshauptstadt erlebt in dieser Woche einen wahlkämpferischen Endspurt, der für eine Volksabstimmung ungewöhnlich intensiv ist. Tagtäglich mehrere Veranstaltungen, manche mit klarer Tendenz, andere ausgewogen. Fast überall ist eine heftige Polarisierung zu spüren. Für viele Berlinerinnen und Berliner scheint es nicht um die Frage der Abstimmung zu gehen, sondern um die Überflüssigkeit entweder der Religion oder des Rotroten Senats. Wofür oder wogegen man ist – das legen erste Umfragen nahe – scheint vor allem vom Wohnbezirk abzuhängen.
Die neue Mauer in den Berliner Köpfen wollte Bettina Jarasch, Mitglied im Landesvorstand der Berliner Bündnisgrünen und engagierte Katholikin, mit einem Kommunikationstrick zum Einsturz bringen. Für die gestrige Diskussion im Kreuzberger Statthaus Böcklerpark stellte die langjährige Referentin von Renate Künast ein Podium zusammen, das mehr verantwortliche Kompetenz als für zündende Polemik steht, und moderierte es dann so geschickt, dass der vielbeschworene „Kulturkampf“ an diesem Abend Hausverbot hatte.
Unter dem Motto „Gemeinsam für gemeinsame Werte – Für einen Dialog über den Abstimmungstag hinaus“ ging Manfred Zimmermann, Architekt des umstrittenen Faches Ethik in der Senatsverwaltung, gemeinsam mit einem Vertreter von Dvrim Deniz Nacar, die die Alevitische Gemeinde Berlin im Bündnis ProEthik repräsentiert, auf die ProReli-Unterstützer zu, die in der Runde durch Imam Bekir Alboga aus Mannheim, Referatsleiter für interreligiöse Zusammenarbeit bei Ditib, und durch Pater Klaus Mertes vom Berliner Canisius-Kolleg vertreten waren.
Bettinas Kunstgriff war, aus der Alternativfrage der Strukturdebatte heraus- und in eine „Qualtitätsdebatte“ hineinzuführen „sowohl über den Religionsunterricht, als auch über den Ethikunterricht“, wie es schon in der Einladung hieß. Dabei gab es zwei echte Überraschungen: Jede Seite konnte der anderen verdeutlichen, warum ihr Konzept gut gedacht ist, und gleichzeitig eingestehen, warum er leider schlecht gemacht ist.
Als Macher des Rahmenlehrplans für Ethik gab Manfred Zimmermann freimütig zu, dass dieses Pflichtfach für die Klassen 7-10 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion eingeführt und mit heißer Nadel gestrickt wurde, ohne dafür Haushaltsmittel oder qualifiziertes Lehrpersonal zur Verfügung zu haben. Dasselbe Dilemma würde sich aber erneut ergeben, wenn bei Erfolg des Volksbegehrens statt dessen mehrere Wahlpflichtfächer für Klasse 1-12 einzuführen sind.
Unstreitig war ebenso, dass die Einführung von Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach dessen Qualität durch staatliche Kontrolle ganz erheblich verbessern könnte. Im Rahmen der bisherigen Freiwilligkeit können kirchliche Pädagoginnen und muslimische Imame dort im Grunde tun und lehren, was sie wollten.
Bei der Frage nach den Zielen und Maßstäben beider Fächer wurde man an diesem Abend Zeuge, wie sich die härtesten Vorwürfe als Vorurteile entpuppen und in Sympathien für das Anliegen der anderen Seite verwandeln können:
„In Ethik vermittelt der Staat Werte, was er nicht darf“
Falsch! Was in Berlin in Ethik vermittelt werden soll, sind nicht ethische Werte an sich, sondern die Fähigkeit, über sie zu sprechen, einen ethischen Diskurs zu führen. Die Theoretiker des Faches werden nicht müde, zu betonen, dass es sie keinen festen Wertekanon vorgeben. „Anders als Religion und Recht kennt Ethik keinen exklusiven Standpunkt, auch nicht den der Menschenrechte und des Grundgesetzes“, schreibt Jakob A. Bertzbach, der die Ethiklehrerinnen und –lehrer an der FU für das neue Fach ausbildet. Werte an sich brauchen jemanden, der sie im Sinne der Habermaßschen „Reflexions-Stopps“ autoritativ definiert – wie Gott in der Religion oder der Staat im Recht. Ethik als philosophische, theologische oder schulische Disziplin braucht und fördert dagegen nur den Denker, der solche Vorgaben kritisch prüft und bewertet.
„In Religion wird Glaube benotet, das kann kein ordentliches Lehrfach sein“
Falsch! Wo Religion ordentliches Lehrfach ist, geht es genauso um die Fähigkeit der kritischen Auseinandersetzung mit ihren Werten und Vorgaben. Nur der Stoff, an dem das geübt wird, ist um die Überlieferungen herum zentriert. Da liegt der Unterschied. Aber Meinungszensuren soll es genauso wenig geben wie in Deutschaufsätzen, wo vielmehr geprüft wird, ob sich jemand auf ein Thema einlassen und es schlüssig darstellen oder sauber argumentieren kann – sei es pro, sei es kontra. Imam Alboga konnte sogar berichten, dass junge Muslime aus seiner Mannheimer Gemeinde, die an der Schule statt Ethik evangelische Religion gewählt hatten, dort regelmäßig die Bestnote 1 erzielten. Selbst Irma Franke-Dressler, die Berliner Landesvorsitzende der Bündnisgrünen, gab an dieser Stelle zu, sich hinsichtlich der Lernziele des Religionsunterrichts geirrt zu haben und dankte den Anwesenden für die Aufklärung.
„In Ethik müssen Lehrer über Religionen unterrichten, ohne dafür ausgebildet zu sein“
Wieder falsch! Sie werden dafür zwar tatsächlich nicht ausgebildet, aber eine solche Wissensvermittlung über Religion(en) ist im Lehrplan auch nicht vorgesehen. Da unterscheidet sich Ethik in Berlin noch einmal deutlich von anderen Bundesländern. Die Themen des Rahmenlehrplans sind ausschließlich lebenspraktische Fragen, die aus sämtlichen Religions- und Ethiklehrplänen aller Bundesländer quasi als gemeinsamer Nenner herausdestilliert wurden.
Von der sonst heftigen Kritik beider Seiten blieb nach der überraschenden Aufklärungen dieser Vorwürfe nicht mehr viel übrig. Selbst die anfangs geäußerte Befürchtung, den Kindern solle in Ethik ein Dialog abverlangt werden, von dem wir Erwachsenen gerade beweisen, dass wir ihn nicht hinbekommen, war widerlegt worden. Der Bär war aus dem Kreidekreis herausgetanzt. Ein gelungener Auftakt zur Überwindung der neuen Mauer. Und hoffentlich nicht das letzte, was wir von Bettina Jarasch und den Berliner Bündnisgrünen in dieser Sache hören werden.
Kommentare 7
Hallo, ausgehend von diesen gesammelten Erkenntnissen stellt sich mir immer wieder die Frage wozu das ganze Theater? Warum den jetzigen Status verändern?
Das lässt sich wahrscheinlich nur mit der Frage beantworten "Wem nützt das?"
Und dabei habe ich persönlich ein sehr ungutes Gefühl, da die Hintermänner, sprich Geldgeber, sich nicht öffentlich zeigen.
Und Geld gab es viel. Die Naturzerstörung und Verschmutzung im Namen der Schöpfung übersteigt in Berlin jeden Bundestagswahlkampf.
Hallo nuntius, schön, dass wir wieder im Gespräch sind. Mein Beitrag beansprucht nicht, die Antwort auf Deine Frage zu geben. Und zu den Verschwörungstheorien, die da kursieren, habe ich keine konkreten Erkenntnisse. Nach meiner Kenntnis stehen hinter ProRelig und ProEthik die, die sich auch öffentlich dazu bekennen.
Zum "Theater" als solchem: Ich halte Klaus Böger für politisch dafür verantwortlich, dass wir jetzt diese Volksabstimmung haben. Er hatte 2006 zwei Entwürfe für das Schulgesetz auf dem Tisch liegen: Das sog. "Fenstermodell" und das "Forumsmodell". Beide sollten demselben Zweck dienen. Das eine wurde dann umgesetzt, das andere ist jetzt Gegenstand der Volksabstimmung.
Der Fehler, den Böger gemacht hat, war, bei der Entscheidung für das eine oder das andere die relevanten gesellschaftlichen Gruppen nicht im Vorwege anzuhören und das Gewicht ihrer Interessen angemessen abzuwägen. Jetzt kriegt der Senat dafür die Quittung im Rahmen demokratischer Plebiszit-Rechte, die wir alle mal gewollt haben.
Dass Demokratie die Schattenseite hat, dass sie immer Geld kostet, dass man bei Einigkeit oder in einer Diktatur auch gleich direkt für gute Zwecke verwendet werden könnte, trifft zu, ebenso, dass dabei Papier bedruckt und Plakate geklebt werden, wofür wiederum Bäume gefällt werden und die Umwelt belastet wird. Mir freilich ist es lieber dafür, Plakate bewegen für bürgerschaftliches Engagement - egal welchen Inhalts - als wenn immer nur für Mode und Konsumrausch plakatiert wird.
Eine so hohe Politisierung hatten wir übrigens selten in unserer Stadt. Zu den Veranstaltungen bei der Abgeordneten- und Bezirksparlamentswahl kamen 2006 weit weniger Menschen, und die Beteiligung dort war weniger rege.
Ich werte das nun gerade als echten Erfolg - schön wäre nur, wenn wir bei der Gelegenheit auch lernen, miteinander, statt nur übereinander zu reden. Wie können wir sonst erwarten, dass unsere Kinder oder Enkel das sonst in Ethik lernen?
Selbstkritischer Nachtrag:
Dass die private Initiative ProReli nicht die Namen ihrer Spender veröffentlichen muss, ist tatsächlich eine Gesetzeslücke. Wenn Du das meinst, stimme ich Dir zu, das sollte bei den Trägern von Volksentscheiden genauso transparent gemacht werden wie (inzwischen) bei Parteien.
Und Klaus Böger wollte, wie ich jetzt von einem gut informierten Kollegen erfahren habe, ursprünglich sogar lieber das ProReli-Modell einführen (wo regulär getrennt unterrichtet wird und bestimmte Einheiten in Kooperation stattfinden, statt umgekehrt). Er hat sich - als zuständiger Senator - nur leider nicht durchsetzen können, worin ein Motiv für seinen überraschenden Amtsverzicht liegen könnte. Man kann ihm daher einzig vorwerfen, dass er nicht 2006 schon vor der Wahl gesagt hat: Dann ohne mich. Die treibenden Kräfte für die jetzige Lösung waren demnach aber andere.
Da irgendwo liegt die Antwort auf Deine Warum-Frage. Einigen Christen auf beiden Seiten (ProEthik und ProReli) ist inzwischen aufgegangen, dass sich da quasi im Nachgang in eine SPD-interne Auseinandersetzung haben hineinziehen lassen.
Es geht aber auch darum, einen verbesserten Umgang mit gesellschaftlich relevanten Gruppen und Experten anzumahnen. Wenn deren Kompetenzen oder Belange durch neue Gesetzesvorhaben berührt sind, pflegt man sie mit ins Boot zu holen, und zwar im Vorwege - egal ob es um Kirchen, Gewerkschaften, Naturschützer oder sonst wen geht - dadurch erspart man sich und der Allgemeinheit hinterher unnötige Konfrontationen oder Polarisierungen.
Offensichtlich hat ja Herr Wowereit einen“ kleinen Griff“ in die Steuergeldkasse getätigt um seine Meinung zu finanzieren. Und dass dies illegal ist hat das Oberverwaltungsgericht entschieden.
www.morgenpost.de/berlin/article1079987/Gericht_stoppt_Senatskampagne_gegen_Pro_Reli.html
Möglicherweise haben ihn seine Hausjuristen schlecht beraten. Das Risiko, letztlichinstanzlich einen unzulässigen Griff in die Steuerkasse gerichtlich bescheinigt zu bekommen, würde kein Politiker bewusst eingehen. Das böte dem politischen Gegner Angriffsfläche ohne Ende.
Trotzdem geht er Wowereit das Risiko ein! Mit seinem Berühmten Satz „…und das ist Gut so.“ kann er dies wohl nicht erklären. Aus welcher so wichtigen Intention tat dies trotzdem?
Manchmal habe ich den Eindruck, ich kann mich nicht ausdrücken.