Der interreligiöse Dialog - unverzichtbar, aber unmöglich?

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Glaubt man der Politik, könnte der Dialog der Religionen für das friedliche Zusammenleben in unserem Land und auf unserem Planeten von ausschlaggebender Bedeutung sein. Bei den zahlenmäßig größten Religionen, dem Christentum und dem Islam, scheint er am wichtigsten und am schwierigsten zu sein. Wer ihn voranbringen will, muss verstehen, woran das liegt und welche Fehler vor allem auf christlicher Seite gemacht werden.

„Das Gespräch zwischen den Religionen ist für den deutschen Staat unverzichtbar“, wird Deutschlands ehemaliger Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble auf der regierungsnahen Islamseite Qantara.de zitiert. Trotz dieser hohen politischen Bedeutung leidet der Dialog jedoch seit Jahren unter Eklats, Absagen und Verwerfungen. Das Gespräch scheint unverzichtbar, zugleich aber unmöglich zu sein.

Sehr deutlich trat diese Dialogunfähigkeit bei der Verleihung des hessischen Kulturpreises 2009 zutage. Ein Jude, ein Moslem, ein katholischer und ein evangelischer Kirchenmann sollten geehrt werden, weil sie sich in den Augen der hessischen Landesregierung um den interreligiösen Dialog verdient gemacht hatten. Drei von ihnen stellten umgehend das Gegenteil unter Beweis. Zuerst wollte der Moslem den Preis nicht zusammen mit dem Juden entgegennehmen, denn der hatte sich zum Palästina-Konflikt geäußert. Daraufhin wurde ihm - dem Muslim - der Preis aberkannt und ein anderer designiert. Den trieben daraufhin die beiden Christen als preisunwürdig durchs Dorf, worauf Landesvater Roland Koch auch diesem Muslim den Preis erst einmal wieder aberkannte. Das Moslem-Bashing, in das die Preisverleihung für den interreligiösen Dialog ausgeartet war, konnte nur durch massive Stopp-Signale von Mitchristen von Karl Kardinal Lehman und Kirchenpräsident Peter Steinacker beendet werden.

Zwei Jahre zuvor hatte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) mit einer Handreichung zum Dialog enttäuschte und beleidigte Reaktionen ihrer muslimischen Gesprächs-Partner geerntet. In Klarheit und gute Nachbarschafthatte die EKD den interreligiösen Dialog als einen Sonderfall christlicher Mission definiert. Islam-Beauftragte von Landeskirchen und Kirchenkreisen hätten vor dieser Definition gewarnt – was für die EKD aber nur ein Grund war, die christlichen Gesprächspartner der Muslime an der Vorbereitung des Papiers überhaupt nicht zu beteiligen.

Die Standarderklärung für Eklats im interreligiösen Dialog ist, dass Muslime überwiegend aus diktaturgeprägten Ländern stammen und sie deshalb für einen demokratischen Dialog einfach nicht reif sein können. In diesen beiden Fällen passt sie offenbar nicht.

Der Kardinalfehler des interreligiösen Dialogs ist das Messen mit zweierlei Maß.

Selbst christliche Dialog-Experten sind gegen Fauxpas und Ressentiments nicht gefeit. Ein frappierendes Beispiel dafür ist das interreligiöse Anathema der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) gegenüber der Gülen-Bewegung. In Zeitzeichen 7/2010, kreidet Friedemann Eißler, Islam-Beauftragter der EZW und damit wichtigster Experte der EKD, der Gülen-Bewegung zwei Sätze als „besonders beunruhigende“ Aussagen an:

„Das Leben des Menschen muss im Einklang mit Gottes Geboten stehen. Wenn irgendwelche Menschen […] den Versuch unternehmen, die Autorität Gottes an sich zu reißen und eine Gesellschaftsordnung nach eigenem Gutdünken einzuführen und andere darüber hinaus zu zwingen, sich dieser unterzuordnen, dann ist genau dies die fitna, die zu bekämpfen den Muslimen aufgetragen ist.“

Jedem Studierenden der Theologie hätte auffallen müssen, dass die zitierten Sätze wörtlich von namhaften christlichen Theologen abgeschrieben sein könnten, nur dass die sich nicht an „Muslime“, sondern an Christen gewandt und zu diesen nicht von „fitna“, sondern von Sünde geredet und vor den Kampf gegen die Sünde die Erlösung von ihr für notwendig erklärt hätten. „Gottes kräftiger Anspruch an unser ganzes Leben“, der keine Bereiche ausnimmt, auch nicht den politischen (Barmen II), wird im Christentum nicht minder radikal gedacht. Leider bleibt Eißler im Zeitzeichen jede Begründung schuldig, warum diese Radikalität bei der eigenen Religion akzeptierbar, bei der anderen aber „besonders beunruhigend“ sein soll.

Wie ein Messen mit zweierlei Maß vom Gegenüber erlebt wird, hat der libysche Sozialwissenschaftler und ehemalige Politiker Georges Corm im Interview mit Qantara.de unmissverständlich klargestellt:„Solange der Westen nicht internationale Gesetze und moralische Standards einheitlich anwendet, sondern sich einmal auf ein Gesetz für den Judaismus und einmal auf eines für den Islam, das Christentum oder den Buddhismus besinnt, nehmen sich seine Dialogversuche lächerlich und höhnisch aus.“

Das kann in theologischen Fragen nicht anders sein. Experten, die wandelnde Lexika der Judaistik, Arabistik, Iranistik, Turkologie und Islamforschung sein mögen, aber nicht bemerken, wo sie unfair argumentieren und mit zweierlei Maß messen, schaden dem Dialog damit nachhaltiger, als sie ihm mit ihrem ganzen Wissen nützen können.

Die Lösung ist nicht der Euro-Islam

Unstreitig sind die lange vom Westen unterstützten Diktaturen in vielen islamischen Ländern ein Umstand, durch den unklar bleibt, ob Integrationshemmnisse oder Terrorismus bei Muslimen eher religiöse oder politische Wurzeln haben. Solche politischen Verhältnisse können religiös begründbare Ressentiments gegen Europa und den Westen erzeugen, die kausal weniger mit Unterschieden in Glaubensfragen zu tun haben, als mit der Zugehörigkeit zur Gewinner- oder Verliererseite globaler Machtverhältnisse.

Politiker und Dialog-Experten scheinen zu glauben, dass dagegen der sogenannte „Euro-Islam“ Abhilfe schaffen könnte. Durch eine aufgeklärte Koran-Interpretation, die mit einem westlichen Lebensstil kompatibel ist, ließen sich Glaube, Kultur und Politik wieder entflechten, Integrationshemmnisse beseitigen und die weltweite Terrorgefahr langfristig bannen. Das soll mit öffentlichen Geldern gefördert und durch islamischen Religionsunterricht an staatlichen Schulen und entsprechende Professuren christlichen Fakultäten in Gang gesetzt werden. Tatsächlich gibt es im Islam Reformbewegungen, die dazu passen, und die ersten deutschen Lehrstühle für den Islam-Unterricht wurden mit Vertretern solcher Richtungen besetzt.

Doch schon an der Universität Münster, die als erste Islamlehrer ausbildete, stellte sich heraus, dass diese Rechnung nicht aufgehen kann. Der liberal-islamische Hochschullehrer, den das nordrhein-westfälische Kultusministerium dort mit der Ausbildung der Islamlehrer betraut hatte, musste nach Protesten des Koordinierungsrats der Muslime diese Zuständigkeit wieder abgeben. Für Prof. Sven Muhammad Kalisch enthielt der Koran nur Mohammeds spirituelle Erfahrung, nicht aber Gottes direktes Wort – ein Interpretationsansatz, den der Koordinierungsrat als „Theologie ohne Gott“ ablehnte. Der Versuch, über Lehrstuhlbesetzungen und islamischen Religionsunterricht Einfluss darauf zu nehmen, was Muslime glauben sollen, kann nach diesen Erfahrungen von vornherein nur zum Scheitern verurteilt sein.

Als religiöse Randerscheinung kann der aufgeklärte, historisch-kritische theologische Liberalismus niemals die Klammer sein, die Christentum und Islam miteinander und mit dem Judentum weltweit zusammenhält. Global sind in allen drei monotheistischen Religionen nicht die Philologen, sondern die Fundamentalisten auf dem Vormarsch.Es ist nicht einmal sicher, wie lange die ehemaligen deutschen Staatskirchen und deren universitäre Theologie gegen das Eindringen der weltweit am stärksten wachsenden Konfession, die evangelikal-charismatischen Bewegung, und ihre vorkritischen Theologie immun bleiben, die – ähnlich wie Muslime beim Koran - der Bibel Gottes direktes Wort entnehmen will.

Das Dilemma der Theologie und die Chance des Dialogs

Der christlichen Theologie ist bisher nicht gelungen eine überzeugende, stabile Verbindung zwischen dem vorkritischen, evangelikalen oder charismatischen Interpretationsansatzes und dem historisch-kritischen der akademischen Theologie zu schaffen – wie kann sie da erwarten, dass der Theologie des Islams deren logische Verknüpfung gelingt?

Machtkämpfe wie in Münster sind letztendlich Folge des Dilemmas, dass Theologie per se mit einem diametralen Widerspruch zu kämpfen hat. Sie will als Wissenschaft Wissen schaffen und interpretiert überlieferte Rede von Gott deshalb wissenschaftlich auf der Höhe ihrer Zeit. Seit der Aufklärung heißt das: „Etsi Deus non daretur“ - als wenn es Gott nicht gäbe. Religiöser Glaube geht von der gegenteiligen Prämisse aus: Er unterstellt, dass in der Überlieferung Gott selbst zu uns spricht. Wo man Gott reden hört, endet die Reflexion, braucht man nicht mehr zu zweifeln, ist Widerspruch zwecklos. Allein die Tatsache, dass Menschen in diesem Sinne „glauben“, kann deshalb für aufgeklärtes postmodernes Denken nur eine Zumutung sein, ein Pfahl im Fleisch unserer Zeit, ein konkurrierender Heilsweg zu ihrer grenzenlosen Offenheit.

Christliche Theologie sollte aufhören, so zu tun, als habe sie dieses Dilemma befriedigend gelöst und den Glauben mit der Moderne oder Postmoderne versöhnt. In Wahrheit sitzen wir im selben Boot, stehen vor derselben Herausforderung, dem gleichen Dilemma, ähnlichen logischen Konflikten und vergleichbaren Polarisierungen. In einer Welt, deren zentrale Herausforderungen nur gemeinsam bewältigt werden können, kommen wir besser voran, wenn wir unsere Probleme entweder lösen oder zugeben, in jedem Fall aber darauf verzichten, andere als Projektionsfläche für eigene Schwierigkeiten zu missbrauchen.

Das Expertentum, das der interreligiöse Dialog über diese selbstkritische Aufrichtigkeit hinaus benötigt, ist vor allem die Kompetenz, über Religionsgrenzen hinweg die Nöte und Krisen des religiös-kulturell-politischen Zusammenlebens zu erkennen und auf sie mit einer Botschaft zu reagieren, die Juden, Christen, Muslime und Andersgläubige gleichermaßen als wohltuend und hilfreich erleben. Die Chance des Dialogs liegt in einer solidarischen Zeitgenossenschaft über Religionsgrenzen hinweg, in der Verwandlung der Abraham-Tradition des Monotheismus in gelebte Aufbrüche zueinander.Es ist noch nicht lange her, dass wir damit Grenzen überwinden und Mauern zum Einsturz bringen konnten.

Nachtrag: Im nächsten Beitrag dieser Reihe geht es um Chancen und Risiken im christlich-jüdischen Dialog am Beispiel des Israelsonntags.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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