Der Krieg zu Gast beim Freitag Salon

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Wie verhalten sich Menschen, wenn sie unausweichlich mit Schuld und Verantwortung konfrontiert sind? Zu diesem Thema hat der gestrige Freitag Salon ein aufschlussreiches Experiment veranstaltet. Um die Bundeswehrreform ging es nur vordergründig. Die Zuschauer wurden Probanden einer Gewissensprüfung zum ethischen Dilemma um Töten und Krieg.

Was früher in den Gewissensprüfungen für Kriegsdienstverweigerer bloße Fiktion war, ist heute blutige Realität. 300.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren bereits im Ausland im „Einsatz“ – mehr, als hier in Deutschland stationiert sind. Was heißt das für uns als politisch denkende und handelnde Menschen, als rechtsfähige Subjekte des Volkes, das sie dorthin geschickt hat und das als Souverän ihren Einsatz verantwortet?

Schon die Teilnehmer auf dem Podium reagierten mit unterschiedlichen Strategien auf diese Frage, die unausgesprochen im Raum steht, wenn es heute um das Thema Bundeswehr geht.

Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, erwähnte immer wieder die aus der jüngeren Geschichte bekannten Eskalationen von Völkermord wie Srebrenica, Ruanda oder Dafour, wo man sich schuldig macht, wenn man nichts tut.

„Aber davon weiß man doch nur, weil heute überall die Kameras präsent sind.“ Moderator Jakob Augstein legte mehrfach den Finger in die Wunde von Königsteins Argumentation. Als der Wehrbeauftragte erklärte, dass man Kriegsverbrechen an der Zivilbevölkerung durch innere Führung ausschließen könne, und diese Behauptung mit Beispielen von tadellosem soldatischen Verhalten zu belegen versuchte, konterte das JA mit der Bemerkung: „Das mag so passiert sein. Aber danach schicken wir dann nachts unsere Drohnen hin und mähen das ganze Dorf nieder – nicht wir selbst, aber doch unsere Verbündeten dort.“

Auch Andrea Jeske, Autorin von„Wir sind kein Mädchenverein. Frauen in der Bundeswehr“, die sonst eher zum Thema ihres Buches redete, widersprach Königshaus und hielt ihm den Luftangriff auf einen Tanklastzug, der Franz Josef Jung sein Amt kostete, als „Kriegsverbrechen“ vor. Der Wehrbeauftragte versuchte dies mit einer abstrakten Bedrohungslage zu widerlegen, auf die man vorsorglich habe reagieren müssen, da man in einer konkreten Bedrohungslage durch diesen Tanklaster sonst nicht mehr hätte reagieren können - in Ermangelung geeigneter Waffen. Es gab nur die Entscheidung zwischen diesem Luftangriff und dem Risiko, einem späteren Angriff mit dem gestohlenen Tanklaster wehrlos ausgesetzt zu sein.

Durch Andreas Timmermann-Levanas, den vierten Teilnehmer auf dem Podium, wurde eine andere Dimension von Schuld in diesem Krieg deutlich. Sein Buch „Die reden – wir sterben“ ist eine unmissverständliche Anklage. Schon der erste Blick auf den gut aussehenden, körperlich gestählten und geistig hellwachen Mann von Mitte Vierzig verrät, dass ihm dennoch etwas Wichtiges fehlt: Das innere Lächeln. Wer das nicht mehr hat, muss durch die Hölle gegangen sein. Der langjährige Offizier gehört zu den zwei Prozent, die irgendwann traumatisiert aus dem Einsatz zurückkehren. Rein rechnerisch wären das bislang etwa 6.000. Er selbst glaubt aber, dass es deutlich mehr sein müssen. Die Daten für die amtliche Statistik würden nämlich in zu kurzen Abständen nach dem Einsatz erhoben, manche Traumen zeigten aber erst nach dreieinhalb Jahren.

Andererseits muss ein Trauma innerhalb von zwei Wochen behandelt werden, sonst wird es „vererbt“. Diese Einsicht hatte jemand aus dem Publikum vom Berliner Therapeutenkongress mitgebracht. Genau dort liegt aber ein weiteres Dilemma: Die Therapeuten fehlen. Die Bundeswehr hat zwar aus Schäden gelernt und hält jetzt ein Therapeutennetz bereit, aber nur in der Theorie. Die Hälfte der Planstellen für Therapeuten beim Bund ist einfach nicht zu besetzen. Andreas Timmermann-Levanas hat deshalb mit betroffenen Kameradinnen und Kameraden eine Selbsthilfegruppe gegründet, dennoch musste er aus gesundheitlichen Gründen den Dienst quittieren. Jetzt kümmert er sich der frühere Oberstleutnant um Kriegsopfer.

Für das Publikum war das alles kaum zu ertragen. Die Kriegserlebnisse, die der ehemalige Pressesprecher der deutschen ISAF-Verbände in knappen, sachlichen Worten fast emotionsfrei schildern konnte, befremdeten einige, wie andere die Argumente des Wehrbeauftragten provozierten, sodass vielen das Zuhören und Stillbleiben schwerfiel.

"Ich bin doch gegen Krieg, also müsste das doch alles gar nicht sein, wenn es nach mir ginge." Als suchte man bei der Konfrontation mit Schuld reflexartig nach jener Unschuld, in der man seine Hände schnell waschen kann, hielten Zuschauer in der Diskussion druckreife Vorträge über patentreife Rezepte, mit denen sich alle Kriege vermeiden ließen, oder jedenfalls die deutsche Beteiligung.

„Man muss die Konflikte, die es anderweitig in der Welt gibt, einfach ausbrennen lassen. Anders wird man sie nicht los“, lautete die Lösung meines Nachbarn zur Linken. Als ihm dann aber Königshaus vorhielt, dass er mit dieser Haltung Völkermord begünstigen würde, nahm er sie fast restlos zurück: „Ich habe nie gesagt, dass ich alle Konflikte sich ausbrennen lassen würde.“

„Wer eine Uniform anzieht, muss wissen, was er tut. Seine Aufgabe heißt letztendlich: Töten. Wenn der traumatisiert wird, dürfen wir kein Mitleid mit ihm haben“, war beim anschließenden Smalltalk zu hören. „Traumatherapie darf es nur für Soldaten geben, die ihr Tun bereuen, die Waffen niederlegen und ‚gonna study war no more‘ beschließen. Den anderen darf man nicht helfen, man macht sie sonst nur wieder fit, um weiter zu töten.“

Die menschliche Art, mit Schuld und Verantwortung umzugehen, wenn Verdrängung oder Verleugnung nicht möglich sind, scheint das Draufschlagen zu sein, der Angriff als die beste Verteidigung. Die und die sind verantwortlich, weil sie den und den Fehler gemacht und mich nicht gefragt und/oder nicht auf mich gehört haben, denn ich hätte die Lösung, wie das alles nicht nötig wäre: Kein Krieg, keine Toten, keine Verwundeten, keine Traumatisierten.

So sehr solche Reaktionen menschlich verstehbar sind, so wenig können die zur eigenen Exkulpation dabei hochgehaltenen Patentrezepte irgendjemand außer dem Sprecher selbst überzeugen oder mit anderen Rezepten in Dialog treten - ein Effekt, der ein verantwortliches Nachdenken über realisierbare Konsequenzen leider eher verhindert als fördert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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