Des Gurus neue Kleider

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Vergangenen Freitag kurz vor Mitternacht. Der Berliner Weltanschauungsbeauftragte stellt eine Sektenwarnung online. Sie gilt Seiner Heiligkeit Sri Sri Ravi Shankar. Der wird am nächsten Tag in der Dresdner Lutherkirche vor 1.000 Kirchentagsteilnehmern sprechen und will im Juli das Berliner Olympiastadion mit 70.000 Festivalteilnehmern füllen.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/GuruRaviShankar.jpgSeine Heiligkeit Sri Sri Ravi Shankar im Gespräch mit Pfarrerin Ulrike Murrmann

Die Warnung von Thomas Gandow kam zu spät, um noch ein Medienecho auszulösen. Der Kirchentag war deshalb nicht genötigt, die Besucher der Veranstaltung über die Kritik an seinem Gast zu informieren. „Wenn wir jemanden als Gast auf den Kirchentag einladen, moderieren wir ihn nicht an mit dem Satz: Und übrigens, Sie sind umstritten“, verteidigte Generalsekretärin Ellen Ueberschär das Verstummen aller Kritik im Angesicht seiner Heiligkeit.

In der Sache sollte jedoch Kritik geübt werden. So war es zumindest geplant. Dass man durch bloßes Atmen die Welt verändern kann, könne sie sich nicht vorstellen, soll seine Korreferentin gesagt haben. Zu hören war ein so klarer konfrontativer Satz auf der Veranstaltung selbst aber nicht. Vielleicht hatte sie auch nur vor gehabt, das so klar und unmissverständlich zu sagen, hatte dann aber aus Höflichkeit dem freundlichen Gast gegenüber von so harten Worten abgesehen. Die permanente Einigkeit war so sehr betont, dass überhaupt nur Fachleute bemerken konnten, dass das, was Dr. Ulrike Murmann als Pfarrerin der Hamburger City-Kirche St. Katharinen vertrat, in vieler Hinsicht genau das Gegenteil der Lehre seiner Heiligkeit war und nicht deren logische Fortsetzung.

Dabei hätte gerade diese Konfrontation eine nachhaltig aufklärerische Wirkung haben sollen. Das vom Präsidium erwogene Kalkül war: Wir laden einen geschäftstüchtigen Guru ein, der massenweise Sinnsucher anzieht, konfrontieren dann seine Lehre mit christlichen Werten und Angeboten und leiten so die Sinnsucher zu den Quellen unserer eigenen, christlichen Spiritualität. Heraus kam statt dessen nur, dass die Anwesenden nach der Internetadresse der Organisation seiner Heiligkeit fragten, aber nicht nach der seiner Korreferentin.

Einer biblischen Anweisung zufolge sollten mündige Christen zwar in der Lage sein, alles zu prüfen und dann das Gute herauszufinden, um es zu behalten. Sektenbeauftragte und die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen warnen jedoch immer wieder, das Vertrauen, das Kirche bei vielen Gläubigen nach wie vor genießt, nicht auf fremde Verführer oder Verdummer zu übertragen, denn viele kämen - einmal an sie abgegeben - nur noch schwer wieder von ihnen los.

Konkret wird seiner Heiligkeit von kritischen Beobachtern des esoterischen Psychomarktes vorgeworfen, dass er – im Unterschied zu Seiner Heiligkeit dem Papst oder Seiner Heiligkeit dem Dalai-Lama – nicht das Oberhaupt einer historisch gewachsenen Religion ist, sondern Gründer einer neureligiösen Bewegung, einem Ableger der TM-Sekte (Transzendentale Meditation), zu deren „Weltregierung“ er selbst und seine führenden Mitstreiter noch Anfang der 80er Jahre gehörte, bis ihm 1982 eine Erleuchtung seinen eigenen Weg zeigte – vielleicht aber auch nur, wie man mit einer Quasi-Kopie von Maharishis Erfolgsmodell mehr gutes Geld an Europäern verdient, denn als Gouverneur in dessen Weltregierung.

Dafür, dass eine bewusste Atemtechnik körperliche und psychische Blockaden lösen kann bis hin zu einer permanenten Euphorisierung, ist Seine Heiligkeit selbst der lebende Beweis. Bezahlt wird dieses schlichte Glück eines permanent erleuchteten Daseins bei ihm aber mit dem Preis einer genauso permanenten Selbstüberschätzung.

Von außen nimmt das jeder sofort wahr, nur ihm selbst und seinen Anhängern bleibt es verschlossen. Ein Beleg für ersteres ist das Presseecho zum Indienbesuch des damaligen Baden-Württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger, bei dem seine Delegation auch Sri Sri Ravi Shankar besuchte. „Ich weiß nicht, wo ich hier hingeraten bin“, wurde die Grünen-Abgeordnete Theresia Bauer in der Südwestpresse vom 20.11.2009 zitiert. Ein mitreisender Unternehmer soll sich sogar hinter vorgehaltener Hand empört haben: „In einen Hindu-Tempel wäre ich mit großem Respekt gegangen, aber nicht zu einem Kasper.“

Das „Kind, das sich weigert erwachsen zu werden“ (eigene Aussage) glaubt dagegen, die Welt über seine unbezweifelbaren PR-Erfolge hinaus auch nachhaltig verändern zu können. Durch richtiges Atmen würden Menschen nicht nur glücklicher, sondern auch friedfertiger und wohltätiger. Seine Jünger glauben sogar Aids mit seiner Atemtechnik besiegen zu können. Schulungsmaterial zufolge belegt eine Studie aus den USA, dass HIV-Viren in dem Sauerstoff nicht überleben können, mit dem richtiges Atmen den menschlichen Körper versorgt („Viruses cannot thrive in the O2 rich enviroment produced by SK. This formed the basis of a 40 day study on 25 patients suffering from AIDS“).

Theologisch betrachtet erkennt man, dass hier der Unterschied liegt zwischen Esoterik und dem Christentums oder anderen gewachsenen Religionen. Man kann das Kreuz des irdischen Daseins nicht überwinden, indem man es leugnet oder weghalluziniert, denn damit kreuzigt man nur seinen Verstand. Trotzdem konnte Seine Heiligkeit am Samstag die Dresdner Luther-Kirche füllen. Und nicht einmal das Internetzeitalter wird verhindern können, dass er im Juli auch das Berliner Olympiastadion voll bekommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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