Die Ritter der Tafelrunde

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Wer sich für Notleidende und Arme in unserem Lande engagiert, für den liegen Ehre und Schande bereit. Beim 16. Bundestafeltreffen wurden die ehrenamtlichen Helfer der neuen Armenspeisung von einer CDU-Ministerin geadelt und von deren politischem Gegner als Handlanger des Sozialabbaus entlarvt.

Dissonanzen von einem bloggenden Straßensänger

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Bundesfamilienministerin Kristina Schrödern beim Adeln der edlen Ritter der Moderne

Schon wieder ein Auftritt bei einer gemeinnützigen Sache. Das bringt wenig oder gar kein Geld in die Kasse. Aber wir Sänger vom Straßenchor haben ja sowieso nichts von unserer Gage. Das Geld verwaltet die Treberhilfe. Was die damit macht, erfährt keiner, auch nicht, wenn man gezielt nachfragt. Aber selbst wenn wir dieses Geld ausbezahlt bekämen, müssten die meisten es beim Hartz-IV-Amt abliefern.

Zu essen gibt es dafür genug. Die endlos lange Tafel lädt auf dem Alex alle ein, die Hunger haben. Ehrenamtliche Helfer versorgen sie mit Nudelsuppe, Schmalzstullen, aufgetautem Kuchen und Servietten mit REWE-Aufdruck. Der Regierende Bürgermeister hat mit einer Stadtwette dafür gesorgt, dass zu diesem Anlass 75 Tonnen Lebensmittel gespendet wurden, die Geschäftsleiter von REWE und Penny durften dafür auch auf die Bühne – im Wechsel mit Funktionären aus Gewerkschaft und Diakonie und Politik.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ist die neue Schirmherrin der deutschlandweit über 870 Tafeln. Ihr Redenschreiber, vielleicht auch sie selbst, war auf die glorreiche Idee verfallen, die ehrenamtlichen Helfer mit den „Rittern der Tafelrunde“ zu vergleichen. Man konnte sehen, es machte der jungdynamischen Kleinen riesigen Spaß, ihren irgendwie witzigen Text vorzulesen und sich dann vom Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbandes Deutsche Tafel e.V. einen Regenschirm als Zeichen ihrer Schirmherrschaft überreichen zu lassen.

Dabei ist das Tafelwesen, wie vieles andere auch, eine Medaille mit zwei Seiten. Durch die Erfolgsstory entstehen lokale Sachspenden-Monopole im Lebensmittel-Entsorgungs-Bereich. Traditionelle Armenküchen in Obdachloseneinrichtungen haben es in einigen Städten schwer, noch Nahrungsmittelspenden zu bekommen, weil die Restaurants und Supermärkte inzwischen alles, was übrig ist, zentral an die Tafel geben.

Immer wieder kommen auch Neid-Diskussionen auf. Wo Spenden verwaltet werden, wird nach der statistischen Erfahrung gelegentlich was abgezweigt oder für die Verwaltung im weitesten Sinne benötigt. Wenn dann als Nebeneffekt dieser Selbsthilfeorganisation ein ehemals Hartz IV Betroffener ein echtes Gehalt für echte Arbeit bezieht oder er die Geschäfte ehrenamtlich weiterführt, aber eine gute Bekannte als Sekretärin einstellt oder er ein Dienstfahrzeug anschafft, muss das kein Maserati sein, um heftige Kritik auf den Plan zu rufen.

Natürlich kann man solche Logik auch umdrehen und in der wachsenden Armut den eigentlichen Skandal sehen. Auf diesen Zusammenhang machten fast wortgleich der Sozialdemokrat Wolfgang Thierse und der Linke Rainer-Maria Fritsch aufmerksam: Würde der Sozialstaat so funktionieren, wie er funktionieren sollte, bräuchten wir keine Tafeln, schon gar nicht in diesen Größenordnungen. Thierse war als Stellvertreter für Parteichef Sigmar Gabriel gekommen und Fritsch für Klaus Wowereit, der als Gewinner seiner Wette nun doch nicht einen Tag lang in der Essensausgabe einer Berliner Tafel schuften muss.

Noch weiter ging die Tafelkritik von Werner Schulten, Sprecher der AG Hartz IV in und bei der Linken. Der sah in den 40.000 ehrenamtlichen Helfern, ohne die Millionen Deutsche inzwischen nicht mehr wüssten, wie sie satt werden, „Handlanger“ des Sozialabbaus. Das war eine echt linke Kritik in der Tradition des parodoxen marxschen Argumentes, dass, wer Leiden lindert, damit den Leidensdruck und das Protestpotenzial schwächt, was vor allem als Vorwurf gegen die Religion bekannt wurde. Der Ansatz aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung war deshalb, das eine nie ohne das andere zu tun. Diesen Anspruch erhob aber auch die Tafel in der prompten Erwiderung eines Tafel-Aktivisten aus dem Publikum, dem Moderator Ulli Zelle ausnahmsweise das Mikrofon hinhielt: „Wir helfen den Betroffenen, aber wir kritisieren auch die Zustände, die dazu führen, dass wir überhaupt helfen müssen.“

Nach dem Erkenntnisstand von Tafelkritiker Prof. Peter Grottian geht diese Kritik aus der Tafelbewegung aber nicht weit genug. „An sich müssten die Verantwortlichen der Tafelbewegung alles tun, ihren Gründungsboom zu hinterfragen – bis hin zu der Frage, wie die Tafeln von der Politik prinzipiell missbraucht werden. Die Politik verordnet eine Magerkur und eine bürokratische Zurichtung von Menschen, die von den Tafeln blumenreich geschmückt wird. Das ist faktisch eine uneingestandene strukturelle Komplizenschaft, die die Akteure von Tafeln und Politik brüsk, aber möglicherweise leicht schlechten Gewissens zurückweisen müssten. Die Akteure der Tafelbewegung sind seit einiger Zeit selbstkritischer geworden, aber auf die Idee, ihre Tafeln bewusst für einige Tage zu schließen, um der Politik Beine zu machen, wirklich für die Grundversorgung von Menschen einzustehen, darauf sind sie bisher nur hinter vorgehaltener Hand gekommen“, schrieb der tafelkritische Sozialwissenschaftler erst letzten Montag auf den Nachdenkseiten im Internet. Er scheint Recht zu haben. Der Widerspruch aus der Tafelrunde galt Werner Schulte und nicht etwa den Stimmen aus den Hartz-IV-Macher-Parteien, die Schulte dafür sofort in Grund und Boden kritisierten.

Vielleicht ist das auch gut so. Wo kämen wir hin, wenn die Tafelritter neben dem Stopfen hungriger Mäuler noch Zeit fänden, einen Protest zu organisieren, wie ihn Peter Grottian fordert: „Besetzungen von Deutsche Bank-Filialen, um die Zahlungen für die Krise öffentlichkeitswirksam einzuklagen. Besetzung von Arbeitsagenturen, um eine 500 Euro-Regelsatz-Forderung zu bekräftigen; die Schließung von Tafeln, um eine wirkliche Grundsicherung zu erreichen; ein Streik für Mindestlöhne gemeinsam mit Gewerkschaften entwickeln u. v. m.“? Man riecht es von weitem: In Teufels Küche.

Lieber sing ich da mit Wolfgang Thierse ein nachdenkliches Liedchen, genieße die Sonne am Alex und warte einfach mal ab, welche Sparmaßnahmen morgen das Bundeskabinett für die Sozialausgaben beschließt. „Who can say where the road goes, where the day flows? Only Time.” (Enya)






Foto: selbst / Video: Peter Dauer

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Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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