Ein Freitag Salon im Arbeitsmuseum

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Im wunderschönen Monat Mai war beim Freitag Salon das Thema „Arbeit“ dran, und trotzdem – trotz des Wetters – waren viele ins Gorki Theater gekommen, die Plätze im Foyer wurden knapp.

Warum das Thema „Arbeit“ Menschen immer noch anzieht wie das Aas die Fliegen, versuchte Jakob Augstein in seiner Anmoderation auf den Punkt zu bringen. In seinem Lieblingsmuseum, dem Museum für Naturkunde, war JA in den 90ern auf einen typischen Ostberliner Anachronismus gestoßen: Auf einer Tafel zum Menschen wurde der Besucher einem Art Schnellkurs in historischem oder dialektischem Materialismus unterzogen. Aufgrund ihres hohen Beitrages zur Menschwerdung des Affen (Engels) sie „Arbeit“ seit Neandertalers Zeiten die entscheidende Differenz zum Tier. Aus der Produktivität des arbeitenden Menschen lässt sich deshalb die gesamte menschliche Geschichte mit all ihren Verteilungskämpfen und scheinbaren Widersprüchen ableiten.

Der Freitag ist in den Augen vieler ein ähnliches Relikt aus DDR-Zeiten – mit dem Unterschied, dass ihm von Günter Gaus und Jakob Augstein neues Leben eingehaucht wurde, während die Tafel im Naturkundemuseum inzwischen den Weg alles Vergänglichen ging.

Der Abend sollte also ein Versuch sein, wenigstens vom Inhalt jener Tafel zu retten, was noch zu retten ist - der menschlichen Arbeit und damit dem Menschen selbst jene Bedeutung und Würde zurückzugeben, die ihr (und ihm durch sie) nach der Lehre des reinen Marxismus und des Weberschen Protestantismus zukommt.

Seine beiden Salongäste hatte JA mit klar verteilten Rollen: Andrea Ypsilanti für die Prominenz und Wolfgang Engler für die Kompetenz.

Der Rektor der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“, der dort seit 1981 Kultursoziologie unterrichtet, konnte zu jedem Satz von Andrea Ypsilanti ein zehnminütiges Korreferat halten, das vom ersten bis zum letzten Satz sachlich fundiert und klar strukturiert alle relevanten Problemzusammenhänge der Arbeit in der Gegenwart zu analysieren verstand, sodass jeder im Saal gebannt zuhören konnte – bis auf JA, dem das manchmal zu lange dauerte.

Nach wie vor definiere sich der Mensch über seine Arbeit, nur dass wir mittlerweile den Arbeitsbegriff dabei auf Erwerbsarbeit oder gar Lohnarbeit verengt hätten. Wird jemand gefragt „Was machst Du?“ oder „Was machen Sie?“, bestünde die Antwort aus Erwerbsarbeit. Wer keine solche Antwort geben könne, weil er vielleicht keine Arbeit habe, gehöre im Rahmen dieser Logik zu den „Überflüssigen“, die ihren Daseinszweck verfehlen und entsprechend in der Achtung des Fragenden zu sinken drohen.

Wenn im Volksempfinden der Wert des Menschen über seine Arbeit definiert wird, nach welchen Kriterien wird dann die Arbeit bewertet? Nach der Höhe des damit erzielten Einkommens oder nach dem damit angerichteten Nutzen oder Schaden für andere?

Leider scheint heute allein Ersteres, das Einkommen, der ausschließliche Maßstab zu sein, nach dem Arbeit bewertet gesellschaftlich bewertet wird – zum Nachteil für viele Einzelne, die nach dem Schaden/Nutzen-Kriterium viel wertvollere Arbeit leisten würden, und noch viel zum Schaden für die Gesellschaft selbst, die so befördert, was ihr schadet, und behindert, was ihr nützen könnte.

Bei der Suche nach Auswegen aus diesem Dilemma stellte sich unter anderem heraus, dass die Gewerkschaften zu schwach sind, weil jeder in eine andere prekäre Lage gezwungen wird: Die einen arbeiten gut bezahlt, aber zu viel, müssen pausenlos per Handy und Email erreichbar sein, die anderen arbeiten als Praktikanten fast genauso viel, aber unbezahlt und wieder andere sind ganz außen vor. Man kriegt – von Arbeitnehmerseite her – keine vernünftigere Verteilung etwa durch Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt, weil alles so ungleich verteilt ist, dass man sich nicht mehr im selben Boot wähnt.

Dasselbe gilt für das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Die Idee ist gut, aber nicht durchsetzbar.

Unterhalb dieser sich vertiefenden Gräben vollzieht sich ein Tiefenprozess der Entsolidarisierung und Privatisierung, der seit zwei oder drei Jahrzehnten alles wieder abbaut, was bis an sozialen Standards erreicht wurde. Sowohl die Errungenschaft des vor 100 Jahren einsetzenden „Munizipalen Sozialismus“ wie kostenlos oder kostengünstig von jedermann nutzbare Schwimmbäder, Bibliotheken, Nahverkehrsmittel oder Bildungseinrichtungen wurden und werden genauso zurückgebaut wie die Arbeitszeitbegrenzung oder der Kündigungsschutz oder die kostenfreie Krankenversicherung - Erinnerungen an eine solidarische Zukunft, die heute bestenfalls noch musealen Wert besitzen.

Im Privatgespräch – bei der Diskussion konnte man leider keine Fragen stellen, weil sich fast ausschließlich weitere Korreferenten zu Wort meldeten – räumte Wolfgang Engler ein, dass diesem Abbau kausal ein globaler Standort-Wettbewerb zugrunde liegt, der eine Abwärtsspirale ausgelöst habe, und dass der Ansatz zum Gegensteuern außerhalb der nationalen Grenzen liegt, im zwischenstaatlichen Verabreden von Regeln für Mindeststandards, die diesen Abwärts-Wettbewerb stoppen können. Immerhin ein Ansatz, der schlüssig sein könnte – nur: Wer verfolgt ihn - und wie? Dazu hätte ich dann gerne noch Frau Ypsilanti befragt, aber die war schon weg.

Überhaupt waren es wieder nur die Urgestein-Blogger, die anschließend noch im Garten des Gorki Theaters zusammensaßen (wie Magda, Rahab, Archie und Goedzak), aber an dieser Exklusivität sind wir auch selbst schuld. Ich hatte den Eindruck, die nette junge Frau, die links neben mir saß und sich über den sozialdemokratischen Ypsilanti-Einkratz-Dauerredner zu meiner Rechten mit leisen Spitzen amüsiert hatte, hätte sich unserer Runde vielleicht angeschlossen, wenn ich sie gefragt hätte – was ich aber tunlichst unterließ, denn bei uns hartgesottenen Insidern ging es erwartungsgemäß nur um das Who is Who der Community versus die bösen Buben aus den Tabu-Blogs. Wer nicht selbst miterlebt hatte, was alles in den letzten zwei Jahren auf freitag.de abging und bis heute abgeht, hätte bei diesen Gesprächen bestenfalls mitgekriegt, dass Blogger mehrheitlich wohl verrückt sein müssen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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