Eklat beim Freitag-Salon

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„Das war heute die schlechteste Moderation, die ich bisher von Ihnen erlebt habe, Herr Augstein“, rief ein älterer Herr aus dem Publikum, als die Lage eskalierte. Reinhard Erös, einer der beiden Podiumsgäste, war beleidigt aufgestanden und wollte den Saal verlassen, blieb dann aber doch, nachdem Jakob Augstein die Diskussion mit dem Publikum nicht abbrechen wollte, und kehrte nach kurzer Zeit wieder aufs Podium zurück.

Gemessen daran, dass ein Talkmaster seine Gäste zum Reden bringen soll, war Jakob Augstein aber die Moderation zumindest bei Erös hervorragend gelungen – wozu allerdings auch nicht viel gehört. Dieser Gast braucht an sich keinen Moderator, außer um ihn zu bremsen, wogegen er sich dann allerdings gerne auch mal regelwidrig wehrt: „Das wär ja noch schöner, wenn der Gastgeber die Regeln bestimmt - wie in der DDR.“

Das Problem war nicht die Moderation, es waren die ungleichen Gäste. Der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Bernd Ulrich, hatte dem Oberstarzt a.D. vom Temperament her wenig entgegenzusetzen, und jeder Versuch, es dennoch zu tun, wurde sofort vom Publikum abgestraft. Es war wieder einmal eine verkehrte Welt: Zum Thema "Zehn Jahre Afghanistan: Bilanz eines gescheiterten Krieges" kam der ehemalige Oberst in der Rolle des dezidierten Kriegsgegners, der vor allem die Heuchelei des Afghanistan-Krieges schonungslos entlarven konnte, während Augstein seinen früher einmal pazifistisch-grünen Ex- Chef in der Rolle des Kriegsbefürworters eingeladen hatte, was der seinem jüngsten Buch „Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss“ verdankt.

Damit war Ulrich der von vornherein designierte Verlierer des Abends. Am Ende blieb ihm nur das klare Bekenntnis: „In der Sache unterscheiden wir uns gar nicht. Herr Erös hat die ganze Zeit nicht gegen meine Meinung in der Sache Argumentiert, sondern nur gegen meine ganze Person, die er moralisch vernichten will.“

Tatsächlich ist der Krieg in Afghanistan nach Ansicht von Bernd Ulrich kein Beleg für seinen Buchtitel, sondern eher das Gegenteil. Niemals gewinnbar, nur zerstörerisch und kontraproduktiv gemessen an den Zielen, die mit militärischen Mitteln nie erreichbar sein werden. Nur kann das Reinhard Erös viel drastischer, emotionalisierender, polemischer und kompetenter begründen. Seit den frühen 80er Jahren ist er für Hilfsorganisationen dort selbst vor Ort, in den Ostprovinzen der Paschtunen, hat dort Schulen mit mittlerweile über 50.000 Schülerinnen und Schülern, Krankenhäuser und eine eigene Hilfsorganisation gegründet, spricht die Sprache, hat jahrelang den Beschuss der Sowjets und später der NATO aus nächster Nähe erlebt, kennt Zahlen und Zusammenhänge, die nirgends in der Presse stehen, war Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr zu Sicherheitsfragen, Berater von Bundestagsausschüssen.

Seine multiple Medienschelte, die der Oberst a.D. und Dönhoff-Preisträger permanent auf Zeit-Politik-Chef Ulrich und Ex-Zeit-Redakteur Augstein abfeuerte, wurde im Endeffekt durch das Feedback eines Besuchers bestätigt, der sich ohne Namensnennung offenbar als Bundestagsabgeordneter zu erkennen gab: „Wenn ich das, was ich hier von Ihnen erfahren habe, damals schon gewusst hätte, hätte ich anders entschieden.“

Wenn das stimmt, war die Medienschelte in all ihrer Pauschalität berechtigt. Allerdings nicht ganz: Der Freitag hat auch der Sicht von Erös ein Forum verschafft, zumindest auf diesem Salon. Bei allem, was man gegen sein Benehmen sagen kann, verdient sie jede Beachtung, auch die von Bernd Ulrich. Mit Erös grundsätzlich einer Meinung zu sein, ist gut, sie noch stärker zur Geltung zu bringen, wäre besser.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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