Glos-Rücktritt: Das Rätselraten geht weiter

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Obwohl das Thema Glos-Rücktritt schon erledigt schien, präsentierte dazu gestern die FAS eine Doppelseite mit neuen Funden von Eckart Lohse.

Sie belegen, dass Michael Glos von allen Seiten übel mitgespielt wurde. Und dass Glos sein Schreiben an Seehofer schon seit Januar in der Schublade, bzw. im Rechner hatte. Nur mit dem Abschicken hatte er bis zum 7. Februar gezögert. Hier liegt das bleibende Rätsel, denn dieser Zeitpunkt war – so sieht es jedenfalls aus - denkbar unglücklich gewählt.

Die für mich dabei spannende Frage ist, ob die neuen Funde die Rache-Theorie beweisen, die auch Lohse vertritt, und ob sie die Gegentheorie widerlegen, derzufolge der Zusammenstoß mit dem Polizisten den Rücktritt ausgelöst haben muss?

Aus meiner Sicht nicht. Die durch die FAS im Detail bekannt gewordenen Verhaltensweisen von Parteifreundinnen, -freunden oder Ministerkollegen hätten gerade für den Fall eines Hochkochens der Polizisten-Affäre nur eine Prognose erlaubt: Glos wäre fallen gelassen worden, und das sehr schnell.

Ob umgekehrt "Rache" bei Glos überhaupt vorstellbar ist, hängt davon ab, wie man seinen Charakter einschätzt. Zweifellos gibt es viele andere Politiker, denen man nicht nur strategische Intelligenz, sondern auch strategische Intriganz zutraut. Glos gehört nicht dazu, jedenfalls nicht zu den letzteren. Das ist eine der Schwachstellen der Rache-Theorie. Lohses Artikel liefert kein Beispiel eines Verhaltens, aus dem man auf Seiten von Glos auf eine solche Durchtriebenheit schließen könnte. Im Gegenteil. Die Funde untermauern das Bild eines bis zuletzt loyalen Parteisoldaten, der auch dann noch die Interessen anderer über die eigenen stellt, wenn jene andere ihn längst abgeschrieben haben.

Vor allem aber hat Lohses Endeckung der von Hand geänderten Datierung hohen Erklärungswert für die inneren Ungereimtheiten des Rücktrittsschreibens.

Was schon schon beim ersten Lesen auffiel: Der letzte Satz kommt völlig überraschend und widerspricht dem vorher Gesagten. Bis zum Ende des vorletzten Absatzes erklärt Glos nur, warum er "nach dem 28. September" keinem Kabinett mehr angehören will und warum er das schon jetzt sagt, noch vor dem Wahlkampf. Dann, im letzten Satz die Überraschung, dass er außerdem jetzt und sofort zurücktreten will.

Dafür gibt es wieder nur eine vernünftige Erklärung: Der letzte Satz wurde geändert, oder die letzten beiden Sätze wurden hinzugefügt. Ein vorformuliertes, ausgefeiltes Schreiben, mit dem Glos ursprünglich nur sagen wollte, dass er nach der Wahl nicht mehr Minister sein möchte, bevor andere es ihm sagen, wurde durch minimale Eingriffe in ein sofortiges Rücktrittsgesuch umgewandelt.

Dabei muss Glos jedoch übersehen haben, dass Seehofer dafür nicht mehr der richtige Adressat war. Ohne den letzten Satz wäre er das gewesen, denn für die Frage, mit welchem Schattenkabinett eine Partei in den Wahlkampf zieht, ist deren Vorsitzender verantwortlich. Aber eben nicht für das Anliegen des Schlusssatzes: "Ich bitte Dich, mich von meinen Ministerpflichten zu entbinden." Das kann nach der Verfassung nur einer: die Kanzlerin (bzw. der Bundespräsident auf deren Verlangen).

Dieser politische Faux-Pas zeigt, dass Glos die Änderung des Schlusses an jenem Samstag in großer Eile und ohne Beratung mit dem Stab seines Hauses vorgenommen haben muss. Dafür spricht auch, dass das Datum sich beim Druck weder automatisch anpasste, noch im Computer geändert wurde, sondern hinter von Hand durchgestrichen und überschrieben. Kein Wirtschaftskapitän würde so etwas abschicken, nicht mal ein Mittelständler – aber der Wirtschaftsminister tut es. Vor allem aber, dass Glos das Schreiben mit diesen inneren Ungereimtheiten auch noch sofort an die Presse weitergab, zeigt, wie unerüberlegt er in diesem Moment handelte. Später schien nämlich das an den Parteivorsitzenden adressierte Rücktrittsgesuch den schlimmen Verdacht zu belegen, die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin sei in der Koalition nicht mehr gewährleistet.

Solche Fehler begeht nur, wer unter großem inneren Druck handelt. Durchkalkulierte Rache sieht anders aus.

Dass dieser innere Druck mit dem Polizisten zusammenhing, ist damit freilich damit noch nicht bewiesen. Auslöser der Hals-über-Kopf-Aktion könnte auch ein Vorgang sein, den niemand kennt außer drei Personen: Glos selbst, Merkel und Seehofer.
Der Wortlaut von Glos’ Entschuldigungsschreiben an den verletzten Beamten zeigt, wie sehr er sich deswegen ein Gewissen machte. Dessen letzter Satz, „Ich hoffe, auch Sie tragen mir die unglückliche Situation von gestern Vormittag nicht nach“, wird keine bloße Floskel gewesen sein.

Am 6. Februar Freitag konnte Glos dann in allen Zeitungen lesen, dass trotz dieser Entschuldigung die Gewerkschaft der Polizei (GdP) vorsorglich seinen Rücktritt zu fordert, für den Fall, sich die Darstellung des Kollegen bewahrheiten sollte. Die Recherchen der FAS belegen einmal mehr, in welchem Regen er in diesem Fall gestanden hätte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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