Präventivjustiz (2): Jasmin und der Christopher Street Day

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Unser Rechtssystem kennt seit 1933 zwei Möglichkeiten, Personen aufgrund von Straftaten einzusperren, die sie erst in der Zukunft begehen werden: Den Maßregelvollzug für psychisch Kranke und die Sicherungsverwahrung für Gesunde. Seit 1998 weiten Gesetzgeber, Gutachter und Justiz diesen potenziell rechtsfreien Raum zunehmend aus. Dies sind ihre Geschichten.

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Mit 15 wurde Jasmin erstmals verhaftet. Genau nachprüfen lässt sich das allerdings nicht. Bei der ersten Verurteilung war sie 17, bei der zweiten 18. Seitdem sitzt die heute 33jährige hinter Gittern. Und ihre Aussichten, je wieder frei zu kommen, sind eher gering. Bis vor kurzem jedenfalls. Denn jetzt hat sich Rechtsanwalt Stefan Lorenz ihrer Sache angenommen.

Die Geschichte von Jasmin ist schnell erzählt: Verpfuschte Kindheit, DDR-Kinderheim-Karriere, pubertäre Gewaltkriminalität, brutale Vergewaltigung einer fast gleichaltrigen, aber kein vollendetes Tötungsdelikt. Gleich zu Beginn der Jugendstrafe, noch mit 18 ein Ausraster gegenüber der in jeder Hinsicht unvorsichtigen Haftpsychologin - eine tätliche Bedrohung und versuchte Vergewaltigung mit Tatrücktritt während der Therapiestunde, die nicht angezeigt wird. Jahre später aber dann doch, als Jasmins Freilassung bevorsteht. Aus der Jugendhaftanstalt geht es deshalb nach Verbüßung statt in die Freiheit in die Maßregel, die unbefristete Unterbringung für gemeingefährliche psychisch Kranke.

Das alles könnte justiziell seine Richtigkeit haben, wären da nicht gewisse Ungereimtheiten, denen der Geruch von Willkür anhaftet. Da fällt schon mal die vorgeschriebene Anhörung in einem Jahr komplett aus, obwohl sie laut Bundesverfassungsgericht „spätestens“ zwölf Monate nach der jeweils letzten zu erfolgen hat. In ein Zivilverfahren nach dem Transsexuellengesetz (TSG), mit dem Jasmin, die offiziell noch „Jens“ heißt, ihren Vornamen ändern will, mengt sich der Maßregelvollzug erfolgreich ein mit dem Hinweis, dies könne der Therapie und damit der Resozialisierbarkeit schaden.

Auch das könnte psychiatrisch zutreffen, wenn nicht gleichzeitig offensichtlich wäre, dass die Leitung des Maßregelvollzuges erhebliche Schwierigkeiten hat, selbst richterlich anerkannte transidentische Persönlichkeiten als solche zu akzeptieren und deren Rechte zu achten. So wurde in Äußerungen und Akten der Einrichtung wiederholt gegen das sog. Offenbarungsverbot nach § 5 TSG verstoßen. Obwohl sich Chefarzt Dr. Ingolf Piezka bereits in einem Vergleich vor dem Amtsgericht Brandenburg verpflichtet hat, im Wiederholungsfall der Betroffenen eine Vertragsstrafe von 5.100 Euro zu zahlen, vertritt er nach deren Verwirkung nun die Auffassung, dass seine Einrichtung ein praktisch TSG-Rechts-freier Raum sei, und das sogar Besuchern gegenüber.

"Den hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit hemmen will der Kritizismus des Strafverteidigers." Mit diesem Alsberg-Zitat beginnt ein kleiner rechtsgeschichtlicher Essay auf der Startseite der Webpräsens des Leipziger Anwalts Stefan Lorenz. Der ehrgeizige Spezialist für aussichtslose und schwierige Fälle hat dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht schon spektakuläre Entscheidungen abgerungen, die einigen Mandanten ihr Recht und ihre Freiheit verschafft haben.

„Die beiden müssen wir zusammenbringen“, dachten sich Jasmins Unterstützer aus dem Umfeld der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e.V. (dgti) und der Berlin-Brandenburger Interessenvereinigung Transidentischer Frauen (ivtf). Seit der Jahrtausendwende kümmern sich deren Vorsitzende Anke Streifeneder, Gerhard Wagner (ein sozial engagierter pensionierter Postbeamter) und die Epiliererin Dagmar Harmsen (eine frühere Mitarbeiterin des Evangelischen Kirchenbundes der DDR), liebevoll um die „doppelt Gefangene“. Liebe macht bekanntlich blind. Das wissen die drei Helfer durchaus. Was sie erreichen wollen, ist nicht, dass die Justiz ihrem Urteil folgt, sondern nur ein faires Verfahren nach rechtsstaatlichen Regeln.

http://earthgoo.de/pfarrverein/images/JasminLeier.jpgWas dazu fehlt, ist wie immer das Geld. Doch der Fantasie sind in dieser Szene bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Dagmar Harmsen hat für Jasmin eine Homepage und einen Leierkasten gebaut. Mit letzterem zog die Truppe schon beim Motzstraßenfest am vergangenen Wochenende von Stand zu Stand, um für Jasmins Wahlverteidiger zu sammeln. Vor allem von transidentischen Frauen aus Berlin und Brandenburg wurden schon über 200 Euro gegeben. Morgen, beim Christopher Street Day, soll die Sammelaktion fortgesetzt werden. Wer nicht kommen kann, aber regelmäßig den Freitag liest und für Jasmin auf eine weitere Tasse Kaffee verzichten will, findet auf der Website die Kontonummer - oder statt für Jasmin auch gerne für Rechtsstaat, der graue Theorie bleibt, wenn man keinen guten Verteidiger hat - oder kein Geld, ihn zu bezahlen.






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Fotos / Montage: Dagmar Harmsen, Changetube-Video: Verfasser

Der Verfasser hatte beruflich mit derResozialisierung psychisch kranker Straftäter zu tun. Um die öffentliche Diskussion nicht allein der Springerpresse zu überlassen, erscheinen hier in loser Folge Fallbeispiele und rechtsgeschichtliche Rückblicke, die mögliche Fehlentwicklungen untersuchen und nach Auswegen fragen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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