Von Fegefeuer, Brudermord und Heilighaltung der Presse

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Der Fall Mixa zeigt, wie die Kirche im Medienzeitalter aus der Defensive herauskommt, indem sie selbst ihre Leichen öffentlich ausgräbt. Der mit innerkirchlichen Mitteln nicht mehr lösbare Konflikt mit dem umstrittenen Bischof lenkt einmal mehr den Blick auf den moralischen Verfall einer moralistischen Institution und enthüllt dessen ungeahnte Sogwirkung auf kirchenfreundliche Leitmedien.

Eine Medienkritik

Die Zersplitterung des einen Felsen, auf dem Christus seine Kirche gründen wollte, entwickelte sich nach der Reformation am rasantesten im angelsächsischen Sprachraum. Dessen demokratische Traditionen brachten nicht nur im Politischen eine Frühform der konstitutionellen Monarchie hervor, sondern begünstigten auch im Religiösen die Entstehung und Attraktivität autonom-presbyterial verfasster Kirchen in Konkurrenz zu den monarchisch-episkopal geleiteten.

In der Folge kam es dort zuerst zu einer ökumenischen Übereinkunft, die die gegenseitige Anerkennung von Freikirchen auf der Grundlage des gemeinsamen Bekenntnisses zu Jesus Christus und die Verpflichtung der „Heilighaltung der Presse“ zum Inhalt hat. 1846 versprachen sich in London die Gründungsmitglieder der Evangelischen Allianz „in dem Gebrauch, den sie von der Presse machen, alle Bitterkeit und Grimm und Zorn und Geschrei und Lästerung samt aller Bosheit sorgsam zu vermeiden und vielmehr in allen Dingen, in welchen sie verschiedener Meinung sein mögen, untereinander freundlich und herzlich zu sein, und einer dem anderen zu vergeben, gleichwie Gott ihnen vergeben hat in Christo“. Bis dahin war das Miteinander der Christen unterschiedlicher Denominationen von negativem Reden und Schreiben übereinander und gegenseitigen Verurteilungen geprägt gewesen.

Aufmerksamen Zeitungslesern der letzten zwei Wochen dürfte nicht entgangen sein, dass diese Grundsätze ausgerechnet in der einen heiligen römischen Kirche offenbar nicht mehr gelten. In einem regelrechten Federkrieg kämpften überregionale Leitmedien mit härtesten Bandagen um die Deutehoheit zum Mixa-Rücktritt, von Anhängern wie Gegnern bestens mit Interna versorgt. Von der Frankfurter Allgemeinen und der Süddeutschen wurde der demissionierte geistliche Würdenträger bis zur Lächerlichkeit bloßgestellt, während Mixa selbst und seine Anhänger über die Welt und die anonyme reaktionäre Agentur kreuz.net enthüllten, welche Methoden bei seiner Abservierung angewandt wurden und welche Akteure dahinter stecken.

Dabei ist kreuz.net ein echtes Piratenstück gelungen. Der entscheidende „Trumpf“ seiner Gegner, der Papst Benedikt dazu brachte, das Rücktrittsgesuch überhastet anzunehmen, war nach Mixas Meinung ein getürkter Missbrauchsvorwurf, dessen ganze Substanz in einer achtzeiligen Aktennotiz bestand, in denen die Traumatherapeutin Maria F. (Klarname bei kreuz.net) Mutmaßungen zusammenfasste, die sie lediglich von Dritten gehört hatte und die – wie man jetzt weiß – unrichtig waren.

Ob die von den deutschen Bischöfen Zollitsch und Marx am 29. April vorgelegte spekulative Aktennotiz der Therapeutin im Kopf des Papstes bei dessen Entscheidung gegen Mixa eine Rolle spielte oder nicht, ist umstritten. Gesichert ist jedoch folgendes: Eine Woche später, nachdem bereits feststand fest stand, dass Mixa gehen muss, wurde die Aktennotiz an die Staatsanwaltschaft übergeben. Ausgesuchte Journalisten wurden in Hintergrundgesprächen eingeladen, woraufhin die Meldung über die schwebenden Ermittlungen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch alsbald über den Ticker ging.

Normalerweise dauert es in solchen Fällen Monate, bis Unschuldige von falschen Verdächtigungen rehabilitiert sind. Bis dahin haben sie in der Regel alle Ämter abgegeben. Wenn dann der Einstellungsbescheid kommt, interessiert er niemanden mehr. Bei Walter Mixa wurde jedoch das Ermittlungsverfahren schon nach einer Woche wegen erwiesener Unschuld eingestellt. Dieses für die Mühlen der Justiz ungewöhnliche Timing hatte kreuz.net zu verantworten. Obwohl anonym, verfügt diese Agentur im katholischen Raum über ein hervorragendes Informanten-Netz. Sie stellte am Tag nach der Anzeige den Klarnamen des Nachwuchsjournalisten online, der das vermeintliche Missbrauchsopfers hätte sein sollen, und forderte dazu auf, ihn selbst zu den Vorwürfen zu befragen. Dies tat dann auch - noch vor der Staatsanwaltschaft – die Bild am Sonntag. Ergebnis: Negativ - nichts dran. Angesichts dieser Informationslage hatte die Staatsanwaltschaft keine Möglichkeit mehr, das Tempo ihrer Ermittlungen selbst zu bestimmen.

Wenn die Strafanzeige, wie später die Welt am Sonntag urteilte, eine Intrige war, dann hat kreuz.net deren Erfolg zumindest teilweise mit einer Gegenintrige vereiteln können. Und nach einer Intrige sieht das ganze selbst neutral besehen aus. Nicht nur das äußerst dünne, an den Haaren herbeigezogene und letztlich unzutreffende Beweismaterial und sein Weg auf den Schreibtisch des Papstes und zur Staatsanwaltschaft sprechen dafür, sondern vor allem das bislang undementierte Detail aus dem Bericht der Welt am Sonntag, das Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz habe am 7. Mai die Journalisten zum besagten Hintergrundgespräch eingeladen mit der „Bedingung: Die Öffentlichkeit darf nicht erfahren, dass die Information von der Kirche stammt.

Dirk Banse, Uwe Müller und Lucas Wiegelmann veranlassen ihre Recherchen zu diesem Prozedere am 13. Juni dort sogar von „Rufmord unter Brüdern“ zu sprechen. Und drei Tage später bekennt bei Welt-online der „entlassene Bischof“ selbst, mit welcher Überrumpelungstaktik er zu seinem Rücktritt genötigt wurde, den er selbst niemals wollte: „Der Druck, unter dem ich die vorgefertigte Resignation unterschrieben habe, war wie ein Fegefeuer. Drei Tage später habe ich sie in einem Schreiben an den Papst widerrufen.

Dass der sonst nicht so eilige Vater den zwischenzeitig widerrufenen Rücktritt dennoch ohne Zögern annahm, war jedoch – wenn überhaupt – nicht nur den erwiesenermaßen falschen Bezichtigungen aus der späteren Strafanzeige zu verdanken. Eine wichtige Rolle spielte ein vom Papst erbetenes und von der Berliner Apostolischen Nuntiatur des Heiligen Stuhls zusammengestelltes Dossier mit weiteren Bezichtigungen, die in jeder Hinsicht peinlich, strafrechtlich aber kaum relevant sind und deshalb eventuell glaubhafter oder jedenfalls nicht so leicht widerlegbar sein könnten.

Diese bis dahin geheim gehaltenen Vorwürfe waren am letzten Wochenende nach Mixas Welt-Interview in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und wenig später auch in der Süddeutschen zu lesen, wo Matthias Dobrinski behauptet, davon eigenständig und nicht erst aus der F.A.S. erfahren zu haben – in welchen Hintergrundgesprächen auch immer. Als nächstes druckten diese Vorwürfe die Boulevardblätter nach. Seither gilt Mixa öffentlich als endgültig verbrannt. Die Welt musste den Kommentarbereich ihres Artikels schließen. Nur wenige Stimmen regten sich noch, um Nachsicht oder christliche Brüderlichkeit für ihn fordern. Am letzten Mittwoch gab der Bischof den in jeder Hinsicht aussichtslos gewordenen Kampf um sein Amt schließlich auf.

Diese in der Neuzeit bislang einmalige innerkatholische Medienschlacht lässt auf der einen Seite das Bild eines alternden Mannes erkennen, der die Selbstinszenierung so liebte, dass er dabei irgendwann nicht mehr wusste, was er sagte und tat. Ist das aber erst der Fall, helfen geschwisterliche Ermahnungen nicht mehr. Das römische Kirchenrecht bietet dann bei einem Bischof auch keine Handhabe, ein solches öffentliches Drama legal und zügig zu beenden. Genau an dieser Stelle, an der früher als Ultima Ratio zumindest die Inquisition noch gegen Bischöfe einschreiten konnte, klafft heute eine Lücke im römischen System. Und in die springt nun die Presse bereitwillig hinein.

Das Erschreckende daran ist: Die Methoden sind annähernd die gleichen. Schlecht recherchierte, teilweise unrichtige oder absurde Vorwürfe werden ohne objektive Nachprüfung und ohne effektive Möglichkeit der Verteidigung in die Welt gesetzt und führen zur unausweichlichen Verurteilung. Auch auf evangelischer Seite ist ein solcher unkritischer Umgang mit Vorwürfen ein bis heute üblicher Kirchenbrauch, wenn es gilt, unliebsam gewordene Geistliche aus ihren Ämtern zu drängen. Einem journalistischen Anspruch läuft das Mitmachen dabei jedoch zuwider – egal, um welche Konfession es geht.

Was Mixa selbst zu den Vorwürfen aus dem ursprünglich geheimen Dossier sagt, geht aus Daniel Deckers Artikel nicht hervor, nicht einmal ob er ihn – was sonst üblicherweise angemerkt wird – dazu überhaupt selbst befragt oder zu befragen versucht hat. So entsteht der (möglicherweise falsche) Eindruck, dass ab einer gewissen Schwere der Vorwürfe die journalistische Sorgfaltspflicht keine Rolle mehr spielt.

Auffallend ist auch, dass Deckers es nötig hat, gegen die Piraten-Agentur kreuz.net zum härtesten Totschlagargument zu greifen: dem Nazi-Vergleich („im Hetzvokabular des ‚Stürmers’“) – ein angesichts des Aufklärungs-Coups der ungerechtfertigten Missbrauchsbezichtigungen mit Sicherheit hier nicht gerechter Vorwurf. Die für Deckers offenbar noch immer wichtige Frage, ob diese Anschuldigungen ein AR- oder schon ein Js-Aktenzeichen hatten ist ebenso unsachgemäß und irreführend. Wenn die Vorwürfe erwiesenermaßen falsch waren, werden sie auch durch das Aktenzeichen nicht wahrer.

Für kritische Kommentatoren, wie hier beim Freitag Andrea Roedig, beweist das ganze weniger die moralische Verderbtheit eines einzelnen Menschen, als vielmehr die eines kranken Systems, dessen Symptomträger Mixa lediglich ist. Wenn schon im Dienst der Verdacht auf Alkoholabhängigkeit bestand, das aber erst nach dem Rücktritt zu einer Entgiftung geführt hat, offenbart das vor allem Untätigkeit und Hilflosigkeit einem lange bekannten Problem gegenüber. Und wie kann es angehen, dass unabhängig voneinander Vorwürfe von zwei Priestern über sexuelle Übergriffe ihres Bischofs aus unterschiedlichen Diözesen aktenkundig wurden? Eigentlich doch nur, wenn die aus der ersten zu keiner nachhaltigen Abhilfe geführt haben.

Jeder kann die menschliche Not verstehen, die sich in Worten wie „bleib hier, ich brauche Deine Liebe“ bei jemandem ausdrückt, der von jeder Möglichkeit abgeschnitten ist, seine Sehnsucht nach Nähe in einer Partnerschaft auszuleben, weil ein solcher Schritt ins Ungewisse sofort für ihn Berufsverbot und Ansehensverlust bedeutet. Als Entschuldigung kann das aber nicht herhalten, jedenfalls nicht bei einem „kultivierten Konservativen“, der diesen unmenschlichen Druck immer verteidigt hat. Moralisch kann sich angesichts einer solchen selbst erfahrenen Not nur verhalten, wer daraus die Konsequenz zieht und als erster lautstark das hinterfragt, was ihn selbst und andere in sie hineinführt, statt sich in Doppelleben zu flüchten und nach außen hin eine dann bigotte Moral weiter zu vertreten.

Der erzwungene Zölibat funktionierte schon im Mittelalter nicht. Man könnte wünschen, die zweite Session des Tridentinums hätte die schon greifbare Einigung mit den Protestanten gebracht, was auch die Abschaffung der festen Kopplung von geistlichem Amt und Ehelosigkeit bedeutet hätte. Das hätte deutlich weniger Leid über unzählige Menschen gebracht, nicht nur, was die dann folgenden Kriege betrifft. Auch sexuelle Übergriffe und Missbräuche hätte es nicht in dieser Zahl gegeben.

Gut, dass inzwischen wenigstens offen darüber geredet und geschrieben werden kann. Nur wird man angesichts der dabei angewendeten Methoden den Verdacht nicht los, dass die publizistische Selbstkasteiung der Kirche wie deren journalistische Unterstützung das gegenteilige Ziel verfolgen: Das ganze als Mixa-Problem personalisieren, um ihn zum Schweigen zu bringen und so die Dikussion schnellstmöglich wieder aus den Schlagzeilen zu kriegen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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