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Eine polemisch-satirische Antwort an Sabine Weber

Mit leichter Verspätung ist sie nun da: Sabine Weber, Präsidentin der Scientology Kirche Berlin e.V. Von München in die deutsche Hauptstadt gekommen, um von dort aus eine bessere Welt zu errichten, ist sie gestern hier gelandet, beim Freitag, mitten unter uns Bloggern. Und mich hat sie ausersehen, der erste zu sein, in dessen Blog sie einen Kommentar hinterlässt.

„Alles, was Du von nun an sagst, kann gegen Dich verwendet werden.“, war mein erster Gedanke. Ihr Applaus, mein Verhängnis. Ausgerechnet mein Beitrag über Thomas Gandow hat ihr gefallen. Meinen Disput mit Matthias Dell über die journalistische Unterbewertung ihrer Organisation scheint sie wohl nicht entdeckt zu haben. Was aber erst, wenn sie auch noch meine psychiatriekritischen Beiträge über die Präventivjustiz entdeckt? Oder meinen kirchenkritischen Nachruf Axel Noack ("Wohin mit einem arbeitslosen Bischof?")? Jetzt sicher schon in Sektenverdacht geraten, werde ich dann wohl endgültig verbrannt sein.

Dabei könnte ich schwören, mich in Absurdistan trotz aller Ungereimtheiten wohler als in deren perfekter neuer Welt, die aus lauter cleanen und clearen Subjekten bestehen soll und die in meinen Augen ebenso brutal und beängstigend wäre wie die der Blonden und Blauäugigen, die ein anderer Ex-Münchner von Berlin aus errichten wollte.

Natürlich hinkt ein solcher Vergleich. Diesmal springt weder die Begeisterung auf die Massen über, noch hat die charmante Präsidentin irgendeine Ähnlichkeit mit dem durchkrampften Pathetiker. Außerdem sind Scientologen aus Sicht demokratisch geführter US-Regierungen in Deutschland die neuen Juden und nicht etwa die neuen Nazis. Tom Cruise als Führer-Attentäter ist der seriöse, lebende Beweis dafür. Das konnte man seit Februar im Kino sehen oder bei einem meiner ehemaligen Oberen, den unsere taz-Kollegen den „GröFaZ“ nennen (Größter Feuilletonist aller Zeiten), schon vor 2 Jahren in der Zeitung lesen.

Meine Sorge, im falschen Film zu sein, war damals allerdings nur ein lauer Vorgeschmack auf das, was ich jetzt erleben darf. Inzwischen schreibe ich nicht mit dem (ansonsten ja ganz patenten) GröFaZ in derselben Zeitung, sondern mit der Scientology-Präsidentin im selben Blog, und zwar in meinem. Und um meine Sektenangst auf die Spitze zu treiben, ist sie in ihrer sachlich-charmanten Art auch noch so höflich und wohlwollend mit mir und der ganzen evangelischen Kirche, wie ich es nicht einmal selbst sein kann – dazu weiß ich zuviel. Gestern Besier und morgen ein unbekannter Autor mit dem Bloggernamen ‚ChristianBerlin’“, geht einem da durch den Kopf.

Was mich nur wundert: Ihre eigene Organisation müsste Sabine Weber doch ebenfalls gut kennen und eigentlich genug über sie wissen, um deren Dialogfähigkeit ausschließen zu können. Die scheitert nämlich bei „jungen Religionen“, Sekten und totalitären Weltanschauungen oder - wenn man Gandow glaubt - bei als Religion getarnten Geheimdiensten zwingend an deren Selbstanspruch, den einzig wahren Weg zu kennen und zu verkörpern – auch und insbesondere dann, wenn deren Tarnung so perfekt ist, dass sogar die Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf sie hereinfallen müssen.

Nicht ganz Unrecht hat meine Kommentatorin allerdings mit ihrer Einschätzung, dass Evangelen Dialogbereitschaft gut ansteht. Dieser Gedanke hat eine lange Tradition. Die Evangelische Kirche wusste von Anfang an, dass sie eine bloße Ersatzvornahme ist für die einzig wahre katholische, territorial begrenzt und zeitlich befristet und deshalb bis zum Tridentinum immer dialogbereit, wo es – wenn man Zeitzeugen wie Paolo Sarpi glauben darf - sogar beinah zur Wiedervereinigung gekommen wäre.

Wenn aber eine Seite den Dialog nur strategisch führt, sitzt die andere von vornherein am schwächeren Ende. Auch das wissen die Evangelen nur zu gut - spätestens, seitdem die von Julius III protegierte Kampftruppe der Gegenreformation namens Societas Iesu mit ihrer klaren Unterordnungsdoktrin die frühneuzeitliche autoritär-autokratische römische Weltkirche durchsetze, der die Piusbrüder heute noch nachtrauern.

Nach allem, was wir aus unabhängigen Quellen über Scientologen wissen, haben sie den gleichen autoritären Selbstanspruch und eine noch raffiniertere Strategie, ihn zu verschleiern. Die Beweise dafür sind aus den umfangreichen Recherchen und Veröffentlichungen unserer beider Journalistenkollegen Frank Nordhausen (Berliner Zeitung) und Liane von Billerbeck allgemein bekannt. Nicht zu vergessen die Beiträge von Jürgen Meier oder Thomas Klatt hier beim Freitag. Da ich bisher von keiner Unterlassungsverfügung weiß, darf ich mit gutem Gewissen voraussetzen, dass sie stimmen, ohne alle Details selbst nachprüfen zu müssen.

Dann aber ist die Konsequenz unabweisbar: Dialog zwischen der Scientology Church und der Ev. Kirche kommt nicht in Frage, allenfalls eine „Disputatio Advocatus Diaboli“ – von beiden Seiten her gesehen, versteht sich. Klare Fronten und Grenzlinien aufzuzeigen, insbesondere da, wo sie verschleiert werden, das und nicht mehr (aber auch nicht weniger) ist neben der Beratung von Betroffenen und Aussteigern die wichtigste Aufgabe der evangelischen Sektenbeauftragten. Schade, dass es sie noch nicht gab, als 1920 eine politische Partei ein „Positives Christentum“ in ihr Programm schrieb. Die genau ein Jahr später gegründet "Apologetische Centrale" mag das teilweise versucht haben, doch war sie zu niedrig angebunden. Ihre Auflösung erfolgte 1937 durch die Gestapo.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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