Willkommensgruß und Antwort an Kia

Palästinakonflikt Unsere neue MitBloggerin Kia hatte eine kritische Frage zu meiner These, der Nahost-Konflikt spiegele die Spätfolgen der Vertreibungspolitik Hadrians. Hier die Antwort

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Liebe Kia,

zunächst noch mal herzlich willkommen in der FC bei den FreitagsBloggern!

Das hatte ich gestern bzw. heute Nacht zu sagen vergessen, mach ich sonst immer, wenn jemand frisch angemeldetes. Ich ziehe zur Wiedergutmachung meine Antwort auf Deine Kritik vor.

Das Thema Palästina-Konflikt dringt in Dimensionen, die hier #OFFTOPIC sind. Deshalb ist ein neuer BlogBeitrag vielleicht auch angezeigt. Der eigentliche Grund, dass ich Dir hier antworte, ist aber, dass das in meinem Blog im Moment nicht geht. Wahrscheinlich ein technischer Defekt des neuen Relaunch. Ich kann nicht mal mehr den eigenen Beitrag aufrufen.

Von der Sachlogik her ist das Thema mit dem Beschneidungsverbot eng verwandt. Bei beidem steht nämlich neuzeitlich aufgeklärtes Denken im Konflikt mit religiös archaischem. Die Frage ist: Kann man beidem zugleich Genüge tun oder geht eines immer auf Kosten des anderen? Ich halte das für prinzipiell möglich, aber es liegt gleichwohl nicht in jedermanns Interesse. Fundis wollen das z.B. nicht. Und nicht nur religiöse Fundamentalisten sind dagegen, auch aufklärerische Fundis sehen da keinen Sinn drin.

Deine Frage war konkret:

„Darf man den Autor so verstehen, dass die Palästinenser, das semitische arabische Volk also, nichtberechtigt in Palästina lebt?"

Nein. Den Autor darf man so nicht verstehen.

Der Autor weiß lediglich, dass es Fundamentalisten gibt (jüdische und christliche), die diese Forderung (Vertreibung aller Palästinenser aus Palästina) religiös begründet vertreten und sie politisch durchzusetzen versuchen. Er sieht in dieser (rein weltlich betrachtet unnötigen) Zuspitzung des Konfliktes eine absurde Spätfolge der Politik Hadrians.

Dieser Zusammenhang bedarf der Erläuterung. Ich mach das mal mit einer Begebenheit, die ich in Berlin vor 4 Jahren erlebt habe. Damals hatte ich manchmal in einer ehemals landeskirchlichen Gemeinschaft im Wedding gepredigt, die am Überaltern und Aussterben war. Die hatte sich an jenem Sonntag einen fundamentalistischen Ex-Hannoveraner eingeladen, der mit seiner Frau in Israel lebt und als Christ jüdischer als die Juden zu sein versuchte.

Stein des Anstoßes war schließlich für mich folgende politisch-theologische Konklusion des Gastpredigers: George W. Bush (damals noch Präsident) sei ein Verräter an der biblischen Wahrheit und kein als Christ anzusehender Präsident, weil er den Verbleib von Palästinensern im Gaza-Streifen dulde. Dies widerspreche dem Befehl des Herrn in Jeremia 47, der Weissagung gegen die Palästinenser „über den Tag, der da kommt, um zu verderben alle Palästinenser und auszurotten die letzten Helfer für Tyrus und Sidon. Denn der HERR wird die Palästinenser verderben, den Rest derer, die gekommen sind von der Insel Kaftor. Über Gaza wird Trauer kommen, und Aschkelon wird vernichtet." (Jer. 47,4f)

Ich habe diesen Gastprediger ohne theologische Ausbildung und ohne licencia conandi daraufhin gebeten, ob er mir eine kritische Rückfrage gestattet und dann kraft meines Amtes erklärt, dass sein Aufruf zu Vertreibung und/oder Völkermord aus evangelischer Sicht keine legitime christliche Auslegung von Jeremia 47 sei, ein solcher Konkretismus breche erstens mit der Tradition der Apostel und Kirchenväter, die territorialen Ansprüche auf das „gelobte Land“ jedenfalls für Christen als allegorische Aussagen über das Reich Gottes aufzufassen. Dessen diesseitige Dimension bestehe gerade in einem von Gott gewollten für allen offenen geschwisterlichen Miteinander, gleich welcher Abstammung sie sind. Zweitens sei seine Auslegung auch dann falsch, wenn man diese Allegorese der Apostel und Kirchenväter außer Acht lasse und den Text so zu verstehen versuche, wie Jeremia seine Weissagung (in Unkenntnis ihres christlichen Horizontes) selbst verstanden haben muss. Der habe mit den „Pelischtim“ nämlich nicht die heute im Hebräischen ebenso bezeichneten Palästinenser gemeint, sondern die Philister, ein Volk europäischer Seefahrer, das an den Küstenstädten Kanaans siedelte und seit der Zeit Abrahams mit den Hebräern wie ein Erbfeind häufig im Krieg lag.

Genau da liegt die tragische Konsequenz aus der Vertreibungspolitik Hadrians: Die dort heute lebenden semitischen Geschwister der Hebräer haben durch die Umbennung Judäas in Palästina nach den „Pelischtim“ den Namen der europäischstämmigen Erbfeinde Israels geerbt, gegen die unzählige feindselige Weissagungen im TNK stehen. Hätte Hadrian nicht einen anderen Namen wählen können – z.B. Jovitanien (nach Jupiter)? Dann wäre eine Auslegung von Jeremia 47, wie Herr Balke sie vornahm – und sicher nicht als einziger vornimmt – so gar nicht möglich gewesen.

Ich kam mit meinen Ausführungen übrigens nicht zu Ende. Die Frau des Gastpredigers hat mich schon nach den ersten Sätzen niederzuschreien versucht, so dass keiner mehr ein Wort verstehen konnte. Meiner (von mir leider damals schon getrennt lebenden) Frau tat es leid, dass sie für diesen Anlass Kuchen gebacken hatte, und ich konnte den Gemeindevorsteher leider nicht davon überzeugen, dem Gast die Spesen von ca. 300 Euro zu kürzen. Kurze Zeit später wurde dann diese Gemeinschaft aufgelöst, was ich auch richtig fand. Wer einem solchen Falschprofeten und Hassprediger einlädt und ihm nicht ins Angesicht widersteht, kann kein Streiter Christi sein. Mit dem Reich Gottes hat eine solche unchristliche Hetze nichts mehr zu tun.

Ob die Interpretation von Herrn Balke eine korrekte jüdische Interpretation wäre, müssen andere beurteilen, das steht nicht in meiner Kompetenz. Eine gültige christliche Deutung ist das jedenfalls nicht, da bin ich sicher. Wenn sie das wäre, müsste ich auf mein Amt verzichten, aber sie ist es nicht. Sie ist einfach nur dumm und unchristlich.

LG Christian

PS: Inzwischen funktioniert der andere Blog wieder, JJK hat das sofort untersuchen und reparieren lassen. Dank an Jan und den FC-Support. Ihr könnt diese Antwort jetzt sowohl hüben als auch drüben diskutieren, wie ihr möchtet. Ich muss aber gleich zur Chroprobe mit dem Berliner Straßenchor für unser Konzert in Stockach (Bodensee) in einer Woche.

Dieser BlogBeitrag antwortet auf eine Frage von R2D2 zu dem Beitrag https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/beschneidung-verbieten-religion-beseitigen

der gerade durch ein Bug lahmgelegt war.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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