Der Qualm des Fackelträgers

Energiewende China macht spürbare Fortschritte im Kampf für das Klima. Warum plant es jetzt neue Kohlekraftwerke?
Ausgabe 52/2019

Der Kampf gegen die globale Erwärmung wird wohl in China entschieden. Seit 2006 ist das Land der weltgrößte Emittent von Treibhausgasen – naheliegend, da jeder fünfte Erdenbürger Chinese ist. Derzeit stößt China rund 10 Milliarden Tonnen CO₂-Äquivalent aus, fast ein Drittel der 36 Milliarden weltweit.

Doch ist es wirklich „China“, das hier CO₂ produziert? Ein Beispiel: Nach Daten des Carbon Trust ist China zwar der größte Emittent des globalen Bekleidungssektors. Doch davon gehen 72 Prozent auf globale Marken zurück, die in China fertigen lassen und dann die produzierten Kleider ebenso wie ihre Profite exportieren.

Zugleich investiert kein Land mehr in erneuerbare Energien. Bis 2030 will China seine Emissionen relativ zur Wirtschaftsleistung um 60 bis 65 Prozent gegenüber 2005 senken, so hat es die Regierung im globalen Klimaabkommen von Paris zugesagt. Spätestens 2050 will China dann klimaneutral sein.

Klingt gut. Umso verstörender sind Meldungen über Pläne gewaltiger neuer Kohle-Kapazitäten. Aktuell seien Kohlekraftwerke mit knapp 150 Gigawatt (GW) im Bau, berichtet die Nichtregierungsorganisation End Coal. Zwischen September 2014 und März 2016 wurden demnach insgesamt 245 GW genehmigt, was darauf zurückgeht, dass Peking in dieser kurzen Phase den Provinzen gestattet hatte, über solche Großprojekte selbst zu entscheiden – für diese ist Klimaschutz keine Priorität.

Noch ist ungewiss, wie viel davon jemals ans Netz gehen wird. Doch allein von Anfang 2018 bis Juni 2019 wurden in China laut End Coal netto 42,9 GW Kohle-Kapazität installiert. Der einflussreiche Industrieverband China Electricity Council (CEC) schlug derweil vor, die Gesamtkapazität Chinas für 2030 bei 1.300 GW zu deckeln – das sind 250 GW mehr als die aktuelle Kapazität von 1.050 GW. Zum Vergleich: Die gesamte EU betreibt Kohlekraftwerke mit rund 150 GW Kapazität. Parallel sanken 2018 laut Bloomberg Chinas Investitionen in die erneuerbaren Energien auf 86 Milliarden US Dollar – gegenüber 122 Milliarden in 2017. Der Abwärtstrend setzte sich auch dieses Jahr weiter fort.

In der Flaute hin zur Kohle

Diese Zahlen werfen einen drohenden Schatten auf die Zukunft: Würde der Vorschlag des CEC offizielle Politik, wäre selbst das Ziel, die Erderwärmung auf zwei Grad zu beschränken, wohl nicht mehr erreichbar. Das ist zwar noch nicht entschieden. Doch offenbar verschieben sich wegen des Abflauens des Wirtschaftswachstums die Prioritäten der Regierung – vom Klimaschutz hin zu wirtschaftlicher Stabilität. Und die bedeutet immer auch: Kohle.

Vor drei Jahren hatte Präsident Xi Jinping gefordert, China müsse ein „Fackelträger“ beim Klimaschutz sein. Auf dem G20-Gipfel im Juli gelobte das Land „verstärkte Anstrengungen zur Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise“und verpflichtete sich, seine Klimaziele laut Pariser Klimaabkommen zu „aktualisieren“ und dabei „höchstmöglichen Ehrgeiz“ zu zeigen. Noch ist der offizielle Tenor unverändert: China werde sich an internationale Absprachen halten. Kommentatoren der Staatsmedien fordern immer wieder eine entschlossene Umwelt- und Klimapolitik.

Die Fortschritte sind durchaus messbar. 2014 lagen Chinas Emissionen pro Einheit der Wirtschaftsleistung bereits um 33,8 Prozent unter dem Niveau von 2005. Im selben Jahr ging der Kohleverbrauch in China erstmals leicht zurück. Manche Experten prophezeiten damals, dass China auch den absoluten Gipfel früher erreichen werde als zugesagt. Auch wenn China sich stets auf seinen Status als Entwicklungsland beruft, um Konzessionen zu erzwingen: Klimaleugner gibt es in China nicht.

Kein Land hat bisher so viel in erneuerbare Energien investiert wie China. Beim Flug über die Innere Mongolei sind riesige Windanlagen zu sehen; bei Fahrten von Peking Richtung Nordwesten Dutzende Photovoltaikanlagen auf den Südhängen der kargen Berglandschaft. Die installierte Kapazität der Erneuerbaren lag nach Angaben der Nationalen Energiebehörde Ende 2018 bei ingesamt 728 GW. Das entspricht 38 Prozent von Chinas Gesamtkapazität – gegenüber 55 Prozent Kohle.

Doch der Anteil der Erneuerbaren an der tatsächlichen Energieproduktion ist geringer als jener an der Kapazität, er lag Ende 2018 nur bei 22 Prozent. Das liegt an der Verschwendung von Ökostrom. Er wird vor allem in den weiten Hochebenen Westchinas generiert, der Bedarf liegt aber in den Metropolen an der Küste; und in den Stromleitungen konkurrieren die Erneuerbaren mit Kohlestrom – der von vielen Lokalfunktionären bevorzugt wird. Die Folge: Die Netze verteilen zu wenig Ökostrom, große Teile des generierten Stroms verpuffen. In der autonomen Region Xinjiang im Westen Chinas sind es laut Greenpeace bis zu 40 Prozent der Windenergie. 2017 stellte Peking deshalb einen Drei-Jahres-Plan zum Stopp der Verschwendung auf. Immerhin generiert schon jetzt kein Land mehr Solarstrom als China.

Auch die Elektrifizierung des Straßenverkehrs wird hier wie sonst nirgendwo forciert. 2025 sollen fünf Millionen Stromer auf den Straßen rollen; jedes fünfte verkaufte Auto soll dann ein Elektroauto sein. Für die Zukunft deutete China ein Verbot des Verbrennungsmotors an. Elektroautos helfen gegen den Smog in den Metropolen und sollen das Land unabhängiger von Ölimporten machen. Außerdem strebt Peking eine globale technologische Führungsrolle chinesischer Firmen an.

Die Regierung investiert zudem massiv in die Ladeinfrastruktur. Nur ein Beispiel: Die Südmetropole Shenzhen mit mehr als zehn Millionen Einwohnern hat ihre gesamte Busflotte auf Elektroantrieb umgestellt (der Freitag 12/2019). BYD, Elektroauto-Pionier aus Shenzhen, verkauft seine Elektrobusse nun auch in Europa. Liu Xiaoshi, Chef der regierungsnahen Elektroplattform EV100, kündigte jüngst gegenüber einer Delegation aus Deutschland an, bei den Olympischen Spielen 2022 im Austragungsort der Skiwettkämpfe Zhangjiakou 1.800 Busse mit Brennstoffzellen einzusetzen.

Am Scheideweg

China setzt auf technologischen Fortschritt, um seine Energiewende zu bewerkstelligen. Fortschritt wiederum braucht Zeit. Das ist das eine – eine Abkehr von der Energiewende aber hätte eine völlig andere Qualität. Chinas Zentralbank schätzt den jährlichen Aufwand für einen Übergang zur kohlenstoffarmen Wirtschaft auf eine Billion US-Dollar. Die Regierung könne aber nur etwa 15 Prozent dieser Gelder bereitstellen, sagt Deborah Lehr, Direktorin des Paulson Institute. „Der Rest muss aus dem Privatsektor kommen. Und die Gefahr einer globalen Rezession macht es schwerer, Geld zu beschaffen.“

Chinas Wirtschaft ist 2018 laut offiziellen Zahlen zwar um 6,6 Prozent gewachsen – das ist viel im globalen Vergleich, bedeutet für China aber einen seit Jahren anhaltenden Wachstumsrückgang. Daher steigt der Anreiz, mit althergebrachter Politik die Wirtschaft anzukurbeln. China hat das in früheren Jahren stets mit staatlich gesteuerten, energieintensiven Infrastrukturprojekten getan. „In einigen von Smog betroffenen Regionen Chinas wurde in der zweiten Jahreshälfte 2018 eine Lockerung der strengen Kontrolle umweltschädlicher Industrien wie Stahl und Zement festgestellt“, sagt Ma Jun vom Institute of Public and Environmental Affairs in Peking.

Der Kohleverbrauch stieg 2018 wieder leicht an, wenn auch nur um 0,8 Prozent. Auch Chinas CO₂-Emissionen legten laut Lehr um 2,3 Prozent zu, zum zweiten Mal in Folge, nachdem Chinas Emissionen von 2014 bis 2016 zurückgegangen waren.

Peking steht also am Scheideweg. Will es Vorreiter beim globalen Klimaschutz sein – oder gibt es dem Druck von Kohleindustrie und Provinzfunktionären nach? Mit Letzterem würde es nicht nur den Kampf gegen den Klimawandel untergraben, sondern auch sich selbst schaden. China ist längst betroffen, der trockene Nordwesten zum Beispiel wird immer häufiger von Dürren heimgesucht. Eine Studie der Chinese University of Hong Kong schätzt, dass die Luftverschmutzung China jährlich rund 34 Milliarden Euro kostet. Und: Umweltverschmutzung ist der häufigste Auslöser für Proteste quer durchs Land.

Dem kann sich auch die Regierung nicht entziehen. In Peking etwa beschlossen die Lokalbehörden nach einer Online-Petition von Bürgern höhere Transparenz bei den Luftwerten – und striktere Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Fabriken wurden ausgelagert und mussten Filter einbauen, sämtliche Kohlekraftwerke geschlossen. Die Luft ist in Peking seither besser geworden. Wird es dabei bleiben?

Christiane Kühl berichtet seit 2000 als Korrespondentin aus China

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