Neulich wurde eine Attac-Aktivistin in einer Veranstaltung gefragt: "Was hindert Sie daran, sich in dem Projekt von Linkspartei oder WASG zu engagieren?" Ihre Antwort: "Gockelgehabe und Hahnenkämpfe". Der ganze Saal lachte.
Es ist natürlich unzutreffend, die neue Linke auf Gockelgehabe und Hahnenkämpfe zu reduzieren. Eben so leichtfertig wäre es, die Schwächen zu übersehen, mit denen ihr Start behaftet ist. Die mögen dem Zeitraffertempo geschuldet sein, in dem sich WASG und Linkspartei einander annähern. Doch ohne Kritik können sich die Kinderkrankheiten zu handfesten Handicaps auswachsen. Dazu ist das Vorhaben zu wertvoll.
Auf eine schlechte Regierung haben Menschen in Westdeutschland in den letzten 60 Jahren noch nie mit der Bereitschaft geantwortet, eine Linkspartei relevant zu machen. Was zur Zeit geschieht, ist ein kultureller und politischer Bruch mit der Selbstdefinition des alten Bundesrepublik, die kommunistische, sozialistische Gruppen und alle, die mit ihnen zu tun hatten, aus dem Verfassungsbogen ausschloss. Dieser Bruch stößt die Tür zu einer Neudefinition des politischen Systems und zu einer neuen Linken auf.
Die ist in ihrer jetzigen, noch rudimentären, Erscheinungsform männerdominiert, trotz 50-Prozent-Quote auf den Bundestagslisten der Linkspartei. Im Wahlprogramm der WASG treten Frauen ausschließlich im Doppelpack mit Männern auf oder Mütter mit Vätern. Das ist ein Rückfall hinter die geschlechtsspezifischen Standards des Gender-Mainstreaming. Die Linkspartei hingegen geht in ihrem Wahlprogramm von einer Kritik des Patriarchats aus und will die "strukturelle Diskriminierung des weiblichen Geschlechts" aufheben. "Dieser Prozess der Veränderung und Selbstveränderung beginnt mit Gleichberechtigung und Frauenförderung." In der Auseinandersetzung etwa mit Sozial- und Arbeitsmarktgesetzen oder Globalisierung und neuen Kriegen werden die spezifischen Auswirkungen auf Frauen und Männer bedacht. Stringent hält allerdings Die Linkspartei ihren Anspruch nicht durch, Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen der Politik herzustellen.
Die Linkspartei hat Frauenstrukturen, die 50-Prozent-Quote, in ihren Landtagsfraktionen und der Bundestagsfraktion, solange es sie gab, wird feministische Politik als Querschnittsaufgabe bearbeitet. Bundesweit sind 46 Prozent der Linkspartei-Mitglieder Frauen, aber in den westlichen Landesverbänden mit ihren 24,8 Prozent sieht es ähnlich schlecht aus wie in der WASG mit ihrem Frauenanteil von knapp 25 Prozent.
Den Status quo zu wahren, wäre zu wenig für die Linke. Erneuern würde sie ein qualitativer Sprung in der Reflexion der Geschlechterverhältnisse. Das will der Linke FrauenAufbruch erreichen, eine Initiative von unorganisierten und organisierten Frauen aus WASG und Linkspartei.
Von einer Linken, die sich endlich nicht weiter in ihre Klein- und Kleinstteile zerlegt, sondern den Willen zur Gemeinsamkeit hat, geht eine große Anziehungskraft aus. Aber sowohl die ex-kommunistische als auch die sozialdemokratische Strömung tragen in sich Denkstrukturen und Verhaltensweisen der alten Arbeiterbewegung, darunter eine Kultur männlicher Dominanz und Ignoranz.
Gemeinsame Geschichte
Gleichwohl hat die Arbeiter- und Frauenbewegung des vergangenen Jahrhunderts viel bewegt im Kampf gegen das Abtreibungsverbot, für Frauenwahlrecht und gleiche Rechte, Frauenerwerbsarbeit, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, in der Kritik bürgerlicher Doppelmoral. Sie hat Frauen ermutigt, ihre Interessen zu vertreten. Politisch und theoretisch jedoch blieb die "Frauenfrage" eine (ab-)gesonderte und untergeordnete Frage, auch in den realsozialistischen Ländern mit ihrer breiten Frauenförderung in Bildung, Beruf, Wissenschaft, Kunst und Politik. Feministische Politik hingegen befreit "Frauenpolitik" aus ihrem Sonderstatus und verficht den Anspruch: Jegliche Politik ist Frauenpolitik.
Die alte These, wonach mit der Arbeiterklasse auch die Frauen befreit würden, haben die sozialistische und die links-sozialdemokratische Strömung hinter sich gelassen. Doch die neue Dimension der sozialen Frage haben sie sich noch nicht kohärent erschlossen. Im feministischen Ansatz sind Ökologie, Demokratie und Geschlechtergerechtigkeit der Lösung der sozialen Frage nicht nachgeordnet, sie verschränken sich vielmehr zu einer widersprüchlichen Einheit. Den einen Schlüssel zur Beseitigung von Frauenunterdrückung gibt es nicht. Sie sitzt in den Produktionsverhältnissen, im Überbau und in den Köpfen der Individuen, in Hausarbeit, Familie und Lohnarbeit, in Körper, Kultur, Sexualität, in der Definition von Zeit, Nation, Geschlecht.
Noch haben beide Strömungen die Marxsche Kritik repressiver Herrschaftsmechanismen in Staat und Familie kaum verinnerlicht oder weiter entwickelt. Beide sind anfällig für ein hierarchisches Verhältnis zu sozialen Bewegungen. Der Feminismus ist darauf gerichtet, die Mechanismen und Modalitäten von Politik, Moral und Macht umzuwälzen und unterstreicht mit Rosa Luxemburg: Die Befreiung der Menschen muss ihr eigenes Werk sein - oder sie ist keine Befreiung, sondern eine andere Form von Subalternität.
Allein (gelassen) kann aus der Vereinigung von WASG und Linkspartei eine größere parteipolitisch organisierte Linke hervorgehen. Damit Neues entsteht, bedarf es inhaltlicher Signale an außerparlamentarische und feministische Bewegungen. Vor allem dieses: Das Verhältnis öffentlich/privat wird neu austariert und das berührt die ureigenste feministische Forderung nach Aufhebung der Trennung von Öffentlichem und Privatem; nach Überwindung der patriarchalen Unordnung, in der Männer mit der Produktion von Waren Geld verdienen und die öffentlichen Räume besetzen, während sich Frauen im Privaten unentgeltlich um die Familie kümmern. Das Öffentliche und Private haben sich jeweils verändert durch mehr Frauenrechte und ihre höhere "außerhäusliche Erwerbsarbeit". Die Trennung der beiden Bereiche aber blieb.
Spätestens seit Beginn der neunziger Jahre wird daran gerüttelt. Das zeichnet den Neoliberalismus als neue Stufe kapitalistischer Entwicklung aus - zusammen mit der Verschiebung von Warenproduktion und Geldgeschäften zugunsten der Finanzmärkte. Jetzt wird das Private öffentlich und das Öffentliche privat. Aber in welcher Form!
Nur ein kleiner Schritt
Privatisiert wird die öffentliche Daseinsvorsorge. Öffentlich Profitzwecken unterworfen wird die private Reproduktion. Kinder aufziehen, alte Menschen pflegen, Geschichten erzählen, Sport treiben, Kunst - all das wird zu einem gigantischen Markt des Niedriglohnsektors und der Ein-Euro-Jobs. Die Kapitalisierung des Privaten vollzieht sich zutiefst patriarchal in der Hausfrauenform: niedrig entlohnt, kaum geschützt, ohne die Freiheit, Arbeitsbedingungen auszuhandeln. Hier wird hinzuverdient, hier gibt es ein Taschengeld, eine Aufwandsentschädigung, von der freilich die Dienenden, Männer und Frauen, leben müssen. Die Arbeit am und mit Menschen wird entprofessionalisiert und dequalifiziert. So hatten sich Feministinnen das nicht gedacht. Aber ein Zurück zur Reproduktion in der Familie ist weder möglich noch wünschenswert.
Spätestens an dieser Stelle wird die "Frauenfrage" zu einer Schlüsselfrage moderner Gesellschaftspolitik. Es bedarf nur eines kleinen Schritts: Die Linke muss bewusst dafür eintreten, die von Frauen geleisteten Arbeiten in die Verantwortung der gesamten Gesellschaft zu bringen. Aus dieser Perspektive könnte sie eine streitbare politische Plattform zur Erneuerung des Sozialstaates und zum Aufbau eines starken Sektors für qualitativ hohe soziale Dienstleistungen entwickeln. Die "neue soziale Idee" würde Konturen und gesellschaftsverändernde Kraft gewinnen.
Der neuen Linken bleibt nur eine kurze Frist, Hoffnungen zu beflügeln und nicht zu enttäuschen. Diese Chance verstreichen zu lassen, ohne sich als Bewegungen, als unorganisierte Linke, als Feministinnen einzumischen, wäre eigentlich schade.
Christiane Reymann ist Bundessprecherin von LISA, der feministischen Frauenarbeitsgemeinschaft der Linkspartei und engagiert im Linken FrauenAufbruch, www.linker-frauen-aufbruch.de
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