Strategie für eine stabile Basis

Baukultur Im November wurde der Baukulturbericht der Bundesstiftung Baukultur vorgelegt. Er macht deutlich, wie sie ihren Auftrag erfüllen will.

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Der Baukulturbericht ist ein politisches Instrument. Denn: „Die Bundesstiftung hat die Verantwortung, dem Bundeskabinett und -parlament alle zwei Jahre einen Bericht zur Lage der Baukultur in Deutschland vorzulegen.“ So heißt es auf der Internetseite der Bundesstiftung Baukultur. Bislang freilich gab es nach einem ersten 2001 nur einen weiteren 2005 – nun erst, fertiggestellt im August und vorgestellt auf dem Konvent der Baukultur in Potsdam im November, liegt wieder ein Baukulturbericht vor. Es ist der erste, der unter der Federführung der Stiftung herausgegeben wird, und er zeigt, in welche Richtung Rainer Nagel, seit 2013 ihr Vorstandsvorsitzender, die Stiftung entwickeln will. Er ist offensichtlich entschlossen, den politischen Wert des Privilegs, Kabinett und Parlament einen Bericht vorlegen zu dürfen, zu nutzen. Heißt: Die Stiftung will sich gewissenhaft um die Politik bemühen. Und, das zeigt die Publikation, sie will sie in die Pflicht nehmen.
Der Bericht ist nicht für Fein- und Schöngeister geschrieben, nicht für Wissenschaftler (keine Fußnoten!), er sondiert nicht die Untiefen des Begriffs Baukultur. Er richtet sich nicht an Architekten und Planer, um ihnen eine anspruchsvolle Reflexion ihrer gestalterischen Praxis abzuverlangen, auch nicht, um für ihre Arbeit aufwändig bebildert zu werben. Wenn er sich an Architekten und Planer richtet, dann, um ihnen Argumente zu liefern, ebenfalls das zu tun, was sich die Bundesstiftung vorgenommen hat – sich um die zu bemühen, denen die Notwendigkeit einer gewissenhaften Planung und einer guten Gestaltung keine Selbstverständlichkeit ist.
Damit dies geleistet werden kann, unterlässt der Bericht etwas Weiteres. Er nimmt nicht Stellung für eine oder mehrere der vielen verschiedenen Positionen, mit denen Architekten und Planer untereinander darüber streiten, wie sie ihrer Arbeit nachgehen sollten. Keine Stil-, keine Richtungsdebatten, keine Bewertungen geschichtlicher Architektur, mit dem Ziel, sie normativ als Leitlinie des Entwerfens zu deuten. Baukultur, so die Botschaft zwischen den Zeilen, ist die Basis, auf der sich diese Debatten erst entfalten. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass solche Debatten sinnstiftend sind, sie ist die Grundlage, auf der man für die eine und gegen die andere Ansicht streitet, ohne dass dadurch diese Grundlage in Frage gestellt wäre.

Gefährdungen und ein kluger Schachzug

Das heißt aber gerade nicht, dass diese Grundlage nicht in Frage gestellt ist – und um diese Gefährdungen geht es ganz wesentlich im Bericht. Ökonomische, kurzfristige Interessen sorgen für die Bauten, die heute banal sind und morgen ein Problem sein werden. Strukturelle Voraussetzungen – personelle Unterbesetzung in den Ämtern und Ausbildungsstätten etwa – bedingen es, dass Verantwortung nicht wahrgenommen werden kann. Im Streit um Mittel und Aufmerksamkeit haben andere Lobbys erfolgreicher agiert, als es der Lebensqualität unserer Städte gut tut. Die Dominanz des motorisierten Individualverkehrs ist das von Kommunen am häufigsten genannte Konfliktfeld im öffentlichen Raum – so ergab es eine Erhebung des Deutschen Instituts für Urbanistik, die die Bundesstiftung für diesen Bericht initiiert hatte, um belastbare Zahlen für ihre Anliegen vorlegen zu können. Dem entspricht, dass Menschen Verkehrslärm und Abgase in ihrem Wohngebiet am meisten stören. Das ergab eine Bevölkerungsumfrage – die zweite Untersuchung, die die Stiftung in Auftrag gegeben hatte.
Dieser kluge Schachzug, selbst Untersuchungen in Auftrag zu geben (und damit darüber entscheiden zu können, wonach gefragt wird), ist wahrscheinlich die entscheidende Neuerung. Diese Untersuchungen geben der Substanz des Berichts eine quantitative Fundierung, belegen seine Forderungen ebenso wie die aufgeführten Chancen von Baukultur und die identifizierten Defizite ihrer Praxis. Auf dieser Fundierung können sich, so ist zu hoffen, die qualitativen Aussagen gerade gegen Zweifler behaupten.
Der Bericht baut ansonsten auf den drei in Berlin durchgeführten Baukulturwerkstätten auf, die sich mit gemischten Wohngebieten, dem öffentlichen Raum und der Infrastruktur sowie der Frage nach Planungs- und Prozessqualität gewidmet haben. Diese drei Themen stellen den einen Hauptteil, den anderen macht die Darstellung der Ausgangslage in den Städten aus. Deren Erarbeitung wurde durch Expertenbefragungen und den Austausch mit verschiedensten Gremien, Verbänden und Institutionen flankiert. Das merkt man dem Bericht an. Er ist bemüht, kein Thema zu verschweigen, läuft am Ende mit den 31 Handlungsempfehlungen Gefahr, zu viel auf einmal zu wollen. Versteht man ihn aber als das politische Instrument, das einen Prozess in Gang setzen soll, der Baukultur als Thema auf der politischen Ebene verankert, um tatsächlich Änderungen zu bewirken, ist diese Überforderung des Adressaten vielleicht aber sogar sinnvoll. Hoffentlich sorgt sie auch dafür, dass die dürr besetzte Stiftung etwas üppiger ausgestattet wird.

Ein Wunsch zum Schluss

Nachdem in diesem Bericht der Schwerpunkt auf die Städte gelegt wurde, soll der kommende stärker die kleineren Gemeinden und den ländlichen Raum berücksichtigen. Das ist sicher eine gute Entscheidung. Wenn man bei aller Kenntnis des Anliegens, bei allem Wohlwollen gegenüber dem strategisch klugen Vorgehen einen Wunsch für die weitere Arbeit äußern dürfte, so würde ich mir wünschen, dass das Verhältnis zwischen öffentlichem Auftrag, öffentlicher Hand und privaten Akteuren einmal intensiver beleuchtet würde. Denn hier zeigt sich konkret, was es heißt, dass Baukultur eine öffentliche Angelegenheit ist. Nicht nur die prekäre personelle Situation in den Verwaltungen, auch das Verhalten mancher Gesellschaften, die zwar in öffentlicher Hand sind, aber wie Private agieren, wirft so manche Frage danach auf, ob hier die Balance noch stimmt. Und es muss auch einmal danach gefragt werden, wie sich tatsächlich Private für die Leistungen der öffentlichen Hand – Baurecht zu schaffen, die Basis für Wertstabilität und -steigerung zu legen – gegenüber der Öffentlichkeit erkenntlich zeigen. Immerhin: Die Hoffnung besteht, dass eine solche Diskussion tatsächlich von der Bundesstiftung wirkungsvoll initiiert werden könnte.

Der Baukulturbericht kann über die Internetseiten der Stiftung heruntergeladen werden.
Die ausführliche Dokumentation der Umfragen ist dort als Baukulturbarometer ebenfalls zugänglich.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christian Holl

Freier Autor, Kritiker und Kurator in den Bereichen Architektur, Architekturtheorie und Städtebau.

Christian Holl

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