Wohlfühlstadt

Werkbundstadt Berlin In Berlin soll gelingen, was in München scheiterte. Der Deusche Werkbund plant dort den Bau eines Quartiers. Ob es ihm zur Ehre gereicht?

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Vor kurzem wurde Zlatan Ibrahimovic 35. Gelegenheit für die einschlägigen Fachmedien, an einige der zahlreichen Sprüche zu erinnern, die der extravagante Fußballspieler im Laufe seiner Karriere von sich gab. Ein Beispiel. Reporter: „Wer gewinnt das Spiel?“ Ibrahimovic: „Das weiß nur Gott.“ Reporter: „Es ist etwas schwierig, ihn zu fragen.“ Ibrahimovic: „Naja, er steht doch direkt vor dir.“ Man nennt solche Spieler Typen. Sie werden bewundert, sie dürfen bestimmte Dinge sagen, weil sie auf dem Platz Dinge tun, die sonst kaum einer kann. Der Fallrückzieher im Spiel gegen England war etwas in dieser Art – wer das kann, darf auch Großmaul sein.

Unter Architekten ist das Sprücheklopfen nicht mehr groß in Mode. Max Bächer spottete, so wird überliefert, über „Künstlerarchitekten, die sich für bedeutend halten, weil es rein regnet.“ Aber Max Bächer ist tot. Der Ibrahimovic unter den Architekten könnte derzeit wohl am ehesten Paul Kahlfeldt sein, er versucht es zumindest nach Kräften. Wenn ein Architekt keine gute Krawatte trage, sei er kein Architekt. Steigerungsfähig. Zuletzt bezeichnete er Kollegen als Dickstrahlpisser und klagte über den „relativ geringen“ Intelligenzquotienten von Architekten. Schon besser. Was bei Ibrahimovic der Fallrückzieher, ist in diesem Fall die Werkbundstadt, ein Projekt des Deutschen Werkbunds für ein Quartier in Berlin. Derzeit ein Tanklager, sollen auf einem Grundstück an der Spree bald 1200 Menschen wohnen, 33 Architekten werden bauen.

Im Dickstrahlpisser-Interview erfährt man aber leider nicht besonders viel über das Projekt. Weder, wie die Architekten ausgewählt wurden, noch, was die Qualitätsmaßstäbe für die Architektur waren. Nicht, wie es finanziert wird, nicht, wer dort wohnen wird. „Uns geht es darum, die heutigen Rahmenbedingungen zu akzeptieren, und daraus das beste zu machen.“ Bescheidenheit als Montranz. Wahrscheinlich gehört auch der IQ der Architekten zu den Rahmenbedingungen, die man akzeptieren muss. Man erfährt, was den Architekten vorgegeben wurde: eine Ziegelfassade. Außerdem, so kann man an anderer Stelle nachlesen, „sollen die konstituierenden architektonischen Elemente Sockel Eingang, Fassade und Dach thematisiert werden“. Und natürlich wird alles urban, keine Klötzchen auf der Wiese mit undichten Dächern, „Würfelhusten gegen Stadt“, so Kahlfeldt. Deswegen heißt das Projekt auch Werkbundstadt und nicht Werkbundsiedlung. Soweit hätte man sich schon vor 30 Jahren einigen können, neu ist immerhin das Sharing-Modell mit 400 Elektroautos und 2100 Fahrrädern von BMW – hier lebt noch etwas von der werkbundeigenen Verbindung von Gestaltungsanspruch und Industrie. Heißt auch: keine Stellplätze im öffentlichen Raum, der sich an der Stadt vor 1900 orientiert, jener der Frühindustrialisierung, als die Straßen noch nicht zu breit waren, so Kahlfeldt. Haussmann sei aber dennoch „schon nicht schlecht.“ Was denn nun?

Die Stadt der Architekten

So recht weiß man nicht, worin denn nun der besondere Beitrag der Werkbundstadt besteht, wie sie zeigen soll, wie Architektur mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umgeht. Soziale Mischung? Wird schwer ohne öffentliche Förderung. Funktionale Mischung? Bleibt diffuse Absichtserklärung. Reaktion auf die Herausforderungen der Klimawende? Energetische Experimente, das Quartier als Energieverbund? Neue Formen des Zusammenleben, gemeinschaftliches Wohnen auf der Höhe der Zeit? Bezahlbares Wohnen für viele jenseits der Massenkonfektion? Nichts, nichts, nichts. Kein Fallrückzieher, nirgends. „Wagnis an der Spree“ titelte die FAZ am Sonntag. Wagnis? Vielleicht weil das Baurecht so kompliziert ist, dass sich sogar Frau Hendricks dafür interessiert und sich fragt, warum es nicht schneller geht? Der Werkbund als Prellbock der Deregulierung. Und sonst?

Nein, hier läuft etwas gründlich schief. Da wird ein Quartier entstehen, das städtebaulich ansehnlich sein mag, das viele Besucher haben wird, allein schon wegen der vielen bekannten Architekten, die auch hochanständige Häuser mit anständigen Fassaden bauen werden, und weil es so viele sind, wird es auch schön bunt werden, trotz der Vorgabe, mit Ziegel zu bauen. Wenn ein Experiment darin besteht, etwas zu wagen, dessen Ausgang ungewiss ist, dann ist das eine experimentfreie Zone. Man kennt das Konzept: aus der Frankfurter Saalgasse, wo derzeit ein paar Meter weiter Ähnliches als Rekonstruktionskombi unter dem Namen „Neue Altstadt“ entsteht. Es gab die IBA Berlin, es gibt die Townhouses am Friedrichswerder, die Kasseler Unterneustadt, das Tübinger Französische Viertel, das Hunzikerareal in Zürich, wobei in Zürich, Tübingen und Kassel jeweils die städtebauliche, die soziale Idee am Anfang stand und gute Architektur ein Mittel war, sie zu realisieren, durchaus auch in Fragen des Eigentums, der sozialen Mischung, des Umgangs mit dem Bestand.

Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Beispielen lässt das Konzept der Werkbundstadt nicht erkennen. Statt dessen geht man wieder hinter die ambitionierten Konzepte zurück. In Berlin stehen aller Beteuerungen zum Trotz die Architekten im Mittelpunkt, aber ohne dass die Architektur ihr Potenzial ausschöpfte, gerade weil man ihr keine sie herausfordernde Aufgabe gibt. Die Versöhnung von Traditionalisten und Modernisten, die hier gesehen wird, ist eine, die für die Szene interessant sein mag, anderen macht sie nur anschaulich, was das Problem der Architekten ist: dass sie sich gerne mal in Auseinandersetzungen aufreiben, die an dem, was andere von Architektur erwarten, vorbei geht. Hier entsteht ein Wohlfühlquartier für den voraussichtlich (ziemlich) gehobenen Mittelstand in hoher Qualität. Gewiss nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Dass Architekten nicht mehr die Welt verändern wollen, mag man ihnen hoch anrechnen. Dass sie sich angesichts der Veränderungen der Welt darauf konzentrieren, so zu tun, als könnten sie verhindern, dass die Welt sich verändert, ist besorgniserregend. So macht man sich jenseits der Distinktionsbedürfnisse einer wohlhabenden Klientel überflüssig.

Lasst nun alle Hoffnung fahren? Nein, man sollte einfach nicht nur dorthin schauen, wo am lautesten geblasen wird. Es lohnt zum Beispiel ein Blick nach Hamburg. Dort wurden die Esso-Häuser abgerissen, der Investor, zunächst nicht zu unrecht, harsch kritisiert, hat sich als lernfähig erwiesen. Nun könnte dort etwas entstehen, das wirklich zeigt, wie mit den Spannungen in den Städten umgegangen werden kann, auch und gerade, wie Architektur dazu beitragen kann. Was hier versucht wird, ist ein Experiment. Mit Beteiligung, gemischt genutzt, mit geförderten Mietwohnungen. Und man wagt eine architektonische Sprache, die über Konventionen hinausgeht. Der wahrscheinlich entscheidende Unterschied: Hier ging das Projekt nicht von den Architekten aus. Das muss, auch das zeigt Hamburg, ganz und gar nicht schlimm sein, im Gegenteil. Aber in Berlin sollte es zu denken geben.

Weitere Information zur Werkbund-Projekt auf der Homepage der Werkbundstadt

Eine Bilderstrecke zu den Entwürfen hatte die Bauwelt zusammengestellt

Informationen zum Projekt in Hamburg sind zu finden auf planbude.de, beim NDR und auf den Seiten der Initiative Esso-Häuser

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Christian Holl

Freier Autor, Kritiker und Kurator in den Bereichen Architektur, Architekturtheorie und Städtebau.

Christian Holl

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