Kostenloser Rechtsrock - dank Spotify

Rechtsextreme Musik Profit vor gesellschaftlicher Verantwortung? Und wie steht das schwedische Unternehmen eigentlich zur Meinungsfreiheit? Man macht das Beste draus...

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Die heute von uns gegangene Financial Times Deutschland bescheinigte Spotify kürzlich den Aufstieg in die Königsklasse der nichtbörsennotierten Internetfirmen und mit der jüngst aus der Taufe gehobenen Exklusivpartnerschaft mit der Telekom konnte das Unternehmen seine Stellung auf dem deutschen Markt der Musikstreaming-Dienste erheblich ausbauen. Es läuft also aus wirtschaftlicher Sicht mehr als rund für die engagierten Schweden, die in Zusammenarbeit mit Musiklabels ihr Musikangebot rasant weiter ausbauen - zu rasant?

Denn im Schatten des hoffnungsgrünen Spotify-Logos findet sich bei genauerem Hinsehen Inhalt ganz anderer Coleur. Bandnamen wie "Endlöser", "Sturmwehr" oder " Panzerfaust" geben bereits ohne eingehende Textanalyse einen ersten Eindruck ihrer politischen Herkunft und unter Zuhilfenahme der Verfassungsschutzberichte der Länder und des Bundes sowie einer Zusammenstellung rechtsextremer Bands von netz-gegen-nazis.de kann man erahnen, welch Musikreichtum sich der rechtsextremen Szene völlig kostenfrei über einen Spotify-Account erschließt. Einmal eine einschlägige braune Band gefunden, macht es Spotify dem Nutzer sogar ganz leicht, sich über die angezeigten ähnlichen Bands von einer "Neonazi-Boygroup" zur nächsten zu hangeln und zuvorkommende Nutzer haben bereits öffentliche Playlists mit Namen wie "Rechtsrock" zusammengestellt, um die lästige Suche zu erleichtern.

Auf den umfangreichen rechtsextremen Content angesprochen antwortete Spotify zwar mit Bedauern und Verständnis, gerierte sich jedoch zugleich als "Opfer" der Meinungsfreiheit. Labels oder Künstler würden die Aufnahme ihrer Musik in Spotifys Angebot beantragen, man prüfe auf urheberrechtliche Berechtigung und müsse sodann den Inhalt einstellen. Seien die Inhalte nicht illegal, habe man keine andere Handlungsmöglichkeit. Das "Gesetz zur Meinungsfreiheit" zwinge Spotify zum Einstellen auch rechtsextremer Musik, von der man sich selbstverständlich auf diesem Wege distanzieren wolle.

Aber Moment mal! Was für ein "Gesetz zur Meinungsfreiheit" zwingt ein privates Unternehmen zur Verbreitung rechtsextremer Inhalte? Auf mehrfache Nachfrage, welchem Recht Spotify seine Verträge mit Labels und Künstlern unterstelle, folgte keine konkrete Beantwortung. Man verwies lediglich darauf, dass Spotify hier in Deutschland deutschem Recht unterstehe.

Ein "Gesetz zur Meinungsfreiheit" kennt unser Recht nicht. Klar, Artikel 5 unseres Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit. Aber man muss kein ausgewiesener Verfassungsrechtler sein, um zu wissen, dass uns die Grundrechte unserer Verfassung vor staatlichen Eingriffen schützen sollen. Sie binden also grundsätzlich Staatsorgane, nicht dagegen Private. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in den jungen Jahren des Grundgesetzes betont, dass die Grundrechte auch auf das Privatrecht ausstrahlen und so etwa bekannte Grundsätze wie die guten Sitten, die Verkehrssitte oder Treu und Glaube begründen - aber daraus einen Anspruch rechtsextremer Bands auf die Verbreitung ihrer Musik herzuleiten ist nicht mutige Rechtsauslegung, das ist schlichtweg falsch.

Was soll man nun davon halten? Spotify schiebt Grundrechte vor, um auch mit rechtsextremer Musik Profit zu erwirtschaften? Um sich der Mühe zu entziehen, die "täglich tausenden Neueinstellungen" auf ihren Inhalt zu überprüfen?

Illegale Inhalte lösche man selbstverständlich umgehend nach Entdeckung, teilte Spotify mit. Aber darum ging es doch gar nicht! Ich habe bei meiner Recherche keine illegalen Inhalte auf Spotify gefunden. Aber hört die Verantwortung eines Unternehmens dort auf, wo ein Song nicht mehr illegal ist? Im Hinblick auf rechtliche Verantwortung - ja. Unternehmerisch betrachtet - auch, ja. Aber hat Spotify nicht auch und gerade wegen seiner jugendlichen Zielgruppe eine besondere gesellschaftliche Verantwortung? Spotify spricht sich in seinen Antworten selbst das Recht ab, als privates Unternehmen auch politisch und vor allem gesellschaftlich Stellung zu beziehen - und zwar durch offensive unternehmerische Entscheidungen, etwa Material einschlägig bekannter Bands und Labels nicht einzustellen. Das hat nichts mit Zensur zu tun, das ist Ausdruck von Vertragsfreiheit und Privatautonomie.

Nicht erst seit den Recherchen des Undercover-Journalisten Thomas Kuban oder dem kürzlich erschienen Buch "Neue Nazis" von Toralf Staud und Johannes Radke ist bekannt, dass die rechte Szene das Medium Musik als emotionales Einfallstor für ihre aggressive, menschenverachtende Ideologie in die Köpfe von Jugendlichen missbraucht. Dieses Wissen muss Grundlage sein für Spotifys Entscheidung, ob man mit rechtsextremen Labels und Künstlern, die als solche meist einschlägig bekannt sind, zusammenarbeiten will oder nicht.

Aber auch unternehmerisch könnte Spotify die momentane Handhabung des Problems in Schwierigkeiten bringen: 20 Millionen User nutzen laut eigenen Angaben mittlerweile das Musikangebot von Spotify, 1/4 von ihnen als zahlende Kunden, um die angebotenen Musik in höherer Qualität und ohne Werbeunterbrechungen zu genießen. Das Gros der User nutzt Spotify jedoch kostenlos mit ebenfalls guter Klangqualität aber unter Inkaufnahme von regelmäßig zwischen den Songs eingespielten Werbespots. Und letzterer Umstand birgt ein ganz besonderes Geschmäckle: Denn so wird der Konsument rechtsextremer Musik mit Karrieremöglichkeiten bei Emirates Airline, der Musikflat der Telekom oder dem Shoppingportal der DHL, MEINPAKET.de, beworben. Es darf wohl stark bezweifelt werden, dass Spotifys Werbekunden derart mit rechtsextremen Inhalten in Verbindung stehen wollen und vom unbedarften User gar als Unterstützer des gerade abgespielten geistigen Durchfalls verstanden zu werden.

Leider hat erst der (zuletzt unbeantwortete) Hinweis auf die unternehmerische Dimension des Problems dazu geführt, dass Spotify mittlerweile einige Bands aus dem Musikkatalog entfernt hat, darunter "Hassgesang", "Sturmwehr" und "Sleipnir" - das Argument gesellschaftlicher Verantwortung allein hatte dazu nicht ausgereicht.

Trotzdem ist die Löschung ein Erfolg und sollte den Nutzern und Werbepartnern Ansporn sein, weiter Druck auszuüben, denn noch immer tummeln sich zahlreiche andere Bands wie "Endstufe", "Panzerfaust" u. a. im Musikangebot von Spotify und geben so dem ansonsten lobenswerten Konzept einen sehr üblen Beigeschmack.

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