Zerbrechlicher Frieden

SÜDLIBANON Die israelische Besetzung ist zu Ende. Es herrscht ungewohnte Normalität. Doch die Konflikte von morgen sind nicht zu übersehen

Ahlan wa sahlan, willkommen, kommt rein und trinkt Kaffee!« Imm Ahmad begrüßt die Besucher aus Beirut. Wir treten in eine kleine Hütte mit zwei kahlen Räumen. Auf dem Boden des einen Zimmers liegen überall Tabakblätter verstreut, in einer Ecke sitzt Abu Ahmad, ihr Ehemann, der die grünen Blätter auf eine lange Schnur auffädelt, um sie später zum Trocknen aufzuhängen. Imm Ahmad schiebt den Tabak mit ihren Füßen zur Seite, holt aus dem anderen kargen Raum ein Plastiktischchen und stellt den Kaffee darauf. Viel besitzen die beiden Alten nicht. Eben diese kleine armselige Hütte und ein paar Felder. Ich werfe einen verstohlenen Blick in das Schlafzimmer - es gibt nichts außer einem abgewetzten Teppich und einigen Kissen - die Schlafstätte des Ehepaars. Imm Ahmad trägt eine löchrige blaue Schürze und ein paar dreckige Socken ersetzen ihr die Schuhe. Abu Ahmads Füsse stecken immerhin in ein paar Plastiksandalen.

Nachdem das Begrüßungsszenario beendet ist, setzen sich die Gäste aus Beirut, um den angebotenen Kaffee zu trinken. Besuch aus Beirut wohlgemerkt. Das gab es im Hause von Abu Ahmad während der letzten 22 Jahre nicht, denn die Tabakbauern leben in der ehemaligen israelischen Besatzungszone im Südlibanon. Dieser Streifen Erde war für mehr als zwei Jahrzehnte vom restlichen Land abgetrennt gewesen - Besuch von außerhalb blieb mit einem unglaublichen Hürdenlauf verbunden. Seitdem die israelischen Soldaten und die Kollaborateure der südlibanesischen Armee, SLA, weg sind, hat sich das geändert. Viele Familien, die auseinander gerissen waren, haben sich in den letzten Wochen endlich wieder sehen können.

Ein Stück Normalität ist in den Südlibanon zurückgekehrt. Auch bei Imm Ahmad. Ihre drei Töchter und fünf Söhne leben im Nachbardorf ebenfalls als Tabakbauern. Um sie besuchen zu können, musste sie sich bei den Israelis immer eine Erlaubnis holen. Oft bekam sie das ersehnte Stück Papier auch nicht. »Das ist zum Glück vorbei,« sagt die alte Frau. Ihre Enkelkinder kann sie jetzt so oft sehen, wie ihr Mann es ihr erlaubt. Der sitzt nämlich immer zu Hause und fädelt die Tabakblätter auf, während seine Frau die schwere Feldarbeit verrichtet. Eigentlich eine Aufgabe für Männer, aber die sind rar. Viele sind ausgewandert und finanzieren den Lebensunterhalt ihrer Familien vom Ausland aus. Also gehen eben die Frauen aufs Feld. Auch bei Abu Ahmad. »Sonst hätte ich noch eine zweite Frau geheiratet, und das wollte Imm Ahmad nicht,« lacht der alte Mann. Ganz ernst meint er das nicht. Das Brautgeld hätte er sich nicht leisten können.

Die Böden sind steinig und karg in der libanesischen Berglandschaft. Aber der Tabak gedeiht gut. Die Felder mussten immer bestellt werden, egal ob Bomben fielen. Wo hätten die Bauern auch hin sollen? In der Stadt gab es für sie keine Perspektive. Sie blieben, auch, als ihr Land Besatzungszone wurde; der israelischen Luftwaffe schutzlos ausgeliefert. In der Hütte war es kaum sicherer als auf dem Feld. Bunker gab es nicht. Doch meistens blieb es ruhig. Auch die Ahmads hatten Glück. »Für 10 Jahre hatten wir unser Dorf verlassen,« erzählt Imm Ahmad. »Doch dann konnten wir es nicht mehr aushalten. Wir mussten hierher zurückkehren und unser Land bestellen, sonst wäre es für uns verloren gewesen. Die Kollaborateure der SLA waren drauf und dran, es uns weg zu nehmen und wir hätten es von ihnen pachten müssen. Dann wären wir jetzt noch ärmer.«

Wut auf die Kollaborateure

So aber sind sie stolz, ausgeharrt zu haben im Südlibanon, trotz der Gefahren, der Isolation, der alltäglichen Schwierigkeiten. »Wir haben unsere Entscheidung nie bereut, hierher zurückzukehren. Allah stand uns immer bei.«, meint Imm Ahmad. Doch die Ahmads sind eher Ausnahme als Regel. Von 2000 Dorfbewohnern blieben etwa 200, meist alte Leute. Die Jungen gingen nach Tyros, nach Beirut oder gleich in die USA, um dort ihr Glück zu versuchen. Manche kommen jetzt zurück, um Urlaub zu machen und ihre Verwandten zu besuchen - oft das erste Mal nach 10 oder 20 Jahren. Aber die Armut der südlibanesischen Bauern schreckt sie ab. Es gibt keine andere Arbeit, als die auf dem Feld. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Infrastruktur zerstört, medizinische Versorgung mangelhaft und Dienstleistungen sind praktisch nicht vorhanden. Die Dörfer haben höchstens eine kleine Grundschule, das ist alles. Die Kinder müssen von klein auf mithelfen und Tabak pflücken. Während der Erntezeit bleibt die Schule geschlossen.

Die libanesische Regierung unterstützte die Tabakbauern während der israelischen Besatzung, sie kaufte den gesamten Tabak auf und verbrannte manchmal die Hälfte der Ernte - nicht gerade ein lukratives Geschäft. Langfristig wird sich auch das ändern, und die Bauern werden sich umstellen müssen. Auf dem Weltmarkt gibt es einfach keine Nachfrage für libanesischen Tabak. Die Existenzgrundlage der Bauern ist damit bedroht. Die Regierung verspricht zwar, Kredite zu gewähren, damit die Menschen im Süden andere Produkte anbauen können, Oliven etwa.

Dazu aber bräuchten diese Kleinbauern modernes Management und gutes Marketing, das auf den nationalen und internationalen Markt ausgerichtet ist, denn sonst sind die Tabakpflanzer nur eine zusätzliche Last für den ohnehin verschuldeten Staat. »Der Süden unseres Landes hat 22 Jahre verloren, und diese Entwicklung müssen wir jetzt nachholen,« erklärt der Parlamentssekretär Bilal Sharara von der schiitischen Amal-Partei. Wirtschaftsexperten verlangen eine internationale Finanzspritze in Höhe von 15 Milliarden US Dollar. Und die Amal-Politiker werden all ihr Können daran setzen, diese Wirtschaftshilfe auch zu bekommen, alleine um Wählerstimmen zu sammeln.

Stolz auf die Gotteskrieger

Noch ist der Südlibanon Hisbollah-Land. Überall auf den Häuserdächern wehen kleine Fahnen. Die gelben und roten der Hisbollah, die grünen sind von der konkurrierenden Amal. An den Einfahrtswegen zu den Dörfern stehen Transparente und zeigen Chomeini oder den Hisbollah-Führer Nasrallah. Auf der Küstenstrasse grüßt ein großes Schild: »Thanks to Hezbollah«. Der Libanon ist stolz auf seine Gotteskämpfer, die es mit einer der mächtigsten Armeen der Welt aufgenommen und - so die überwiegende Meinung - gewonnen haben.

In dem kleinen Dorf Dharia treffen wir den 42-jährigen Ibrahim. Er liegt auf einer Liege im schattigen Hof, daneben stehen zwei Krücken. Ein freier Mann ist er jetzt wieder, seit kurzem. Wie viele seiner Landsleute war er im berüchtigten Gefängnis El Khiam, zwei Jahre hat er dort verbracht. Fast alle, Männer und Frauen, die der Zusammenarbeit mit der Hisbollah bezichtigt wurden, saßen dort ein. Mit dem israelischen Truppenrückzug kamen die Häftlinge frei, auch der Familienvater Ibrahim.

Sein ganzes Leben hat er gegen die Israelis gekämpft, zuerst mit den Palästinensern, dann mit der Hisbollah. Er ist Tabakbauer wie alle hier im Dorf, später kaufte er sich ein Taxi. Als Chauffeur konnte er ungeniert Informationen sammeln, denn bekanntlich plaudern Taxifahrer lange und ausgiebig mit ihren Kunden - auch im politisch brisanten Südlibanon. Als Fahrer spionierte er Kollaborateure der Südlibanesischen Armee aus und gab die Informationen an die schiitische Miliz weiter. Seinen Bruder ermutigte er dazu, in die SLA einzutreten. Als SLA-Offiziere spionierte der ebenfalls für die Hisbollah. 16 Jahre lang ging das gut, bis Ibrahim verhaftet wurde. Seine Zusammenarbeit mit dem islamischen Widerstand war aufgeflogen, irgendjemand hatte ihn verraten.

»In El Khiam wurde ich 90 Tage lang verhört. Die SLA folterte mich, sie schlugen mir auf meine Zähne, hingen mich an den Füssen auf. Ich war nackt, musste bellen wie ein Hund. Sie gaben mir Elektroschocks und brachen meine Fußgelenke. Zuerst habe ich es geschafft, keine Informationen preis zu geben. Doch sie folterten mich weiter, bis ich meinen Bruder verriet.« Der wurde ebenfalls verhaftet und gefoltert. Danach bekam Ibrahims Familie auffallend oft Besuch von Dorfbewohnern - Kollaborateure der SLA, meist Christen. Sie hatten es besonders auf seine Kinder abgesehen, die Gespräche der Erwachsenen belauschen sollten.

Genuss am neuen Reichtum

Inzwischen sind die SLA-Leute nach Israel geflohen oder haben sich der libanesischen Justiz gestellt. »Ich bin nicht zufrieden mit den Haftstrafen. Meine Folterer sitzen jetzt drei Monate, vielleicht ein Jahr im Knast. Doch ich bin Moslem und glaube, dass Gott ihnen eine gerechte Strafe geben wird.« Ibrahim hat sich in Rage geredet. Etwas später zeigt er ein gewisses Verständnis für die Kollaborateure. »Viele waren sehr arm, und Israel bot Geld für Spionage oder einen guten Sold in der Miliz des Generals Lahad. Ihre Familien konnten nach Israel fahren, um dort zu arbeiten« .

All das ist jetzt vorbei. Auch für die Kleinhändler in den Dörfern des Südlibanon. Ihre Kunden von der SLA sind in Israel oder im Gefängnis. Das lukrative Geschäft mit zollfreien israelischen Billigwaren ist gestoppt. Statt dessen müssen die Händler hoch besteuerte libanesische Produkte verkaufen. Einige haben sich einen Vorrat an israelischen Konsumgütern angelegt, aber der ist bald aufgebraucht. Ein weiterer bedeutender Wirtschaftsfaktor im Südlibanon sind die UNO-Friedenstruppen UNIFIL. Ungefähr 2000 Menschen arbeiten direkt oder indirekt bei den Blauhelmen- wie lange noch, weiß hier keiner zu sagen.

Frisch und zerbrechlich ist der Frieden. Die Hisbollah hat sich bisher zurückgehalten. Racheakte gegen ehemalige Kollaborateure der südlibanesischen Armee gab es keine und auch der Kleinkrieg mit der konkurrierenden Amal-Miliz wurde vorerst beigelegt. Als ob der Südlibanon überraschende Normalität atmen wollte. Die Strassen sind zwar schmal, aber meist intakt. Im Gegensatz zur stark bebauten Küste muten die spärlich bevölkerten Berge im Süden fast idyllisch an. Dort, wo man kaputte Häuser vermuten würde, erheben sich protzige Villen, wie es sie in ganz Beirut nicht gibt.

Das Land im Süden ist billig, meist gehört es Libanesen, die nach Europa oder in die USA emigriert sind. Die Villen sind Statussymbol ihres Erfolges - je pompöser, desto besser. Israelische Raketen waren egal. Man hatte, zeigte vor und blieb ansonsten in sicherer Entfernung. Nun kann der Reichtum genossen werden, wenigstens im Urlaub. Bomben wird es hier vorerst nicht mehr geben.

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