Reagieren, aber richtig!

Konservatismus Michael Kühnleins Essayband „konservativ?!“ versammelt über 100 Beiträge zur Frage, was uns bewahrenswert erscheinen sollte
Ausgabe 42/2019
Reagieren,  aber richtig!

Grafik: der Freitag

Vor einiger Zeit sprach der Historiker Andreas Rödder im Freitag-Interview über einen kleinen, aber vielsagenden Unterschied. Er offenbart sich in nur einer Silbe: Wer eine sehr distanzierte Haltung zum Gegenstand habe, spreche eher von „Konservativismus“, was die Sache aber kompliziert mache. Sei man dem Ganzen etwas zugeneigter, so mache man es sich einfacher und spreche von „Konservatismus“.

Freitag-Leserwerden vermutlich zu ersterer Formulierung tendieren. Dass jedoch schon all das, was heute „konservativ“ heißt, nicht leicht unter einen Nenner zu bringen ist, erfährt, wer den imposanten Band konservativ?! aufschlägt. Die Doppelung von Frage- und Exklamationszeichen im Titel dieser Sammlung von Miniaturen aus Kultur, Politik und Wissenschaft macht das deutlich. Doch die Satzzeichen stehen auch für das Verbindende der Beiträge, die etwa von Gregor Gysi, Monika Grütters, Robin Alexander, Jürgen Kaube, Sahra Wagenknecht oder Gesine Schwan stammen.

Das sind nur einige der über 100 Politiker, Journalisten, Schriftsteller und Publizisten, die der Einladung des in Heidelberg und Frankfurt/M. lehrenden Philosophen Michael Kühnlein gefolgt sind, „einmal ,barrierefrei‘ und ohne ideologisches Marschgepäck in freier, spielerischer Assoziation bei den ,konservativen‘ Halte- und Tragekräften der je eigenen Biografie zu verweilen.“

Den zahlreichen Vignetten des Buches ist gemein, dass sie allesamt eine Such- und Fragebewegung vollziehen. Sie enthalten sich folgerichtig auch des schnellen, wohlfeilen Definitionsversuchs. Alle Essays verbindet überdies, dass sie sich ihrem Gegenstand respektvoll und mit einer gewissen Sympathie nähern. Das gilt auch für jene Autoren, von denen Identifikation mit dem Thema eigentlich nicht zu erwarten ist.

Die Dringlichkeit einer – wenn auch vielstimmigen – Antwort auf die Frage, was es heißt, „konservativ“ zu denken, besteht in Zeiten großer Wahlerfolge rechter und rechtspopulistischer Parteien weltweit vielleicht zuerst in einer klaren Abgrenzung nach rechts.

Urbotschaft: Achtsamkeit

Denn „Reaktionäre (bedienen) sich gern tradierter Muster, um ihre Anliegen zu legitimieren“, wie Gregor Gysi in seinem auch hier abgedruckten Beitrag schreibt. Mehr noch: Konversionen habe es gegeben und gebe es weiterhin, so der ehemalige Vorsitzende der Linken. Unterscheidungsvermögen ist also gefragt.

„Der Konservatismus eines Monarchisten, der sich gegen die Demokratie stemmt, ist ein anderer als derjenige eines Zeitgenossen, der sich dem Dienst an einer Institution verpflichtet fühlt“, schreibt der Dramaturg und Mitbegründer der Sammlungsbewegung „Aufstehen“, Bernd Stegemann. Ersteren könne man milde belächeln, während die Relevanz von stabilen Institutionen auch für gestandene Linke ein Thema ist. Gerade auch, weil das Nachdenken über sie aus vielen linken Gesprächszusammenhängen verschwunden zu sein scheint.

Das Wort „konservativ“ kommt vom lateinischen Verb „conservare“: „bewahren“. Was ein Nachdenken über das Konservative vielleicht noch stärker befeuert als die Frage nach einer Abgrenzung von solchen, die die „Urbotschaft politischen Wertens“, die „Achtsamkeit“ nämlich gegenüber dem Anderen vergessen haben, wie es Rita Süssmuth in unserem Interview ausdrückt, ist denn auch die Herausforderung des Klimawandels. „Vor allem auf ökologischem Feld sieht sich progressive Politik tatsächlich stets auf im Wortsinn konservative Ziele verwiesen“, betont der Zürcher Historiker Bernd Roeck deshalb auch in seinem Beitrag.

Das sieht auch ein Grüner wie Cem Özdemir so: „Christlich geprägte Konservative nennen es Bewahrung der Schöpfung, wir nennen es Umweltschutz und Kampf gegen die Klimakrise.“ Rechtsruck und Erderwärmung sind freilich nur zwei der vielen Gründe, sich mit diesem Buch und der Frage nach dem Konservativen zu beschäftigen.

Denn auch wenn es etwa um die Traditionsbestände des Glaubens aus jüdischer, christlicher und muslimischer Sicht geht oder um Fragen danach, was an Ehe oder Familie bewahrenswert sein könnte, bietet konservativ?! Anregungen zum Weiterdenken auch für jene, die dabeibleiben wollen, distanziert vom „Konservatismus“ zu sprechen. Schließlich, so zitiert der Sozialhistoriker Jürgen Kocka Michael Bröning von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung: „Auch für linke Politik reicht es nicht zu sagen, was sich ändern muss. Man muss auch sagen, was bleiben soll.“

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