Unpolitische Kultur gibt es nicht, betonte kürzlich der in Italien berühmte, jüdische Sänger Moni Ovadia im Gespräch am Rande seines Shoah-Gedenkkonzertes in Berlin. Wie sehr dieses Verdikt auf Italien zutrifft, wo sich die linken Protagonisten des Kulturlebens immer wieder quer zu den Parteien in die Politik einmischen, ließ sich exemplarisch bei dem Konflikt um die erneute Nominierung von Amtsinhaber Nichi Vendola zum Kandidaten der Linken für das Amt des Ministerpräsidenten der Region Apulien ablesen.
Aus Rücksicht auf den christdemokratischen Bündnispartner wollte die postsozialistische Demokratische Partei (PD) den Schriftsteller und Lyriker Vendola von der kleinen Linkspartei Sinistra e Libertà nicht mehr, was den Protest von italienischen Linken jedweder Couleur hervorrief und wochenlang für Schlagzeilen sorgte.
Einer wie Vendola ist heute unter linken Politikern in Europa eine Seltenheit, wo die glattgeschliffenen Administratoren oder die aufschneiderischen Manager den Ton angeben. So erstaunt es wenig, dass Vendolas Sieg in den Vorwahlen des Linksbündnisses am 24. Januar internationale Beachtung fand. Der Triumph des „UFOs Vendola“, wie Le Monde den ungewöhnlichen Linken charakterisierte, über seinen Konkurrenten von der PD ist einerseits der Popularität unter der Bevölkerung Apuliens geschuldet, andererseits aber auch der Unterstützung von vielen Künstlern und Intellektuellen aus ganz Italien, darunter Dario Fo, Marco Travalgio und Beppe Grillo.
Schwuler Kommunist
Vendola sagt von sich, er sei ein schwuler christlicher Kommunist, wobei allerdings hinzuzufügen ist, dass der italienische Kommunismus immer mehr Ähnlichkeit mit dem europäischen Linkssozialismus hatte als mit den deutschen Traditionen von DKP und SED. Schon bei seiner ersten Wahl 2005 setzte er sich in den Vorwahlen des linken Bündnisses gegen den mehrheitssozialdemokratischen Kandidaten durch.
In seiner ersten Amtszeit als Ministerpräsident hat Vendola Apulien aus dem süditalienischen Dreiklang Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption geholt. Er agiert ohne den häufig anzutreffenden süditalienischen Minderwertigkeitskomplex, sein Mezzogiorno ist eine historische Kulturregion und der Schriftsteller Vendola, der gern auch wissenschaftliche Vorträge zu Pasolini oder anderen literarischen Themen hält, begreift sich als Repräsentant dieses Erbes.
Ein theoretischer Fixstern ist für ihn Antonio Gramsci, was bei seiner Herkunft aus der eurokommunistischen Partei Italiens nicht unbedingt verwundert, ein anderer ist aber das Denken Ernst Blochs, dessen Ausspruch „Denken ist überschreiten“ gern von Vendola zitiert wird. Der utopischen Tradition des sozialistischen Denkens steht er positiv gegenüber, es ist ihm wichtig, dass die Linken über die notwendige Aufgabe der Interessenvertretung für die Unterprivilegierten und Ausgegrenzten hinaus gehen und im Namen einer schöneren und gerechteren Gesellschaft agieren.
Vendola ist ein Schöngeist und schafft es bislang recht erfolgreich, diese Dimension auch in sein Ministerpräsidentenamt einzubringen. Neben der Förderung regionaler Kultur hat er auch Film- und Musikfestspiele etabliert, die italienweit ein positives Echo fanden. Statt der üblichen Wirtschaftsförderung setzte Vendola auf Umweltschutz und die Unterstützung grüner Technologien, was auch dabei half, Apulien zur nicht nur unter italienischen Linken populären Urlaubsregion auszubauen.
Vendolas beherztes Eintreten gegen Mafia, Ausländerfeindlichkeit und Privatisierungen von Einrichtungen der Daseinsvorsorge hat ein übriges getan, um seine Popularität zu konsolidieren. Im Zusammenhang mit seiner Ministerpräsidententätigkeit sprechen viele von buon governo beziehungsweise good governance, wie es heute unter Politologen heißt. Dabei ist seine kultur- und theoriegesättigte Politik keineswegs von Gestern, wie Analysen betonen, sondern erscheint gegenüber dem technokratischen Ansatz der linken Nomenklatura als durchaus zukunftsweisend.
Wie ein Popstar
Denn Vendola findet nicht nur Zuspruch unter Intellektuellen und Künstlern, sondern auch unter den jungen Leuten, die ihn gelegentlich feiern wie einen Popstar. Dazu passt auch, dass die Mobilisierung des Vendola-Lagers vor allem über Facebook und andere Onlineforen organisiert wurde, was ihn zum Linksintellektuellen der Internetgeneration macht.
Das Zusammengehen von progressiver Bewegung und Intellektuellen und Künstlern hat in Italien durchaus Tradition, genau wie deren Dauerkonflikt mit dem parteipolitisch organisierten linken Establishment, der diesmal mit Hilfe des Internets gewonnen wurde. Mit der Politisierung von Facebook und Co. hat sich die Linke nicht nur ein neues Medium erobert, sondern auch eine neue Generation, die beim Anti-Berlusconi-Tag im Dezember 2009 und in zahlreichen Sit-Ins und Flash-Mobs am 30. Januar 2010 ihre Art des Protestes gegen Berlusconi zum Ausdruck brachte.
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