Ozzy Osbournes Körper sieht aus, als würde ihm das Echo von 120 Dezibel Gitarrenbeschallung in den Knochen stecken. Ex-US-Vizepräsident der USA Dan Quayle hält ihn für die beste lebende Kampagne gegen Drogen. Wer mit ansieht, wie Ozzys Gehirn unter dem jahrelangen Missbrauch gelitten hat, will kaum so werden wie er. Auch als Vorbild für Familienwerte kann Quayle die Osbournes nicht genug loben. In seinem Eifer, jede Familie für intakt zu halten, die aus Vater, Mutter, Kind besteht, ist ihm entgangen, dass Ozzy vor Jahren versucht hat, seine Frau Sharon zu erwürgen und Wochen im Gefängnis verbrachte. Damals war das Fernsehen noch nicht dabei. Jetzt sind Die Osbournes MTVs "Big Thing" und ihre Kameras halten auf jeden absurden Moment, den die Fami
n die Familie täglich produziert. Die Show mit dem Echtheitsgehalt der Fußbroichs (der Kölner Reality-Soap des WDR) und den archetypischen Familienfiguren von Eine schrecklich nette Familie hat dem Sender die höchsten Einschaltquoten ihrer 20-jährigen Geschichte eingebracht. Die Osbournes sind eine Doku-Sitcom: auf der einen Seite Reality TV, das heißt ohne Skriptvorlage gedrehtes Material, auf der anderen Seite wird das Gefilmte intensiv nach- und aufbereitet. Die Episoden werden thematisch zusammengeschnitten, erhalten musikalische Untermalung, grafische Elemente und Montagen der witzigsten Momente - sogar auf einen "running gag" kann zurückgegriffen werden: die sich ewig übergebende Bulldogge Lola.Die erste Staffel aus zehn Episoden à 30 Minuten führt den Zuschauer durch das Leben des legendären Rockers Ozzy Osbourne, der zum Zeitpunkt des Drehs seinen musikalischen Zenit schon überschritten hatte. Er weilte im Rock-Olymp an der Seite derer, bei denen man nicht weiß, ob ihr derzeitiger Status tot oder lebendig ist. Die Show verhalf Ozzy zu einem grandiosen Comeback. MTV zögerte daher auch nicht lange, bevor sie der Familie für die nächsten zwei Staffeln 20 Millionen Dollar zahlte: eine solche Besetzung kann kein Skript-Schreiber der Welt erfinden. Die Osbournes sind Exzentriker. Sie leben eine groteske Mischung aus familiärer Spießigkeit, Naivität und selbstverständlichem Individualismus, der oft in surrealistische Situationen mündet. Oder zumindest in solche Momente, bei denen sich das Publikum mit offenem Mund fragt: "Das kann doch nicht wirklich WAHR sein?"Die Lust am Zuschauen ist dabei nicht frei von Voyeurismus, kommt aber ohne größere Schadenfreude aus, wie sie zum Beispiel Big Brother beim Publikum weckte. In all ihrer Verrücktheit sind die Osbournes gewissermaßen unkontrovers beliebt geworden. So beliebt, dass man sich fragt, ob vielleicht ein neuer Höhepunkt einer Karriere erreicht ist, von dem aus es nur wieder bergab gehen kann. So unkontrovers, dass man sich wundert, wie die Heavy Metal-Fans zu der Show stehen, die Anhänger des Musik-Genres, das Ozzy mit seiner damaligen Band Black Sabbath quasi erfunden hat. Wollen die den Mann der düsteren Stunde wirklich beim Einsammeln des Fallobsts seines inkontinenten Schoßhündchen beobachten? Wie er in der Küche sitzt, sein elfte Dose Cola Light trinkt und dabei stundenlang an einem Kinderbildchen kritzelt? Das Magazin Rolling Stone schreibt: "Ozzy wird für immer die wilde, gefährliche Seite des Rock ´n´ Rolls verkörpern." Zuhause unterliegt er 0:1 im Kampf mit der Fernsehbedienung. (O-Ton Ozzy: "I press this one button and the fuckin´ shower starts. Where the fuck am I? It´s a fuckin´ nightmare! Nightmare in Beverly Hills!")Anna McCarthy, Professorin für Medienwissenschaften an der New Yorker Universität, hält die Show für exemplarisch, was das Verhältnis der Gesellschaft zu ihren Stars angeht. "Erst versuchten wir gewöhnliche Menschen zu Stars zu machen. Jetzt nehmen wir die Stars und verwandeln sie in gewöhnliche Charaktere." Aber: Können die Osbournes wirklich als gewöhnlich bezeichnet werden? Macht ihre Beliebtheit nicht gerade die Tatsache aus, dass sie ihre Normalität aus der Außergewöhnlichkeit beziehen? Und wird das nicht erst überhaupt durch den Blick hinter die Kulissen sichtbar?Ozzy nach dem Grund des Erfolgs der Show befragt: "Ich versuche gar nicht komisch zu sein. Es ist einfach die Art, wie ich bin. Aber scheinbar denken die Leute, ich sei zum Brüllen." Es ist dieses mangelnde Bewusstsein seines komödiantischen Talents, das Osbourne auszeichnet. Ähnlich wie Al Bundy aus Eine schrecklich nette Familie ist Ozzy einer, der die Welt nicht mehr versteht und deswegen nicht zur Verantwortung für sein Tun gezogen werden kann. Im wesentlichen unpolitisch repräsentiert er den traditionellen Underdog, der es zu etwas in Amerika gebracht hat, ohne seine Wurzeln zu verleugnen - beziehungsweise verleugnen zu können - und versucht, auf seine Art vor allem ein guter "Dad" zu sein. Schuld an seinem Dilemma sind die Umstände oder allenfalls Ehefrau Sharon, die in der Musikwelt einen ähnlichen Ruf genießt wie Yoko Ono. An dieser Stelle wird der Star der Doku-Sitcom zur Identifikationsfigur für sämtliche sich als Opfer fühlende Pantoffelhelden, deren Karikatur er im Grunde genommen ist. Doch es ist vielleicht noch mehr als das. Es sind Ozzys Herz und Ozzys Seele, die tiefempfundene Zuneigung der Familienmitglieder füreinander (O-Ton Ozzy: "I love you all more than life itself, but you´re all fucking mad"), die das Publikum anzieht und die Ozzy vom Rock- ganz einfach in den Fernseh-Olymp gehievt haben.Gefahr droht der Doku-Sitcom von ganz anderer Seite. Der Anfütterung des Publikums und der hohen Akzeptanz folgt die strategische Überfütterung. Die Osbournes sind überall. In Amerika werden sie in den Talk-Shows herumgereicht, Präsident Bush hat sie zum Dinner ins Weiße Haus geladen, Tochter Kelly veröffentlicht ein eigenes Musikalbum und Ozzy scheint dauernd auf Tournee zu sein. Noch zeigen sich beim Anlaufen der Zweiten Staffel in den USA (seit dem 26. November) keine Ermüdungszeichen beim Publikum. Aber die erste Stimme der Kritik - aus dem Munde eines Musik-Rezensenten - wurde schon vernommen. Der weitere Verlauf der Geschichte könnte vorprogrammiert sein. Aus der Liebe zu einer Show wird dann der Fluch der Wiederholung.Neue Folgen der Osbournes auf MTV ab dem 20. Januar 2003. Ab Samstag, 18. Januar das Osbournes-Kick-Off-Weekend mit allen 10 Folgen der ersten Staffel