Der Stern von München

Lebensziel Hildegard Denninger will mit Schulabbrechern einen bayerischen Frauenknast zum Komforthotel umbauen

Es wird klappen. Sie ist sich da sicher. „Vollkommen!“, sagt sie. Auch wenn im Moment noch Sträflinge Hildegard Denningers Traum bevölkern. Es ist das Frauengefängnis „Am Neudeck“ in München. Der Freistaat Bayern plant, es in diesem Jahr aufzugeben und die Gefangenen zu verlegen. Dann will die 60 Jahre alte Frau aus der Haftanstalt ein Vier-Sterne-Hotel machen, in dem Jugendliche aus Problemfamilien zu Hotelfachleuten ausgebildet werden. Seit fünf Jahren arbeitet sie daran – stets überzeugt, dass das Vorhaben ein Erfolg wird, wie sie sagt. Das muss es wohl auch. Denn das Hotel soll auch so etwas wie die Krone des Lebenswerks einer Frau werden, die sich die meiste Zeit ihres Lebens für Bürger in sozialen Schwierigkeiten eingesetzt hat.

Stoppen Sie mich doch!

Wer mit der gelernten Bilanzbuchhalterin zu dem gelb getünchten Gefängnis geht, muss ihr nur wenige Fragen stellen. Die Antworten sprudeln von selber aus ihr heraus. Und hinter jeden ihrer Sätze gehört ein Ausrufezeichen. „Das ist so eine Herzensangelegenheit. Da müssen Sie mich schon stoppen!“

Also von Anfang an. Nachdem Hildegard Denninger lange genug im elterlichen Gasthaus in Franken mit angepackt hatte, arbeitete sie als Steuergehilfin, später als Hotelsekretärin und Reiseleiterin. Und langweilte sich schrecklich – bis sie ihren Mann Johannes Denninger, einen Sozialpädagogen kennenlernte und sie die soziale Arbeit auch für sich entdeckte. Seit 1994 ist sie Geschäftsführerin der Straßenzeitschrift BISS (Bürger in sozialen Schwierigkeiten), die hauptsächlich von Wohnungslosen verkauft wird. Doch weil auch dieser Posten nicht ewig mit einem Menschen besetzt sein sollte, suchte Denninger noch einmal nach einem neuen Projekt. Es soll ihr letztes vor dem Ruhestand werden: das BISS-Sternehotel.

Es fällt schwer, Hildegard Denninger einen Wunsch abzuschlagen. Sie gibt ihrem Gegenüber genau so viel Zeit, wie sie für ihr Anliegen braucht. An diesem Tag vor dem Frauengefängnis trägt sie eine orangefarbene Brille und eine praktische Bob-Frisur, durch die sich feine graue Strähnen ziehen. Ihre schmalen Lippen presst sie entweder aufeinander oder formt sie zu einem kurzen Lächeln. Mit stolzem Blick auf ihr Wunschobjekt beschreibt sie, wie es einmal aussehen soll: Die ehemaligen Zellen des Gefängnisses sollen in 72 Hotelzimmer umgebaut werden. Nach der Grundsanierung bleiben idealerweise nur die schönen Dinge des 200 Jahre alten Gebäudes erhalten: der Fischgrät-Parkettboden etwa oder die schmiedeeisernen Treppengeländer. Die Hotelgäste sollen sich nicht als Gefangene fühlen. So wird aus mehreren Zellen ein Zimmer. Zur Innenarchitektur will sie nicht viel verraten, nur das Motto: „Kein Firlefanz, sondern klassische Eleganz mit Pfiff!“ Geführt werden soll das Hotel von erfahrenen Fachkräften aus Hotellerie und Pädagogik. Zimmerservice, Rezeption und Einkauf sollen von Mitarbeitern übernommen werden, die zunächst Hilfe brauchen. Das können Jugendliche sein, die keinen Schulabschluss, eine Ausbildung abgebrochen haben oder vorbestraft sind. 40 Arbeits- und Ausbildungsplätze könnten so besetzt werden. „Wir wollen den Menschen, die irgendwo durch das soziale Netz gefallen sind, nicht über das Haar streichen, sondern konkrete Hilfe anbieten.“

Die Frage, ob man für „solche Jugendliche“ ein erstklassiges Hotel brauche, hat Hildegard Denninger oft gehört. „Erst Recht“, sagt sie. „Die Gäste sollen sich nicht denken: Naja, hier schaue ich über Mängel hinweg, denn das Hotel ist ein soziales Projekt. Wir wollen mit Qualität überzeugen, damit die Auszubildenden in einem exzellenten Umfeld lernen.“ Dieses Modell hat Vorbilder. Der britische Star-Koch Jamie Oliver etwa lässt in seiner Edel-Restaurant-Kette „Fifteen“ sozial benachteiligte Jugendliche ausbilden – genauso wie es auch das Münchner Restaurant Roeckl tut.

Der Teil des Anwesens, in dem heute noch Gefängnismitarbeiter wohnen, soll zu elf altengerechten Wohnungen umgebaut werden. Dort sollen Senioren einziehen, die als Mentoren für die jungen Auszubildenden fungieren können. Gerne würde auch Hildegard Denninger eine dieser Wohnungen beziehen. Allerdings gibt es bereits sehr viele Bewerber und sie möchte anderen den Vortritt lassen, um nicht ihren Vorteil auszunutzen, sagt sie.

Nur zwei Hürden noch

Zwei Hürden gilt es noch zu überwinden: das Gebäude bekommen und die Finanzierung sichern. Das BISS-Team rechnet in diesem Jahr mit der Entscheidung, ob es das Anwesen erwerben kann. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Und Denninger hofft aber, dass andere die Bauauflagen stören. „Wir rühren schon seit Jahren die Werbetrommel, damit alle wissen: Lasst die Finger von dem Gebäude! Da wollen wir rein!“ Noch heute kann sie sich an den Tag erinnern, als ihr Mann im Jahr 2004 nach Hause kam, über das ganze Gesicht strahlte und sagte: „Wir haben unser Hotel!“ Er hatte in der Zeitung gelesen, dass das Frauengefängnis frei wird. „Alle erklärten uns für verrückt!“, sagt Denninger.

Doch schließlich seien Hindernisse dafür da, um sie aus dem Weg zu räumen. Unternehmensberatungen segneten das Projekt ab, Gutachter halfen bei der Kalkulation. 19 Millionen Euro muss das Team aufbringen, um das Gebäude zu kaufen und in Stand zu setzen. Davon müssen 5,5 Millionen Eigenkapital sein. Drei Millionen Euro hat der Verein bereits von der Bayerischen Landesstiftung und der Stadt München zugesagt bekommen, rund 1,3 Millionen Euro sind auf der Spenden-Seite hotelbiss.de bisher eingegangen. „Mein 60. Geburtstag hat 1800 Euro Spenden statt Geschenke gebracht“, sagt Denninger.

Ab dem ersten Tag soll das Hotel ohne Spenden kostendeckend laufen. Ein Doppelzimmer wird zwischen 140 und 160 Euro kosten. 2011 soll das sein. Ihre Freundin wird Geschäftsführerin des Hotels, ihr Mann Personalchef. „Ich will nichts im laufenden Betrieb übernehmen!“, sagt sie heute. „Höchstens den Jahresabschluss machen!“ Bis sie 67 Jahre alt ist möchte Denninger arbeiten. Dann werde sie als Rentnerin in die Hotelbar gehen und einen Cappuccino bestellen: „Und wahrscheinlich werde ich dann den Leuten auf die Nerven gehen, weil ich doch wieder auf sie einrede!“

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