Jetzt haben wir es schwarz auf weiß: Alleinerziehende werden in Deutschland massiv strukturell benachteiligt. Die Benachteiligung zieht sich durch so viele Bereiche, dass einem beim Lesen der neuen Studie Alleinerziehende unter Druck ganz schwindelig wird. Das Ausmaß ist erschreckend, sogar für Menschen, die sich seit Jahren mit dem Thema beschäftigen. Niemand kann jetzt noch sagen, finanzielle Sorgen und die Überlastung Alleinerziehender seien Privatsache, es handele sich nur um bedauerliche Einzelschicksale. Wie kann es aber sein, dass diese Probleme, die teils lang bekannt sind, bisher einfach ignoriert wurden? Und was ist dagegen zu tun?
Fangen wir mit einer scheinbaren Banalität an. „Zuallererst muss die Fürsorge-, Erziehungs- und Bildungsarbeit Alleinerziehender anerkannt werden.“ Alleinerziehende Mütter und Väter verdienten Respekt und Unterstützung, das steht ausdrücklich so in dem Fazit, das die Studie der Bertelsmann-Stiftung zieht. Ist das nicht klar? Muss das extra betont werden? Leider ja. Viele Alleinerziehende – und bei ihnen handelt es sich mit knapp 90 Prozent zum allergrößten Teil um Frauen – erleben im Alltag und auf Ämtern Geringschätzung und Diskriminierung.
Der Kern des Übels
Dahinter steht eine Mentalität, die in den Vorwürfen „selbst schuld“ und „Sie hat es doch so gewollt“ wurzelt. Diese Haltung ist der Kern des Übels. Und wie bei allen über Jahrhunderte gewachsenen Vorurteilen wird es nicht leicht sein, die gesellschaftliche Geringschätzung aus den Köpfen zu kriegen. Oder sie gar durch ein neues, positives Bild zu ersetzen. Dabei wäre das wichtig: Was Alleinerziehende leisten, ist enorm und bringt sie oft an den Rand der Erschöpfung. Zudem ist es ein Dienst an der Gesellschaft, die Nachwuchs dringend braucht.
Die Kinder von Alleinerziehenden leben zu großen Teilen über Jahre in Armut. Eine Million Kinder der insgesamt 2,3 Millionen Kinder in Ein-Eltern-Familien wachsen damit auf, dass es zu Hause über längere Zeiträume sowohl an Geld als auch an Zeit fehlt, dass die betreuende Mutter oft gestresst und überlastet ist. Alleinerziehende Väter betreuen statistisch betrachtet fast ausschließlich ältere Kinder ab fünf, sechs Jahren aufwärts – außerdem wissen wir, dass Väter anders als alleinerziehende Mütter viel gesellschaftliche Anerkennung erhalten und weniger von Armut betroffen sind, da sie den Beruf wegen der älteren Kinder besser mit ihrer Betreuung vereinbaren können.
Die Kinderarmut bei Alleinerziehenden ist aber auch deshalb so alarmierend, weil sie über die vergangenen zehn Jahre bei Paarfamilien um knapp zwölf Prozent gesunken ist, während sie bei den Alleinerziehenden um 6,6 Prozent auf 42 Prozent stieg. Hier öffnet sich eine gesellschaftliche Schere, die hoch problematisch ist, weil Armut in frühen Jahren langfristig negative Folgen für die Entwicklung der Kinder hat und sie dadurch bei Bildung und Teilhabe benachteiligt sind.
Und das alles, obwohl Alleinerziehende deutlich häufiger in Vollzeit arbeiten als Mütter in Paarbeziehungen. Obwohl die Erwerbsquote alleinerziehender Mütter mit 61 Prozent insgesamt sehr hoch ist, und obwohl die meisten Alleinerziehenden (78 Prozent) gut bis sehr gut ausgebildet und hoch motiviert sind, den Familienunterhalt zu verdienen.
Das müssen sie aber auch, denn wie die Studie auch zeigt, erhält die Hälfte der Alleinerziehenden überhaupt keinen Unterhalt vom Expartner für das gemeinsame Kind (Ehegattenunterhalt ist seit der Unterhaltsreform von 2008 sowieso eine absolute Seltenheit geworden). Ein weiteres Viertel bekommt nur unregelmäßig oder zu wenig Unterhalt, nur das restliche Viertel angemessenen Unterhalt. Und deswegen bezogen 455.000 Kinder 2014 einen Unterhaltsvorschuss vom Staat, der allerdings aus unerfindlichen Gründen auf sechs Jahre begrenzt ist und nach dem zwölften Lebensjahr endet. Als bräuchten Kinder dann kein Geld mehr!
Die 2015 mit großem Tamtam beschlossene Anhebung des Steuerentlastungsbetrags für Alleinerziehende kommt bei den Kindern nicht an, sagt uns die Studie, und wer die Einkommenssituationen von Ein-Eltern-Familien kennt und obendrein weiß, wie viele von ihnen entweder Sozialleistungen beziehen müssen oder aufstocken, weil das eigene Einkommen nicht reicht, um das Existenzminimum einer Familie zu decken, wundert sich darüber nicht. Es war Fachleuten von vornherein klar, dass diese Maßnahme verpufft und höchstens als politischer Werbegag durchgeht.
Dass verheiratete Paare mit bis zu 15.000 Euro Steuervorteil pro Jahr vom Ehegattensplitting profitieren – unabhängig davon, ob sie Kinder großziehen oder nicht –, während Steuerklasse II, die Alleinerziehende beantragen können, eine Besteuerung fast wie ein Single bedeutet, ist ein weiterer Baustein in der strukturellen Benachteiligung. So sorgt der Staat dafür, dass berufstätige Alleinerziehende eine überproportional hohe Abgabenlast tragen, obwohl sie sich um zukünftige Steuerzahler kümmern, die auch die Rente von Kinderlosen eines Tages finanzieren werden.
Gravierende Fehlannahme
Auf dem Arbeitsmarkt gehören Alleinerziehende zur am schwersten zu vermittelnden Gruppe. Es ist aussichtsreicher, jemanden ohne Ausbildung und ohne Deutschkenntnisse in Arbeit zu vermitteln als Alleinerziehende, sagt uns die Statistik. Was wiederum nicht erstaunlich ist, wenn man sieht, dass alleinerziehende Mütter vom Jobcenter besonders gern in Ein-Euro-Jobs und sogenannte Fortbildungen gesteckt werden, was bekanntlich fast nie in gut bezahlten Festanstellungen mündet.
All das sorgt dafür, dass viele Alleinerziehende im Alter arm sein werden. Falls sie alt werden, denn über die gesundheitlichen Folgen des jahrelangen Darbens gibt es bisher noch gar keine Untersuchungen.
Was wäre also zu tun? Die Bertelsmann-Studie macht konkrete Vorschläge, die allesamt sinnvoll und längst überfällig erscheinen. Sie beinhalten eine Reform des Steuerrechts zugunsten Alleinerziehender, eine Bündelung der familienpolitischen Maßnahmen anstatt einer Vielzahl an unübersichtlichen Fördermitteln und Ansprechpartnern, eine Anhebung des Kindergelds um 100 Euro monatlich pro Kind für Alleinerziehende, gezielte Förderung auf dem Arbeitsmarkt, gute, günstige und flexible Kinderbetreuung – aber auch ein ausreichendes Zeitfenster, um sich um die Kinder zu kümmern. Denn dass Kinder nebenbei, am Feierabend und in Hetze aufzuziehen sind, ist laut Studie eine gravierende Fehlannahme des neuen Unterhaltsrechts, das von Müttern erwartet, dass sie Vollzeit arbeiten, sobald das Kind drei Jahre alt ist.
Und nicht zuletzt sollte sichergestellt werden, dass das Kind entweder vom nicht betreuenden Elternteil einen Unterhalt erhält, der für das Existenzminimum des Kindes sorgt. Oder aber der Staat muss mit einem angemessenen Unterhaltsvorschuss einspringen, der nicht zeitlich begrenzt sein darf und von dem auch das Kindergeld nicht abgezogen werden darf.
Manuela Schwesigs Vorschlag, auch darüber nachzudenken, nicht zahlenden Vätern wie in England den Führerschein zu entziehen, klingt deshalb auch gar nicht schlecht. Und da können die Unterhaltspreller noch von Glück reden, denn in Brasilien wandern nicht zahlende Elternteile ins Gefängnis. Ob sie schuldhaft nicht zahlen oder einfach das Pech haben, zu wenig zu verdienen, spielt keine Rolle. Haftbar für den Kindesunterhalt sind dort auch die Großeltern des Nichtzahlers, was eine drastische, aber sehr wirksame Maßnahme ist, die auch die Motivation dämpft, eventuell Teile des Einkommens durch Schwarzarbeit zu erzielen oder als selbstständiger Vater seine Bilanzen kreativ zu gestalten.
Dass es den Beistandschaften der Jugendämter, die nur viel zu selten Erfolge beim Eintreiben des Unterhalts erreichen, nicht gestattet ist, Einblick ins Konto des Nichtzahlers zu nehmen, ist nicht nachvollziehbar – kürzlich wurde erst beschlossen, dass das Finanzamt immerhin mitteilen darf, wie viele Konten der nicht zahlende Elternteil in Deutschland besitzt, aber die Kontobewegungen und Salden unterliegen weiterhin dem Bankgeheimnis. Auch da gibt es noch viel Luft nach oben.
Aber der Anfang von allem ist die Anerkennung, die in der Studie an mehreren Stellen erwähnt wird. Ohne sie wird sich nichts bewegen. Und sie täte auch gut – kurzfristig betrachtet vor allem den Alleinerziehenden und ihren Kindern, langfristig aber der gesamten Gesellschaft.
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