Sie alle unterstützen jetzt also die Absicht, diese Mauer zu errichten: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, Kultursenator Klaus Lederer, die Chefin des Medienboards Berlin-Brandenburg, der Intendant der Berliner Festspiele, Tom Tykwer, Brian Eno und Springer-Chef Mathias Döpfner, der zu Protokoll gab, er hoffe, dieses großartige und größenwahnsinnige Projekt werde nicht „an der Mauer der Bedenkenträger zerschellen“. Nur ein kleiner Chor mehr oder weniger erwartbarer Stimmen hält dagegen: Hubertus Knabe, der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen wirft mangelnde Sensibilität im Umgang mit der deutschen Geschichte vor, der Schriftsteller Ingo Schulz kritisiert, dass mit dem Bebelplatz ausgerechnet der Ort der Bücherverbrennung Teil dieser pseudo-totalitären Erfahrungswelt sein wird.
In seinen Grundzügen lässt sich das Vorhaben so skizzieren: Der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky und sein Team wollen in Berlin-Mitte bis zum 12. Oktober zwischen der Staatsoper Unter den Linden und der Französischen Straße eine Mauer aus rund 800 Betonteilen errichten, die denen des Originals 1:1 nachempfunden sind. Die Teile wurden offensichtlich bereits gegossen, sie sollen zur Abholung bereit in Brandenburg und Polen liegen. Die Mauer können Besucher bis zum 9. November dann nur noch mit einem vorher beantragten Visum passieren, was sie jenseits der Grenze erwartet, ist bisher vor allem Geraune. „Immersion“ lautet seit einiger Zeit schon das Schlagwort in der Kunst für solche geschlossenen Räume, in die Besucher ganz eintauchen sollen. Ein Bezugspunkt ist Khrzhanovskys Filmprojekt Dau, für das Darsteller drei Jahre lang auf einem abgeschlossenen Areal in der Ukraine die Sowjetunion der Jahre 1938 bis ’61 nacherlebt haben sollen.
Es ist schon bemerkenswert, wie dringend die Stadt, die kürzlich noch am Flughafen Tegel mit dem großformatig plakatierten Slogan „done with walls“ (be Berlin) grüßte, diese Mauer will. Böswillig könnte man unterstellen: Da sie keinen neuen Flughafen gebaut kriegt, besinnt sich auf ihre Kompetenzen. Aber das ist natürlich Quatsch, es geht um ein Leuchtturmprojekt, das 15.000 Besucher täglich anziehen soll, „something to write home about“, Bilder für die Bild-Titelseite. Und je prominenter der Kreis der Unterstützer ist, desto größer wird der Druck auf die Behörden, das Spektakel zu genehmigen. Noch steht der Entscheid aus.
Mit welchen Hürden Kunstprojekte zu kämpfen haben, die keine Schlagzeilen wie diese produzieren, lässt sich gerade jenseits der Flutlichter von Mitte betrachten. In Lichtenberg haben die Sammler Barbara und Axel Haubrok ihr Vorhaben, auf dem Gelände der ehemaligen Fahrbereitschaft des DDR-Ministerrats wieder Ausstellungen zu zeigen (siehe der Freitag 19/2018), endgültig aufgegeben. Dem Entschluss ging ein längerer Konflikt mit dem Stadtplanungsamt voraus. Die Fahrbereitschaft war keines dieser Projekte, die eine in sich geschlossene Welt erschufen. Auf dem Gelände in Lichtenberg mischten sich Gewerbetreibende mit Künstlern, gezeigt wurden auch Werke, wie man sie sonst nur in Mitte und um Mitte herum zu sehen bekommt.
Wird die Mauer nicht gebaut, wäre das angesichts der Tykwer-Eno-Kulisse eine Blamage, die sich Berlin schwer leisten kann. Wichtiger als Hauptstadt der Immersion zu werden, ist es aber, der Kunst mit Nachdruck dort Räume zu eröffnen, wo sie Teil des real existierenden Alltags sein kann.
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