Der entspannte Eindruck täuscht. Françoise Giroud flüchtete sich in die Arbeit
Foto: AFP/Getty Images
Dieses Buch, so viel vorweg, hätte nie gedruckt werden sollen. Die maschinengeschriebenen Seiten, die ihm zugrunde liegen, verfasste die Journalistin, Verlegerin und spätere Kulturpolitikerin Françoise Giroud im Sommer 1960 an der südfranzösischen Küste und auf Capri, nachdem es ihr nicht gelungen war, sich umzubringen. Dass es ihr todernst war mit dem Sterben, kann vorausgesetzt werden. Die Männer, die sie ins Krankenhaus brachten, mussten eine Wand einschlagen, denn die Schlafzimmertür, hinter der sie im tabletteninduzierten Koma lag, war bombenfest verriegelt.
Das war am 11. Mai 1960 gewesen, einem Donnerstag, denn „Donnerstag ist ein guter Tag zum Sterben“, schreibt Françoise Giroud. Weshalb? Ihre Erklärung kann Nicht-Journal
ht-Journalisten vielleicht eine vage Ahnung von der Besessenheit geben, mit der in unterbesetzten Redaktionen gearbeitet wird. Giroud war nicht nur Redakteurin, sondern auch Chefin der Wochenzeitung L’Express. Wenn so eine Zeitung Mittwochabend ausgeliefert ist, legt sich der Stress. Spätestens Montag muss der Apparat wieder auf Hochtouren laufen. Wollte sich bei einer Wochenzeitung jemand umbringen, wäre ein Selbstmord am Montag oder Dienstag absolut unkollegial.Im Sommer 1960 ist Françoise Giroud 43 Jahre alt, aus ihren Aufzeichnungen spricht mitunter aber eine Erschöpfung, die sie wesentlich älter wirken lässt. Es mag daran liegen, dass sie, seit sie 14 war, ununterbrochen arbeitet, mit Ausnahme der zehn Monate, die sie 1944 als Widerstandskämpferin in Gestapo-Haft verbringt. „Davor und danach“, schreibt sie, „habe ich nur einen Weg gesehen, um mich für meine Existenz zu rechtfertigen: indem ich arbeite.“ Sie muss nicht nur ihren Unterhalt bestreiten, sondern auch den der Mutter, die ein Hotel und einen Modesalon eröffnet und in den Sand gesetzt hat. „Armut ist nie spaßig“, erinnert sich Giroud.Von „Elle“ zu „L’Express“Die Konstante in ihrer Erwerbsbiografie ist die Schreibmaschine, sie erledigt die Korrespondenz eines Buchhändlers, wird Skriptgirl beim Film und schließlich Redakteurin bei der neuen Frauenzeitschrift Elle. 1953 gründet sie dann mit Jean-Jacques Servan-Schreiber die linke Wochenzeitung L’Express. Sie lieben sich, aber 1960 verlässt Servan-Schreiber sie, um eine Jüngere zu heiraten und ein Kind (am Ende werden es vier sein) zu bekommen, und er enthebt sie vorübergehend ihres Postens.In dieser Situation also erfolgt der Selbstmordversuch. In Südfrankreich setzt Françoise Giroud sich einige Wochen später auf Anraten ihres Arzts an die Schreibmaschine, um zu Blatt zu bringen, was sie Servan-Schreiber noch hätte sagen wollen. Das erklärt vielleicht, warum dieser Text zwar unendlich viel Selbstkritik enthält, aber keine echten Schwächen eingesteht. Sie malt ein Bild von sich, das ihm, der schon mit der anderen verlobt ist, Hochachtung abringen muss. Ich bin eine freie Frau, so lautet der deutsche Titel, ist also paradoxerweise kein freier Text. Was sie schreibt, klingt nicht immer ganz ehrlich.Giroud selbst erwog, den Text zu veröffentlichen, der mit dem Tag ihrer Geburt beginnt und neben Details aus ihrem Privatleben sehr scharfsinnig vom Klassismus im Paris der 30er bis 50er Jahre und vom Ehrgeiz der neuen Presseorgane erzählt. Die Freunde, die ihn lasen, rieten ihr ab. 40 Jahre später soll sie selbst gesagt haben: „Mir wurde bewusst, dass das nicht erscheinen darf, dass man nicht alles veröffentlichen muss, was man schreibt.“ Vernichtet hat sie die Seiten aber nicht, anders als viele andere Dokumente. So entschieden war sie offensichtlich nicht. Nun hat ihn eine Freundin herausgegeben, die 40 Jahre jüngere Alix de Saint-André, die im Nachlass auf das verloren geglaubte Dokument stieß.Es gibt Passagen, die lesen sich wie ein Filmskript, Françoise Girouds Erinnerung an den März 1955 zum Beispiel, als L’Express zum ersten Mal als Tageszeitung gedruckt wurde (eine kurze Episode, nach fünf Monaten kehrten sie zum wöchentlichen Erscheinungsmodus zurück): „Spätnachts hat er [Jean Jacques Servan-Schreiber] mich in dem – nun geräumigen – Büro aufgesucht, das wir uns teilten. Wir blickten aus dem Fenster, die Ellbogen aufgestützt. Unten, auf dem Bürgersteig der Champs-Éysées, diskutierten noch einige unserer Freunde, enttäuscht drehten und wendeten sie unser mageres Blättchen. An der Leuchtuhr vom Balkon gegenüber habe ich die Zeit abgelesen: zehn Minuten vor zwei.“Pointert auch ihre Analysen des Politik- und Medienbetriebs und der Geschlechterverhältnisse. Sie notiert zum Beispiel: „Für mich ist ein Mann weder eine Brieftasche, die mir den Lebensunterhalt sichert, noch ein Etikett, das mir gesellschaftliche Teilhabe gewährt, weder ein Schmuckstück, das ich anlege, um mich beneiden zu lassen, noch ein Geschlechtsteil, an das ich meinen Rest Jugend binde, um sie festzuhalten, und auch kein Radiogerät, das die Stille beleben soll. Er ist ein Mensch, mit dem ich das Seltenste der Welt finden will: eine gemeinsame Sprache.“ So klar kann man also formulieren, warum die Emanzipation der Frau auch im Sinne des Mannes ist.Es gibt aber auch weniger gelenke Sätze, plumpe Bilder und Nebensächliches, das den Test der Zeit nicht besteht. Man wünscht sich, jemand wäre autorisiert gewesen, alles zu streichen, was diese Memoiren verschlackt. Oder aber Françoise Giroud hätte sie im Lauf ihres dann doch recht langen Lebens – sie wurde 86 Jahre alt – an ein paar ruhigen Donnerstagen schonungslos redigiert.Placeholder infobox-1
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