Sie haben ihre Fettanzüge abgelegt und florale Muster für sich entdeckt. Die Stadtwohnung wird zusammengepackt, das neue Holzhaus steht in der Uckermark, und es stammt aus dem Internet, „wie alles Gute“. Aber gut ist für Gemma, Minna, Lina und ihre beste Freundin immer noch wenig, denn auch die Fortsetzung von Sibylle Bergs sehr erfolgreichem Stück Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen hat Sibylle Berg geschrieben und nicht Rosamunde Lindström, und sie hat sie fürs Berliner Maxim-Gorki-Theater geschrieben und nicht fürs ZDF-Herzkino.
Was bisher geschah: Drei Freundinnen, unendlich genervt von der Gesellschaft, haben früher schwächere Jungs verdroschen, mit 20 fehlt ihnen nun ein neues Ventil für ihre Aggressionen. Minna entdeckt den Fitnesstanz Zumba für sich, Gemma das Shoppen, also monologisiert die Dritte, die namenlos bleiben wird, ihre Abscheu vor der Welt eben in selbige hinaus. Dieser Monolog war der Text von Sibylle Bergs Stück, er wurde von vier Schauspielerinnen meist im Chor gesprochen, ab und zu scherte eine als Gemma, Minna sowie später Lina aus und sprach von sich dann meist in der dritten Person.
Dieser Redefluss erinnerte an Beckett-Figuren, an Winnie aus Glückliche Tage zum Beispiel, die bis zum Hals eingegraben in einem Hügel sitzt und sich durch ein verbales Dauerfeuer und ein paar einsilbige Wortmeldungen, die sie ihrem Gatten abringt, der eigenen Existenz versichert. Einen Gatten gab es bei Berg nicht, dafür Lina, deren SMS der Empfängerin nur so lange glückliche Momente bescherten, bis sie den Inhalt las. Denn die angebetete Lina textete nur, wie ihre neue Affäre so lief.
Den Reiz der Inszenierung von Sebastian Nübling machte aber vor allem die mit Tabea Martin ersonnene Choreografie aus. Die vier jungen Frauen, uniformiert in unförmigen Sweatshirts zu unförmigen Röcken, stampften, tanzten und boxten ihre Zeilen, verbal und körperlich ein Gewaltritt mit Slapstickeinlagen. Dafür wurde Es sagt mir nichts … in der wichtigsten Kritikerumfrage zum Stück des Jahres 2014 gewählt.
Nun also die Fortsetzung: Und dann kam Mirna. Mehr als zehn Jahre sind vergangen, die Frauen haben Kinder bekommen, alle in derselben Nacht gezeugt, auf unterschiedlichste Art: Gemma mit ihrem festen Partner, Minna per Samenspende, Lina mit einem schwulen Freund und die Vierte mit einem Torben, den sie bald abserviert.
Kein Argument schadlos
Die Rollen sind etwas ins Rutschen geraten, Minna und Lina haben ein paar biografische Details getauscht, Çiğdem Teke, neu von den Münchner Kammerspielen im Gorki-Ensemble, ist nun Lina, während die frühere Lina Cynthia Micas nun Minna ist, und alle sind auch immer noch das vierstimmige Ich. Neu ist die Frage: „Warum werden Mütter immer gehasst?“ Ging es im Vorgängerstück also noch um das ironische Schauen von Modelcastingshows und ADHS, so werden nun Waldkindergärten und das Ausbleiben der im viralen Marketing versprochenen Glücksgefühle zerpflückt. Sibylle Berg umschifft kein Klischee und lässt kein Argument schadlos davonkommen, egal ob es nun konservativ ist oder progressiv gemeint.
Ein Kollege von mir ist fest überzeugt, dass die Schauspielerinnen bei seinem Besuch von Es sagt mir nichts … einfach nur die Kolumnen aufgesagt haben, die Sibylle Berg wöchentlich auf Spiegel Online schreibt. So fern liegt der Gedanke nicht, auch das neue Stück treiben Debatten um und weniger der Plot oder die Charaktere. „Was sollen wir als Erstes bekämpfen? Aluminium in Deos? Maskulisten? Die Banken? Der Dings, der IS, zum Beispiel, was machen wir da? Wie bekämpfen wir den? Langt eine Mahnwache, oder muss man so weit gehen und einen offenen Brief schreiben?“
Was Sibylle Berg denn Neues übers Muttersein erzähle, fragte eine andere Kollegin. Wenn man ehrlich ist, nichts. Aber sie zielt eben gekonnt mitten in die Fresse und hakt, wie in einer guten Glosse eben, nebenbei noch 20 andere aktuelle Fragen ab. Manche Hyperklischees wären aber verzichtbar. Dass Lina, die sich von allen heteronormativen Zwängen befreien will, mit ihren Wohngenossinnen einen veganen Sex-Space betreibt, zum Beispiel.
Neu ist im zweiten Stück vor allem, dass die vier immer noch jungen Frauen, die nun unförmige Blumenkleider tragen, auf der Bühne Sparringspartnerinnen haben. Vier Mädchen, etwa zehn Jahre alt, in kurzen Jeanshorts, dazu weiße Kniestrümpfe, pinkfarbene Trainingsjacken, strenge Pferdeschwänze. Sie entrümpeln die Wohnung, während die Mütter Reden schwingen, ihr Hobby ist die Mikrobiologie. Frei flottierende Mütter, ordnungsbedürftige Kinder – auch das ist ein gängiges Klischee. Aber wie der Konflikt hier ausagiert wird (in getanzten Gang-Fights zum Beispiel, wie man sie aus Michael-Jackson-Videos kennt), ist temporeich, komisch und spiegelt aufs Feinste das Energiegefälle zwischen den Generationen.
Dem Projekt jwd werden Minna, Gemma und Lina sich übrigens eine nach der anderen verweigern, und Tochter Mirna tut ihr Übriges, damit der Neustart janz weit draußen ausfällt. Aggro Uckermark bleibt vorerst eine fixe Idee.
Info
Und dann kam Mirna Text: Sibylle Berg, Regie: Sebastian Nübling Maxim-Gorki-Theater, Berlin
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