Antisemitismus: Was bleibt von der Kunstausstellung documenta fifteen

Meinung Am Sonntag sind die 100 Tage der Weltkunstschau in Kassel um, mehr als 100 Tage wurde über ihre Haltung zu Antisemitismus diskutiert. Die Bilanz ist erschreckend
Ausgabe 38/2022
Um die Kunst ging es am Ende wenig
Um die Kunst ging es am Ende wenig

Foto: IPON/Imago

Zufrieden sei die documenta mit ihren Besucherzahlen, war Anfang dieser Woche einer dpa-Meldung zu entnehmen. Sie begann mit dem denkwürdigen Satz: „Trotz der Antisemitismus-Vorwürfe gegen die documenta fifteen in Kassel und der Auswirkungen der Corona-Pandemie hat die Weltkunstschau zahlreiche Besucher angezogen.“ Uff, na dann. Zwei Katastrophen erfolgreich getrotzt. Als seien die Vorwürfe das Problem und nicht die antisemitischen Karikaturen, Broschüren und Propagandafilme, die auf der documenta gezeigt wurden.

Am Sonntag sind die 100 Tage der Kunstschau in Kassel um, seit sehr viel mehr als 100 Tagen wird darüber gestritten, ob die Kurator*innen Ruangrupa judenfeindlichen Positionen eine Bühne bereiten – und selbst wenn ja, ob es anmaßend ist, ihnen das vorzuwerfen. Wie verbreitet die letztgenannte Haltung in der Kunstszene ist, hat diese documenta leider auch zutage gefördert.

Um Israel geht es inzwischen irritierend oft

Die achtköpfige Findungskommission zum Beispiel, die Ruangrupa für die künstlerische Leitung der documenta ausgewählt hatte, schrieb in einem Statement vergangene Woche von „unerträglichem Druck“, der auf das indonesische Kollektiv ausgeübt worden sei, und weiter: „Wir lehnen Antisemitismus ebenso ab wie dessen derzeitige Instrumentalisierung, die der Abwehr von Kritik am Staat Israel und seiner derzeitigen Besetzungspolitik palästinensischer Gebiete dient.“ Antisemitismus und Antisemitismus-Vorwürfe, für die Kommission wiegt beides offensichtlich gleich schwer, und bezieht man ihren Satz konkret auf die Werke, die auf der documenta beanstandet wurden, hieße das de facto, dass ein bisschen Judenfeindlichkeit lässlich ist, wenn es um Israel geht. Um Israel aber geht es auf Kunstschauen und Biennalen inzwischen irritierend oft.

Die documenta fifteen ist nicht die erste documenta, die umstritten ist. Sie wurde schon als zu verkopft, zu dilettantisch, zu entgrenzt kritisiert. Bei der documenta 14 ging es um die Frage, ob man den Kasselaner*innen ihre Weltkunstschau wegnehmen und in Athen starten darf und, als das griechische Abenteuer vorbei war, wer die Zeche zahlt. Insofern war sie vor fünf Jahren ein guter Spiegel der Stimmungen ihrer Zeit. Ein Spiegel ihrer Zeit ist auch die documenta fifteen. Leider, muss man in diesem Fall sagen.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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