Die Guerilla Girls stellten die Position von Frauen im Museum infrage
Grafik: Produktionskollektiv Kreuzberg
Immer diese Frage: „Was bedeutet es, die einzige Frau zu sein, Blahblah“ – das schrieb die Grafikdesignerin Paula Scher schon in den 1990ern. Scher war die erste Partnerin der Agentur Pentagram, wie das aussah, dokumentierte das Foto eines Bootsausflugs, auf dem sie zwischen all den Männern stand. Julia Meer nahm den Text, der daraus entstand, 2012 in einen Band über Frauen im Grafikdesign seit 1890 auf. Inzwischen leitet Meer die Abteilung Grafik und Plakat am Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) in Hamburg und stellte fest: Es gibt auch heute noch jede Menge Redebedarf, was den Anteil von Grafikerinnen betrifft – gerade auch in ihrer Sammlung.
der Freitag: Frau Meer, die feministische Künstler*innengruppe Guerrilla Girls stellte 1989 provokat
Guerrilla Girls stellte 1989 provokativ die Frage: „Müssen Frauen nackt sein, um ins Museum zu kommen?“ Das längst ikonische Plakat klärte darüber auf, dass weniger als fünf Prozent der Werke in der Sammlung des Metropolitan Museum in New York von Frauen stammten. Mehr als 30 Jahre später mussten Sie feststellen, dass es in Ihrer Abteilung am Museum für Kunst und Gewerbe nur ein Prozent sind.Julia Meer: Es sind anderthalb, was zugegeben keinen großen Unterschied macht. Aber immerhin, ein Drittel mehr!Sie leiten die Sammlung Grafik und Plakat seit 2020. Wann und wie stießen Sie auf diese Zahl?Placeholder image-2Ich bin gleich zu Anfang durch die Räume gegangen und habe geschaut, wie viele Namen von Frauen auf den Schubladen stehen. Sehr wenige. Irgendwann saß ich in einer Auktion für ein Plakat der Guerrilla Girls, an dem ich sehr interessiert war. Im letzten Moment dachte ich: „Warum sollte ich einem Auktionshaus Geld in den Rachen werfen? Die leben ja noch!“ Ich habe sie angeschrieben und gefragt, ob sie selbst Arbeiten verkaufen – kurz darauf kam hier eine wunderschöne schwarze Box mit allen Plakaten und Publikationen an, dazu ein USB-Stick mit den Filmen. Und jetzt, da wir dieses Gesamtwerk haben, muss ich es natürlich auch ausstellen – und davon ausgehend wollte ich unsere eigene Sammlung in den Blick nehmen.Immerhin rund 400.000 Objekte.Die Guerrilla Girls hatten Zeit und Lust, für uns eine neue Arbeit zu machen – und dafür brauchten sie Zahlen. Das Team der Sammlung hat daraufhin monatelang alle Schubladen durchforstet und inventarisiert, was nicht erfasst war, fotografiert, Datensätze verbessert … bis wir ihnen eine Exceltabelle schicken konnten. Das ist zum einen die Gesamtzahl: gut 6.000 Arbeiten, also anderthalb Prozent. Die haben wir uns dann aber noch mal genauer angeschaut.Placeholder infobox-1Was fiel Ihnen dabei auf?Wir haben zum Beispiel gefragt, wann gab es die erste Einzelausstellung von einer Frau? Das war knapp hundert Jahre nach Eröffnung des Museums – eine verdammt lange Zeit! Gezeigt wurden Arbeiten der Künstlerin Hanne Darboven. Zu einer Grafikdesignerin gab es bis heute keine Einzelausstellung. Wir haben auch eine Statistik erstellt, wann wie viele Arbeiten von Frauen inventarisiert wurden. In den ersten 100 Jahren des Museums waren es 142. Was super wenig ist, wenn man bedenkt, dass Frauen seit 1890 als Gestalterinnen tätig sind. Allein vergangenes Jahr haben wir über 800 Arbeiten von Gestalterinnen in die Sammlung aufgenommen.Placeholder image-4Es gibt immer wieder Ausstellungen, die das Werk einer Künstlerin oder von Künstlerinnen einer Epoche neu entdecken und feiern. Ihr Ausgangspunkt hingegen ist ein Missstand. Wie gingen Sie damit um?Das war wirklich schwierig. Am Anfang hatte ich den Wunsch, die Geschichte des feministischen Grafikdesigns zu erzählen. Welche Netzwerke eine Rolle spielten, der Zugang zu Ausbildung … Doch ich musste schnell erkennen: Das gibt die Sammlung nicht her, auch wenn sie großartige Arbeiten enthält. Daher lautet eine unserer Fragen nun: Warum wurden ausgerechnet diese Frauen gesammelt?Was fanden Sie darüber heraus?Die meisten, von denen wir viele Arbeiten haben, kommen aus Hamburg und sind verpartnert mit Gestaltern, die auch hier gesammelt wurden. Oder waren die Ehefrau des Gründungsdirektors oder die Frau von einem politisch einflussreichen Mann. Natürlich wurde auch entlang des designhistorischen Kanons gesammelt, die russische Avantgarde oder die polnische Plakatschule. Auffällig ist auch, dass von den meisten immer nur eine Arbeit gesammelt wurde. Von Gestaltern haben wir oft um die 400 Arbeiten, damit kann man wirklich das Werk von jemandem anschaulich machen. Mit unter zehn Arbeiten kann ich fast nichts über die Person und ihren Werdegang sagen. Man merkt sehr deutlich, dass es selten darum ging, die Leistungen einer Gestalterin zu dokumentieren.Placeholder image-32017 zeigte das Deutsche Architekturmuseum die Ausstellung „Frau Architekt“. Unser Rezensent schrieb damals, die dort vorgestellten Frauen seien zum Teil auch deshalb nicht bekannt, weil sie als Ehefrau, Partnerin, Mitarbeiterin oder Assistentin eingeordnet wurden und keine Credits für ihre Arbeit bekamen. Stießen Sie auf dieses Problem auch?Der Fall, der mich am meisten geärgert hat, war eine Zeitschrift, die von Warwara Stepanowa und Alexander Rodtschenko gestaltet worden ist. Beide stehen im Impressum, aber die Arbeit ist nur unter seinem Namen inventarisiert. Ich wusste, dass diese Zeitschrift hauptsächlich von ihr gestaltet wurde und er hauptsächlich die Fotos gemacht hat. So etwas passiert ständig. In Frankfurt wurde der ganze Nachlass von Clara Möller-Coburg unter dem ihres Mannes archiviert. Erst kürzlich kam heraus, dass ein Teil davon ihr Nachlass ist.Vor nicht einmal vier Jahren zeigte das MK&G „Beauty“ von Sagmeister & Walsh. Oder wie es in der Ankündigung hieß: Ein Ausstellungsprojekt des „Design-Superstars“ Stefan Sagmeister, „gemeinsam mit“ Jessica Walsh. Warum etablieren sich bis heute eigentlich nur Männer in der Branche als Marke?Es gibt schon Frauen, die sichtbarer sind, wie Tereza Ruller, die als The Rodina arbeitet, Paula Scher in New York oder Anja Kaiser aus Leipzig. Aber nicht alle Gestalter*innen legen Wert auf mediale Aufmerksamkeit, sondern priorisieren beispielsweise gute Zusammenarbeit und gesellschaftliches Engagement. Einzelpersönlichkeiten und Komplettdesigns für große Firmen lassen sich aber immer noch besser greifen als das oftmals komplexe Grafikdesign für beispielsweise ein Stadtteilentwicklungsprojekt, das in einem kollektiven Prozess entstanden ist. Übrigens sind in den gut zwei Jahren, die ich hier bin, bisher nur Gestalter auf mich zugekommen, um größere Mengen von Arbeiten anzubieten. Auf die Frauen muss ich offensiv zugehen. Noch weigere ich mich, daraus irgendein Klischee abzulesen. Aber es ist auffällig, dass eine bestimmte Generation von männlichen Gestaltern, die jetzt so in ihren Siebzigern ist, mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein auf das Museum zukommt und sagt: Meine Sachen müssen hier gelagert werden und ich bekomme Geld dafür. Ich hoffe sehr, dass diese Ausstellung dazu beiträgt, dass Frauen ihre Arbeiten auch als sammlungswürdig begreifen. Denn wir merken natürlich, was ausgestellt wird, beeinflusst, was uns angeboten wird.Placeholder authorbio-1