Bahn frei, Kartoffelbrei! Schaden Attacken auf Bilder im Museum der Klimabewegung?

Kulturkommentar Tomatensuppe auf Van Gogh in London, Kartoffelbrei auf Monet in Potsdam: Die Idee, Museen zum Schauplatz von Klimaprotesten zu machen, ist auf Deutschland übergeschwappt – und sorgt für Hohn
Ausgabe 43/2022
In London kippen Aktivisten der Gruppe „Just Stop Oil“ Tomatensuppe auf ein Gemälde von Van Gogh
In London kippen Aktivisten der Gruppe „Just Stop Oil“ Tomatensuppe auf ein Gemälde von Van Gogh

Foto: Imago/Zuma Wire

Jetzt also Kartoffelbrei auf Monet statt Tomatensuppe auf Van Gogh. Seit zwei Aktivist*innen der Klimaprotestgruppe Letzte Generation am Sonntag im Museum Barberini in Potsdam den Brei auf Claude Monets Gemälde Getreideschober warfen, kursieren auf Twitter Witze darüber, welche Mahlzeit am besten zu welchem prominenten Werk passt. Käse-Lauch-Suppe auf Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer? Blaubeersuppe auf Yves Kleins Blue Monochrome? Als Nächstes werden wohl Kochrezepte ausgetauscht. Rezepte gegen den Klimawandel findet man in diesen Threads hingegen nicht.

In Artikeln über die Aktion geht es wiederum vor allem um die Kosten, die die Museumsschließung und verstärkte Sicherheitsvorkehrungen verursachen – und um die Frage, ob diese Form des Protests legitim oder gaga ist und der Bewegung nur schadet. Die Aktivistin Phoebe Plummer, die Mitte Oktober in London die Tomatensuppe auf Van Goghs Sonnenblumen warf, erklärte im Interview mit dem Kunstmagazin Frieze, es gehe ihnen um die „gut reaction“ der Leute, den Reflex: „Ich möchte diesen schönen, wertvollen Gegenstand schützen!“, der aus dem Bauch kommt. Das aber heißt, bei der Provokation ist eingepreist, dass ihnen nicht die Sympathien zufliegen, im Gegenteil. Ein großes Missverständnis über die Klimabewegung ist wohl auch, ihr Ziel sei es, ständig die Herzen ihrer Mitmenschen für sich zu gewinnen.

Eingebetteter Medieninhalt

Der Wunsch der Aktivist*innen von Just Stop Oil jedenfalls wäre, so Plummer, dass der Reflex im zweiten Schritt dazu führt, dass die Leute überlegen, warum sie diesen schönen Planeten nicht ebenso entschieden vor der Zerstörung durch die Öl- und Kohle-Industrie schützen wollen. Man kann das für blauäugig halten – aber es stimmt, dass der Bauch auf einen besudelten Van Gogh stärker reagiert als auf konkretere Aktionen. Das Interesse an den neun Wissenschaftlern der Gruppe Scientist Rebellion, die sich etwa zeitgleich im Porsche-Pavillon in Wolfsburg am Boden festklebten, um Gespräche mit dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume über ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen zu erzwingen, hielt sich jedenfalls in Grenzen.

Noch so ein Vorwurf an die Aktivist*innen: Es mangle ihren Aktionen an künstlerischer Finesse oder auch kunsthistorischem Sachverstand (Heinz-Tomatensuppe statt Campbell’s. How dare you!). Aber es sind Aktionen mit Kunst, keine Kunstaktionen. Anders als bei Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit oder des Kollektivs Peng! kämen die Aktivist*innen kaum auf die Idee, sich auf die Kunstfreiheit zu berufen, um die Suppenattacken und das Ankleben zu rechtfertigen. Der Vorwurf mangelnder Originalität, wenn die zweite und vermutlich bald dritte, vierte und fünfte essbare Pampe auf die Glasplatte vor einem Ölgemälde klatscht, hat deshalb auch etwas Blasiertes.

Ob Teile der Klimaschutzbewegung noch radikaler werden, wie viele jetzt unken, hängt nicht davon ab, ob wir uns laut genug darüber empört haben, dass die falsche Tomatensuppe geworfen wurde, oder ob wir entschieden genug geächtet haben, dass Aktivist*innen Kulturgut benutzten, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es hängt noch nicht einmal davon ab, ob die Medien auf solche Aktionen anspringen oder bewusst nicht darüber berichten. Es wird allein davon abhängen, ob in den kommenden Jahren eine überzeugende Politik gemacht wird, um die Erderwärmung zu bremsen.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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