Berliner Metamorphosen

Galerien Club, Museum, Arztpraxis: In der Corona-Krise verändern sich Räume. Leider bleibt dabei oft das Schlechteste erhalten
Ausgabe 50/2020

Kürzlich wurde überlegt, ob es nicht eine gute Idee wäre, den Schulunterricht in die Museen zu verlegen, die jetzt ja keiner besuchen darf. Außer bei der Städtischen Galerie Rosenheim schlug der Gedanke nirgends richtig Funken, was daran liegen könnte, dass es wenige Orte gibt, die schlechter fürs Stoß- und Querlüften geeignet sind als Museen. Ein Luftzug im Museum ist so exotisch, dass Ryan Gander auf der Documenta 13 im Fridericianum nichts weiter ausstellte als das: eine leichte Brise, die durch den linken Flügel im Erdgeschoss strich. Wer in einem Museum ein Fenster öffnen will, der sollte nachts kommen und ein Brecheisen dabeihaben. Selbst in einem Club wie dem Berghain wäre es einfacher, mal eben ein Fenster aufzureißen. Wobei das Berghain im Moment nicht nur ein vorübergehend geschlossener Club, sondern auch ein vorübergehend geschlossenes Museum ist: Die Ausstellung Studio Berlin, die dort im September als Zwischennutzung eingezogen war, ist bis auf Weiteres ebenfalls dicht. Ob es sich dadurch auch als Ersatzschule qualifiziert? Von Mathe-Unterricht im Berghain und Sven Marquardt als Pausenaufsicht würden Berliner Schüler vielleicht noch ihren Enkeln erzählen.

In Berlin-Mitte ist in der Galerie DNA unterdessen eine Covid-Schnelltest-Station eingezogen. „In angenehmer Atmosphäre zwischen Kunstwerken und klassischer Musik“ verspricht der private Anbieter ein Ergebnis in nur 30 Minuten. Das Foto, das kursiert, sieht aus, als handle es sich um die Dokumentation einer Kunstperformance: Zwei sehr gut aussehende Personen in strahlend blauer Schutzkleidung und mit Visieren vor den Gesichtern stehen vor dem langen weißen Tresen der Galerie, hinter dem, durch eine Plexiglasscheibe abgeschirmt, zwei Mitarbeiterinnen mit FFP2-Masken an iMacs sitzen. In ihrem Rücken hängt eine großformatige Schwarzweißfotografie, die zwei Menschen zeigt, die sich umarmen. Acht Augenpaare schauen die Betrachterin direkt an. Die Aussicht, diesen Raum zu betreten, erscheint ebenso verlockend wie das Angebot, den Lockdown in einem Hotel in den Bergen mit Jack Torrance zu verbringen. Teure Kunst und klassische Musik sind mir in Arztpraxen ohnehin suspekt: Wo sie die Atmosphäre „angenehmer“ machen sollen, geht es meistens ans Eingemachte. Oder irgendwas mit Zähnen. Dass viele Menschen Hemmungen haben, eine Galerie zu betreten, wird sich nach dieser Form des Erstkontakts kaum ändern. Dabei sind die Galerien im Moment die einzigen Ausstellungsorte, die besucht werden können, weil sie Kunst nicht nur zeigen sondern vor allem auch verkaufen.

In München kann man diese Woche immerhin wieder ins Lenbachhaus gehen. Nur kommt man dort nicht weit. Um genau zu sein: bis in den Museums-Shop, der „exklusiv“ vier Tage lang geöffnet ist, um Einkäufe zu ermöglichen. So mancher mag insgeheim gedacht haben, die Schließung der Museen habe wenigstens ein Gutes: ein Weihnachten nämlich ohne lustige Tassen von David Shrigley oder Socken mit Monets Seerosen unterm Baum. Sollte das Münchener Beispiel Schule machen, wird diese Hoffnung wohl ebenso bitter enttäuscht wie die Erwartung, ohne Weihnachtsmärkte käme man in diesem Jahr um die klebrige Gewürzbrühe herum (und ja, damit meine ich ausdrücklich auch dich, „Bio-Glühwein, 100 Prozent hand-made, mit den Superfruits Gojibeere und Zitronengras“). Selbst das bayerische Schankhaus auf meinem Weg zur Redaktion hat sich seit Montag in eine Glühweintankstation verwandelt. Darauf einen Schuss Dujardin.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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