Bewusst bekloppt

Pop Wie Schnipo Schranke harmlose Reime in den Genitalbereich rutschen lassen
Ausgabe 36/2015

Eigentlich schade, dass es sie nur in den USA gibt, diese schwarz-weißen Aufkleber, die vor freizügigen Songtexten warnen. So einer stünde dem Debüt von Schnipo Schranke gut. Ein klares Signal an alle 15-Jährigen, dass sie hier vieles lernen können, was ihre Eltern ihnen nicht erzählen, etwa über Mädchenunterhosen und Oralsex. Wobei ein technisches Wort wie Oralsex nicht fällt, die Frage ist vielmehr: „Warum schmeckt’s, wenn ich dich küsse, untenrum nach Pisse?“ Das Leben ist eben keine Waschmittelwerbung. Oder wie Schnipo Schranke singen: „Im Abwasserkanal fließt keine Limonade.“

Sprachlich sind Friederike Ernst und Daniela Reis erhellend explizit, und sie sind Meisterinnen darin, harmlose Sätze in den Genitalbereich verrutschen zu lassen, siehe Pisse oder auch: „Nimm mich an der Hand, nimm mich an der Wand.“ Auf solche klaren Worte lassen die beiden diffuse Ansagen folgen. Wer auseinandertrennen will, was davon ernst zu nehmen ist, wird an Schnipo Schranke keine Freude haben. Ebenso gut könnte er fragen, wer in diesem Duo das Schnitzel mit Pommes und wer Mayo und Ketchup ist.

Wenn die Geschichte, wie ihr Label sie erzählt, stimmt, haben Ernst und Reis sich auf der Musikhochschule in Frankfurt kennengelernt, das Cello und die Flöte, doch von der Akademie ist auf ihrem Album Satt wenig zu hören. Es ist aber auch kein Dilettantinnenpop. Die Melodien sind eingängig, manchmal auch provozierend monoton, die Ausführung ist ungestüm. Das entspricht dem ständigen Bekenntnis der Komponistinnen zum Phlegma – „ich hab Lethargie, und du hast Visionen“ –, während sie hochtourig Reime raushauen. Der Perfektion verweigern sich Schnipo Schranke selbstbewusst, oder besser irritiert, denn mit dem Selbst und dem Bewusstsein stimmt auf diesem Album auch so manches nicht.

Einiges erinnert natürlich an Girls, die Lena-Dunham-Serie, Ernst und Reis sind auch ähnlich alt wie deren Protagonistinnen. Das Erstaunlichste vielleicht ist deshalb, dass es – abgesehen vom Intro und einem Song, der entsprechend den Titel Cluburlaub trägt – in allen Liedern ein Du gibt, das permanent angemacht und angesprochen wird. Es ist immer namenlos, aber als Mann identifizierbar (es produziert Sperma oder hat Sackhaare).

Das unlyrische Du

Vor zwei Jahren schrieb der Kulturtheoretiker Georg Seeßlen für diese Zeitung einen sehr klugen Text über die Schlagersängerin Andrea Berg (der Freitag 43/2013). Zu Bergs einzigem Thema bemerkte Seeßlen: „Ein weibliches, mehr oder weniger lyrisches Ich, formuliert seine Ansprüche an ein männliches, ganz und gar nicht lyrisches Du. Dieses männliche Gegenüber tendiert offensichtlich zur Untreue, nicht selten aber auch zu schlichter Langeweile. Es scheint sich weder sexuell noch sozial um einen Traummann zu handeln, und doch will sich dieses weibliche Ich ihm unterwerfen, ihn behalten, ihn sich immer wieder schön und stark träumen.“

Diese Sätze treffen eins zu eins auf Schnipo Schranke zu, abzüglich der Untreue und der männlichen Stärke, die sie nicht interessieren. Sonst ist alles da, nur denkt das zweifellos lyrische Ich die Beklopptheit seines Unterfangens immer mit. Deshalb sind Schnipo Schrankes Lieder gleichzeitig komisch, elend, dreckig. Und ob irgendwas, wovon sie singen, echt ist, ist vollkommen irrelevant. Das ist der schöne Unterschied.

Info

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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