Bloß kein Hopplahopp

Im Gespräch Wann ist die Zeit für die ästhetische Ausein­andersetzung mit Fukushima ­gekommen? Die Künstlerin Leiko Ikemura meint: jetzt

Der Freitag: Die Katastrophe in Fukushima ist nicht abgeschlossen, sie dauert an. Warum jetzt schon eine Ausstellung?

Leiko Ikemura: Viele haben nach dem Geschehen schnell mit Benefizaktionen begonnen. Die Japaner, die im Ausland leben, waren auf eine Art viel betroffener als die Inlands-Japaner, die direkt getroffen waren und unter Schock standen. Das Gefühl kannte ich zwar auch, aber nach einer unglaublichen Traurigkeit in den ersten Tagen hat sich bei mir das Bewusstsein durchgesetzt: Du musst etwas tun.

Eine Ausstellung.

Es hat viele Aktionen gegeben, bei denen ich gemerkt habe: Das ist alles gut gemeint, aber es findet keine inhaltliche Auseinandersetzung statt. Ich habe keine Ausstellung gesehen, die Fukushima wirklich reflektiert oder dem etwas entgegenzusetzen gehabt hätte. Nach sechs Wochen hatte sich der Alltag wieder eingestellt, man kam wieder down to earth. Und ich merkte: Es geht eigentlich nicht um das Geld, die Solidarisierung muss inhaltlich geschehen. Ich hatte das Glück, Gabriele Horn, die Direktorin der Berliner KW Institute for Contemporary Art, zu kennen. Nach dem zweiten Treffen hat sie gesagt, sie könne sich vorstellen, dass ich dort in den vorderen Räumen etwas machen könnte.

Wie haben Sie entschieden, welche Künstler teilnehmen sollen?

Auch das kam nach und nach. Fukushima and the consequences hatte Gabriele Horn als Untertitel vorgeschlagen, das fand ich gut. Aber für mich ist Fukushima schon eine consequence, die Ursache liegt weiter zurück. Das war der Ausgangspunkt. Dafür habe ich zunächst gezielt auf ältere Künstler aus Japan gesetzt: Yukata Takanashi, Shōmei Tōmatsu und Daido Moriyama, die in der Nachkriegszeit mit einem scharfen Blick fotografiert haben. Das war für mich brisant, weil man diese Fotos jetzt mit anderen Augen sieht.

Eines der Fotos von Yutaka Takanashi aus der Serie „Toshi-e“ (Towards the City) von 1971 zeigt Wellen, die Strommasten umspülen – die Katastrophe rollt seit 40 Jahren auf das Land zu.

Das ist schon verrückt. Auch meine eigenen Arbeiten sind von dieser latenten Gefahr geprägt, das sehe ich nun auch mit anderen Augen. Diesen Blickwinkel – Fukushima ist die Konsequenz von Hiroshima, Nagasaki. Die Japaner haben sich nicht wirklich damit auseinandergesetzt, sie neigen dazu, Naturkatastrophen und menschliche Katastrophen auf eine Art hinzunehmen, die ich nicht unproblematisch finde. Ich habe an jedem 15. August auf die Artikel geachtet – es gab kaum eine Entwicklung. Deshalb auch der Dialog mit Künstlern dieser Generation, in deren Arbeiten man diese Vorausahnungen findet.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler Ihrer eigenen Generation ausgewählt?

Weil der Raum so klein ist, bin ich in meiner Umgebung geblieben. Nehmen wir Wim Wenders und seine Frau Donata. Er ist jemand, der lange immer wieder in Japan war, dort Filme gemacht hat, in seinen Arbeiten erkenne ich eine ähnliche Sprache wie bei japanischen Künstlern.

Die teilnehmenden Künstler sind fast ausnahmslos über 50. Betreffen die Konsequenzen von Fukushima nicht gerade die junge Generation?

Von Lieko Shiga steht noch die Antwort aus, sie wäre Anfang 30. Es gibt einige jüngere Künstler, die mitmachen würden. Aber mein Problem ist, dass ich in ihren Arbeiten noch nicht das Substanzielle, Existenzielle sehen kann. Ich habe auch meine Studenten gefragt, ob wir das gemeinsam machen wollen. Aber ich habe gemerkt: Für sie ist das entweder noch zu groß oder sie fühlen sich noch nicht so davon angesprochen. Es gibt Künstler der jüngeren Generation, mit denen ich mich viel ausgetauscht habe, die werden in das Buchprojekt eingehen, das an die Ausstellung anschließen soll. Was ich bewusst nicht wollte, war der Ansatz: „Es ist etwas passiert, jetzt machen wir mal was daraus.“ Das ist nicht der Punkt. Fukushima ist kein „Thema“. Das ist, als nähme man 9/11 und sagte, so jetzt machen wir mal zu diesem Thema etwas.

Hätte jemand zwei Monate nach 9/11 gesagt, er mache jetzt eine Ausstellung, hätte er vermutlich Ärger bekommen.

Ich will keine Frivolität. Es geht nicht darum, hopplahopp etwas zu machen. Es geht darum, dass dieses Geschehen für viele Leute die Wahrnehmung der eigenen Arbeit und der Arbeit anderer verändert hat, und das will ich aufnehmen. Boris Mikhailovs Fotos von Obdachlosen sind nicht jetzt, sondern fünf Jahre vorher entstanden. Ich sehe diese Fotos jetzt mit anderen Augen, und auch darum geht es. Mir ist es nicht unrecht, dass bis in den allerletzten Moment viele Sachen offen sind. Es geht auch ums Nicht-Wissen. Wir wissen nichts, wir leben ständig mit diesen Spannungen. Die Medien berichten nicht mehr, aber das Problem ist da. Deutschland ist eines der wenigen Länder auf der Welt, das sehr empfindsam reagiert, auch politisch. Und ob das nun für den Wahlkampf benutzt wird oder nicht: Es gibt eine große Bewegung, was eine tolle Basis für die Veränderung des Bewusstseins ist.

Wäre nicht dennoch Tokio der eigentliche Ort für eine solche Ausstellung?

Einerseits ja. Aber die Menschen sind dort noch wie in einem Schockzustand. Ich habe das angesprochen, und beim National Museum of Modern Art in Tokio, wo ab August meine Retrospektive läuft, waren sie sehr offen. Sie könnten einen Raum zu Verfügung stellen, der unsere Aktivitäten hier dokumentiert. Eine eigene Ausstellung aber, das braucht noch Zeit.

Malerei sucht man vergebens.

Katharina Grosse ist die einzige malerische Position, die sehr kurzfristig entstanden ist. Aber es geht nicht darum etwas zu illustrieren. Dazu kommt: Die meisten Maler, die ich kenne, sind seismografisch nicht so schnell. Sie brauchen mehr Zeit. Die Unmittelbarkeit erreichen Fotografen medial am ehesten. Ich will nicht werten, aber dieser Zeitraum ist zu kurz, um in der Malerei darauf zu reagieren. Allerdings sind ein paar skizzenartige Papierarbeiten dabei. Curtis Anderson wollte ich eigentlich nur für das Buchprojekt einladen. Und dann hat er mir erzählt, er habe die Idee, das Sonnenlicht einen Kreis zeichnen zu lassen auf ein Blatt Papier. Und ich fand diese Idee gut. Er war einer der wenigen, der mit einer Arbeitsidee reagiert hat.

Und hat er sie realisiert?

Ich hoffe. Das ist eines der Risiken. Er hat gesagt, er warte auf Sonne, oh Gott. Ich muss ihn nachher anrufen.

Die Ästhetik der Katatrophe selber wird ausgespart.

Das ist mir zu billig. Das ist wie mit 9/11. Die Macht solcher Bilder, die kann man nie toppen. Das versuche ich auch nicht. Das ist wie eine allegorische Repetition.

Weil die Katastrophe an sich eine künstlerische Qualität hat?

Karlheinz Stockhausens Äußerung kommt da in Erinnerung, 9/11 sei das größte Kunstwerk. Er musste sich entschuldigen, aber es ist etwas dran. Das ist ein schwieriger Punkt: Wie ehrlich kann man sein? In so einer Situation so etwas zu sagen, ist nicht gegeben. Obwohl eine Destruktion einen starke Emotionen auslösenden Charakter hat und eine spezielle Ästhetik.

Muss man sich als Künstler der medialen Bilderflut der Katastrophe entziehen oder darf man das gerade nicht, weil sie ein substanzieller Teil der Sache ist?

Ich habe die sensationalistischen Bilder bewusst nicht aufgenommen. Interessant ist nicht, im ersten Moment hinzurennen und alles festzuhalten. Eine Ausnahme ist Lieko Shiga, die dort wohnt. Ihr Report ist persönlich und wäre als Realitätsbezug wichtig.

Gibt es eine Verbindung Ihrer Arbeit zu dem, was im Moment als Klimakunst gehandelt wird?

Nicht in den einzelnen Werken, aber was das Bewusstsein betrifft. Ich selbst orientiere daran die Wahl meiner Mittel. Ich benutze immer noch meine Hände. Es geht mir darum, dass der Mensch seine Möglichkeiten wieder entdeckt, möglichst wenig maschinell zu arbeiten Die Kunst ist heute oft sehr anti-ökologisch. Die Künstlerposition hat sich gewandelt. Wenn Ai Weiwei tausend Leute aus China holt, dann ist das vielleicht nicht ökologisch, aber es verschafft diesen Personen in dem Moment eine Arbeit. Und so ist es auch mit vielen Konzeptkünstlern, die Arbeiten machen lassen: Ökologisch ist das meistens nicht, es schafft Arbeit. Damit kann man dann aber auch wieder nicht alles erklären. Und das ist Teil dieses Atomkraft-Komplexes.

Es bleibt die Frage – kann man sich dem entziehen. Kann man sagen, ich fliege jetzt einfach nicht nach Miami?

Ich denke schon. Was ist das schon? Eine Messe ist nur eine Fiktion, ein Markt in dieser Form ist Ultra-Kapitalismus in höchster Vollendung. Bis zu einem gewissen Punkt machen wir alle mit. Müssen wir. Alle leben davon. Da lege ich auch Wert darauf, das gebe ich offen zu. Aber nicht um jeden Preis. Mir ist die Verhältnismäßigkeit der Dinge wichtig, egal ob es nun um Formate oder um Produktionskosten geht. Ich habe ein Problem damit, wenn Kunst zu industriell wird.


Leiko Ikemura, 59, wurde in Japan geboren und lebt seit 1972 in Europa. Sie arbeitet mit Malerei, Skulptur, Zeichnung und Installation. Sie lebt in Köln und Berlin. Seit 1991 unterhält Ikemura eine Professur an der UdK Berlin. Das National Museum of Modern Art in Tokio widmet ihr ab August eine Retrospektive.

Die AusstellungBreaking News: Fukushima and the consequences (9. Juni bis 17. Juli) ist als interdisziplinärer Diskurs in zwei Räumen der Berliner KW Institute for Contemporary Art konzipiert. Teilnehmende Künstler sind unter anderen: Curtis Anderson, Katharina Grosse, Boris Mikhailov, Daido Moriyama, Yoko Ono, Yutaka Takanashi, Shōmei Tōmatsu, Rosemarie Trockel, Wim Wenders. An die Ausstellung soll ein Buchprojekt anschließen, das den Diskurs weiterführt.

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Das Gespräch führte Christine Käppeler
Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin Kultur

Christine Käppeler

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