Zehn Tage sind Chris Köver und Katrin Gottschalk durch Deutschland getourt. In einem Van, wie man das als mittelbekannte Band ohne großes Plattenlabel so tut. Nur dass Köver und Gottschalk keine Musikerinnen sind. Sie sind Redakteurinnen der feministischen Zeitschrift Missy Magazine. Ihr eigenes Label sind sie obendrein: Seit 2008 erscheint Missy vierteljährlich im Eigenverlag, Köver ist eine der Herausgeberinnen.
„Missy on Tour“ heißt die Veranstaltungsreihe, sie ist Teil einer Abo-Offensive des Magazins. Köver und Gottschalk haben beim Ladies Lunch in Magdeburg und beim Femfest in Würzburg die Frage „Brauchen wir den Feminismus?“ diskutiert. Sie waren in Uniseminaren in Gießen, Münster, Kiel und Hamburg. In Köln haben sie aus ihren Kolumnen vorgelesen und sich in Frankfurt in einem Punkladen mit den Macherinnen des Fanzines Sztutenschisz getroffen. Alles auf Einladung der Leserinnen.
In Frankfurt haben sie über die Adventsgedecke gestaunt, mit denen sie im Punkschuppen empfangen wurden, in Würzburg, Darmstadt und Köln über die vielen jungen Männer, die sich für Missy interessierten: „Die haben uns gefragt, warum es für sie so etwas nicht gibt“, erzählt Köver. Wer beim Einpacken half, bekam ein Missy-Shirt mit lila Pudel geschenkt – ein ironischer Seitenhieb auf Männerrechtler, die gern Geschlechtsgenossen, die den Feminismus unterstützen, so bezeichnen.
„Schönsein ist so öde“
Nun stehen Chris Köver und Katrin Gottschalk ziemlich erledigt, aber auch glücklich neben dem Missy-Stand im Festsaal Kreuzberg in Berlin, wo Peaches und die Jolly Goods zum Tourabschluss ein Soli-Konzert geben. Soli-Konzert – das klingt nach Hilferuf, Land unter, gerade in der aktuellen Mediensituation, wo keiner Laut gibt, bevor nicht der Insolvenzverwalter bestellt ist. „Missy vor dem Aus“ stand wenige Tage zuvor in der Tageszeitung. Köver widerspricht dem entschieden. Missy habe keine Existenzkrise, nur wolle man endlich nach vier prekären Jahren die Finanzierung anders hinkriegen. Bisher wird das Heft zu zwei Dritteln über Anzeigen finanziert. Nicht einfach, wenn man nicht über neue Cremes und Mascaras jubelt. „Schönsein ist so öde“, titelte Missy Anfang 2009. Beiersdorf, die in derselben Ausgabe mit dem Slogan „Schönheit ist …“ warben, war man als Anzeigenkunden danach los. Mehr Abos sollen die ewige Zitterpartie nun beenden, dafür wird jetzt mit vereinten Kräften geworben.
Am Stand werden das aktuelle Heft und ältere Ausgaben, Missy-Jutebeutel, Missy-T-Shirts, Lose für die Tombola (Hauptgewinn ein Jahresabo) sowie alles mögliche von der Band Jolly Goods verkauft. Die beiden Jolly-Goods-Schwestern, die sich Tanja Pippi und Angy Lord nennen, schauen streng vom Cover ihrer aktuellen Platte Walrus: zwei schmale junge Frauen, die sich von Anfang an gegen die „Jetzt lächel doch mal“-Nummer im Pop-Business gestemmt haben. Es geht auf zehn Uhr zu, als sie mit ihrem Auftritt beginnen: Tanja Pippi im blauen Seidenkleid, das aussieht, als sei es von der Mutter geborgt, steht mit ihrem Mikro vorn am Bühnenrand, Angy Lord sitzt mit ihrem Schlagzeug neben ihr, so dass sie auf die Schwester schaut, statt ins Publikum. Die Musik ist rau, exaltiert, mitten in die Fresse würde man sagen, wenn der Beat nicht so gelassen daher käme. Klingt in etwa wie das Missy Magazine – nur dass bei Missy auch Dur vorkommt.
Jung und queer-feministisch
Chris Köver hat Mühe, gegen die Musik anzubrüllen. Das klassische Missy-Publikum würde sie als „relativ jung, studentisch und queer-feministisch“ beschreiben. Der aktuelle Titel des Magazins zeigt Lena Dunham, die Autorin und Hauptdarstellerin der neuen TV-Serie Girls. „Schlechter Sex and the City“ lautet dazu die Zeile, die auf den Punkt bringt, worum es geht: die Antwort der zehner Jahre auf den Shop-till-you-drop-und-finde-Mr.-Big-Wahnsinn der nuller Jahre, wie er durch die Serie Sex and the City verkörpert wurde. „Ich könnte die Stimme meiner Generation sein“, erklärt Lena Dunham alias Hannah Horvath in der ersten Serienfolge ihren Eltern, als die drohen, die Alimentierung ihres prekären Autorinnendaseins einzustellen. „Oder zumindest eine Stimme einer Generation.“ Ihr Stil jedenfalls – halblange Haare, Retro-Grunge-Klamotten und ein paar souveräne Kilos zu viel – wird im Festsaal Kreuzberg von vielen Besucherinnen kopiert. Auffallend sind auch an diesem Abend die zahlreichen Männer, die sich aber eindeutig mehr für Peaches, als für die Ansprache der Missy-Macherinnen interessieren.
Auftritt Peaches. „Berlin, Berlin, Berlin“, ruft sie immer wieder ins Publikum, doch wie sie da im goldenen Ganzkörperanzug mit einem Geschwür aus zwei Dutzend Brüsten um den Hals zwischen zwei geschätzt 1,90 Meter großen Tänzerinnen über die Bühne tobt, die unter anderem als Robotersoldatinnen, als Stier und Torero und als vom Teufel besessene orientalische Prinzessin strippen, fragt man sich, ob sie selbst nicht viel mehr als ihr Publikum Glanz und Elend dieser Stadt verkörpert. Wie wenig subversiv so eine Peaches-Show inzwischen ist, zeigt spätestens die routinierte Einbettung des Protest-Songs „Free Pussy Riot“ inklusive Strickmasken-Maskerade.
Es stellt sich die Frage, ob man sich für Missy überhaupt wünschen sollte, dass die Zeitschrift ein Vollzeit-Projekt wird, das ihre Macherinnen ernährt. Führt das nicht zwangsläufig zu einer ähnlichen Routine? Die Frage hätten sie auf der Tour immer wieder kontrovers diskutiert, sagt Köver. Nur hätten sie in den vier Jahren, die es Missy inzwischen gibt, festgestellt, dass so ein Magazin kein zeitaufwändiges Hobby für nebenher ist. Klar führt das Modell Selbstausbeutung zu einer gewissen Wendigkeit und Krisenfestigkeit – „aber um den Preis des immer prekär Lebens und prekär Arbeitens“. Davon, dass alles irgendwann nur noch Show ist, scheint man bei Missy jedenfalls weit entfernt: „Feminist Burnout“ lautet der Arbeitstitel der Frühjahrsausgabe, die im März erscheinen wird.
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