Drei kleine Enziane blühen auf dem Gipfel. Nicht blau, blau, blau, sondern weiß – in dieser Farbe sollen nach und nach alle Setzlinge blühen, die von den Künstlern Seok Hyun Han und Seung Hwoe Kim aus Korea nach Berlin verpflanzt wurden. Seit zwei Jahren arbeiten die beiden Südkoreaner an ihrer Idee, in der ehemals geteilten Stadt einen Garten zu bauen, in dem Blumen aus Nord- und Südkorea zusammen wachsen. Wobei man sich ihren Garten nicht als Ansammlung von Beeten vorstellen darf, in denen sich die Pflanzen schwesterlich umschlingen. Auf dem Platz vor der Matthäuskirche, im Baustellenwirrwarr zwischen Philharmonie und Neuer Nationalgalerie, den ihnen das Berliner Grünflächenamt schließlich zugebilligt hat, haben Han und Kim eine künstliche Landschaft aus schwarzen Basaltbrocken und Erde errichtet, die für die Gebirgskette zwischen den Bergen Seoraksan in Südkorea und Paektusan an der Grenze von Nordkorea zu China stehen soll. Ihr Basalt, erzählen die Künstler sichtlich amüsiert, stammt aus demselben Kasseler Steinbruch, aus dem Joseph Beuys 1982 die Säulen für seine 7000 Eichen auf der Documenta 7 holte.
Enzian statt Kimilsungia
Noch sehen die Setzlinge, die zwischen den Brocken wurzeln, etwas kümmerlich aus. Was ihnen nicht zu verdenken ist, angesichts der Tour, die sie hinter sich haben. In Südkorea wurden ihre Wurzeln von jeglicher Erde gereinigt, um den Import von Keimen zu verhindern, dann wurden sie in Plastik eingetütet, ausgeflogen und am Botanischen Garten in Berlin-Dahlem akklimatisiert. Stellen Sie sich vor, erklärte ihnen einer der dortigen Mitarbeiter, alle Bakterien in Ihren Organen sind weg, und so müssen Sie in einer Ihnen vollkommen fremden Umgebung klarkommen. Die drei Enziane, die auch in Korea eine Rarität sind und vor allem im Norden und in den hohen Lagen wachsen, haben die Prozedur in voller Blüte durchgestanden.
In Nordkorea haben Blumen oft etwas Staatstragendes. Es gibt neben der offiziellen Nationalblume, einer weißen Magnolie, eine Orchidee und eine Begonie, die den verstorbenen Staatsführern noch zu Lebzeiten gewidmet wurden: die Kimilsungia und die Kimjongilia. Die Begonie für den „geliebten Führer“ wurde 20 Jahre lang erforscht, auf dass sie länger blüht und öfters im Jahr blüht als alle anderen ihrer Art und vor allem auch an Kim Jong-ils Geburtstag. Sie soll Robustheit symbolisieren, ein Volk, das sich trotz aller Angriffe von außen immer wieder berappelt. Beiden Blumen wird einmal im Jahr eine große Gartenschau ausgerichtet, in der Kimilsungia-Kimjongilia-Austellungshalle in Pjöngjang.
Die Symbolik oder auch Schönheit der einzelnen Pflanzen hat Seok Hyun Han und Seung Hwoe Kim für ihren Garten, den sie Das dritte Land nennen, weniger interessiert. Ihnen geht es um das Gesamtbild einer Landschaft, das sich aus den schwarzen Steinen, der dunklen Erde und den weißen Blüten ergeben soll. Und das viel eher der koreanischen Vorstellung eines Gartens entspricht als der typische deutsche Vorgarten mit akkurat gezogenen Hecken und Rabatten. Das liegt auch daran, erklärt Keumhwa Kim, die den Künstlern als Kuratorin und Dolmetscherin zur Seite steht, dass fast 70 Prozent der Koreanischen Halbinsel aus Bergen bestehen: „Koreaner würde einen Garten nie künstlich anlegen. Sie bauen ihr Haus dort, wo die beste Aussicht ist, und der Berg an sich ist der Garten. Wir integrieren uns in die Natur, anstatt sie zu manipulieren wie in Europa.“
Ursprünglich waren es 65 Arten, die Han und Kim für ihren Garten nach Berlin holen wollten. Die Liste stellten sie mit Hilfe von Botanikern des südkoreanischen Baekdudaegan National Arboretums, des botanischen Gartens in der gleichnamigen Gebirgskette, zusammen. Sie ging dann ans Berliner Pflanzenschutzamt, das für 45 Arten die Einfuhr genehmigte. Eine überlebte die Reise nicht. Insgesamt, überschlägt Kim, wurden rund 1.500 Setzlinge und Samen eingeführt. Gut zwei Drittel der Sorten sind in Südkorea heimisch, ein Drittel in Nordkorea. Und vielleicht ist die Pflanzendiplomatie, die seit zwei Jahren Teil der Arbeit der Künstler und untrennbar mit den politischen Entwicklungen verknüpft ist, viel entscheidender für das Gesamtkunstwerk als das Bild, das sich aus den nach und nach erblühenden Pflanzen, den dunklen Steinen und einem künstlichen Sprühregen ergeben wird, der den Garten vernebeln und die Berliner Sommerluft ein wenig den klimatischen Bedingungen in den koreanischen Hochlagen annähern soll.
Als sie 2017 mit der Arbeit an dem Projekt begannen, erzählt Keumhwa Kim, sei nicht daran zu denken gewesen, die Pflanzen, die im Norden wachsen, direkt aus Nordkorea zu beziehen: „Unter der Regierung von Präsidentin Park war unvorstellbar, dass wir die nordkoreanische Botschaft in Berlin besuchen.“ Doch Parks Nachfolger Moon Jae-in setzte auf Annäherung, und nach dem Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südkorea am 27. April 2018 installierten die beiden Länder ein Verbindungsbüro für den Kulturaustausch in der grenznahen nordkoreanischen Stadt Kaesong.
„Hat etwas Surreales“
Im Februar diesen Jahres konnten Seok Hyun Han und Keumhwa Kim in der nordkoreanischen Botschaft in Berlin vorsprechen: „Sie haben zwar ein völlig anderes Verständnis, was Kultur und Zusammenarbeit betrifft. Sie denken, warum müssen die Pflanzen nach Berlin kommen, warum soll man die Probleme in einem dritten Land unterstreichen? Das liegt vielleicht an der nordkoreanischen Chuch’e-Ideologie: Wir stehen auf eigenen Füßen. Aber sie waren hilfsbereit und haben empfohlen, den Prozess zu institutionalisieren.“ Die Botschaft regte an, die Pflanzenliste über das Verbindungsbüro an den Joseon Central Botanical Garden in Pjöngjang weiterzuleiten. Absprachen wurden getroffen, alles war vorbereitet, die Gespräche gingen so weit, dass die nordkoreanische Seite erwog, eine Ausfuhr über Südkorea zu genehmigen, sollte China eine direkte Route nach Berlin nicht ermöglichen. Dann kam ihnen ein Diplomat namens Donald Trump in die Quere.
Seit dem gescheiterten Gipfeltreffen am 28. Februar zwischen Trump und Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un herrscht Stillstand. Es ist nicht so, dass ihr Antrag jetzt abgelehnt worden wäre. Aber das Verbindungsbüro stellt sich tot. „Kann sein, dass sich nach dem nächsten Gipfeltreffen wieder etwas bewegt“, sagt Keumhwa Kim. „Im Moment ist der direkte Weg nach Pjöngjang verstellt.“
Das Weiß der Blüten, erklärt Seok Hyun Han dann noch, soll übrigens nicht für Frieden, Reinheit oder Unschuld stehen. Es ist einer rein visuellen Entscheidung geschuldet, weil sie sich von traditionellen koreanischen Tuschemalereien inspirieren ließen, die schwarz-weiße Bergansichten zeigen. „Es hat etwas Surreales, Nicht-Konkretes. Das man sich aber trotzdem vorstellen kann.“
Info
Das dritte Land – Ein Künstlergarten Seok Hyun Han, Seung Hwoe Kim Matthäikirchplatz, Kulturforum, Berlin, bis 9. November 2019
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.