Kürzlich haben die Direktorinnen und Direktoren der Tate in Großbritannien den Klimanotstand ausgerufen. Klingt wie eine journalistische Zuspitzung? „Climate Emergency“, so haben sie es selbst formuliert. In der Erklärung setzen sie sich ein ehrgeiziges Ziel: Um zehn Prozent sollen ihre Treibhausgasemissionen bis 2023 reduziert werden. Dafür kündigen sie konkrete Maßnahmen an: den Umstieg auf Ökostrom, auf die Bahn, wo möglich, mehr vegetarisches und veganes Essen in den Restaurants. Sie erkennen in dem Schreiben aber auch an, dass die größten Probleme woanders liegen: Ihre Gebäude, die Millionen Besucher anziehen, müssen klimatisiert und belüftet werden. In den Depots gelten strenge Regelungen, um die Temperatur und die Feuchtigkeit konstant zu halten. Ausstellungsstücke werden um die Welt geschifft oder eingeflogen. All das soll überprüft und, wo möglich, verändert werden.
Fragt man bei einigen großen Museen in Deutschland nach, wie sie es mit ihren Treibhausgasemissionen halten, wird zweierlei klar: Eine umfassende CO2-Bilanz wird bisher so gut wie nirgends erstellt. Ausnahme ist der Martin-Gropius-Bau in Berlin: Hier werden die Daten der Mitarbeiter, Besucher und des Gebäudes – das über keine eigene Sammlung verfügt, was wichtig ist, um die Zahlen in Relation zu setzen – erfasst: für 2016 waren es rund 837, 2017 rund 770 Tonnen. Und in noch einem Punkt ist das Haus Pionier: Seit 2012 hat es eine Photovoltaikanlage auf dem Dach.
Das Thema Nachhaltigkeit aber treibt alle um. Und die Museen können den Wert einzelner Maßnahmen sehr wohl beziffern. Die meisten Häuser sind auf 100 Prozent Ökostrom umgestiegen, viele haben die Beleuchtung auf LED umgerüstet. Die Frankfurter Schirn gibt an, damit in diesem Bereich den CO2-Ausstoß um 79 Prozent verringert zu haben. Die Berlinische Galerie befindet sich im Prozess der Umrüstung und hofft auf mindestens 50 Prozent Energieeinsparungen. An der Hamburger Kunsthalle will man durch die Nachrüstung der Klimaanlagen, mit denen die Temperatur und Feuchtigkeit der Zuluft in den Ausstellungssälen stabil gehalten wird, 263 Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen verweisen auf denkmalgerechte energetische Sanierungen. Und Rein Wolfs, Direktor der Bundeskunsthalle in Bonn und damit ebenfalls eines Hauses ohne eigene Sammlung, sieht sich in der Pflicht, zu überprüfen, ob für jede Ausstellung hochkarätige Leihgaben aus aller Welt notwendig sind. Stattdessen versuche man mehr Leihgaben von Sammlern aus der näheren Umgebung zu bekommen. Der Gropius-Bau wiederum arbeitet verstärkt mit (internationalen) Künstlern, die in Berlin leben.
Stefan Simon, Direktor des Rathgen-Forschungslabors der Staatlichen Museen zu Berlin, geht davon aus, dass sich Museen mit ihrer Kernaufgabe, der Ausweitung ihrer Sammlung, in einem permanenten Konflikt mit dem Nachhaltigkeitskonzept befinden. Große Museen in Deutschland könnten allein durch ihren Stromverbrauch im täglichen Betrieb mehrere tausend Tonnen CO2 pro Jahr verursachen, vor allem aufgrund der Klimatisierung von Depot und Ausstellungsbereichen.
Mut zum Risiko?
Sein Labor ist das weltweit älteste Institut dieser Art, gegründet 1888 von dem Chemiker Friedrich Rathgen mit dem Ziel, Museumsobjekte besser zu erhalten und mehr über ihre Beschaffenheit zu lernen.
Das Zehn-Prozent-Ziel der Kollegen in London hält er für ambitioniert und für das richtige Signal „in einer Zeit, wo Museen entgegen den offiziellen Klimazielen nicht weniger, sondern oft mehr und mehr Energie verbrauchen“. Fragt man ihn nach den Ursachen, nennt er drei Punkte, die sich zum Teil mit den bereits ergriffenen Maßnahmen decken: „die weltweite Orgie von Museumsneubauten, Leih- und Besucherverkehr und die Klimatisierung“. Was Letztere betrifft, plädiert er für mehr Risikomanagement statt fester Regeln. Viele Kunstwerke vertrügen weit mehr als die zwar oft festgelegten, aber selten erreichten zwei bis fünf Prozent Schwankungen der relativen Feuchte und Temperatur. Können höhere Schwankungsbreiten mit konservatorischen Bedürfnissen in Einklang gebracht werden, würden die Energiekosten beträchtlich sinken. „Jedes Objekt, das älter ist als die 1960er, hat sein gesamtes voriges Leben in einem Raum ohne Klimaanlage verbracht. Auch darüber muss man in der Klimadebatte offen diskutieren.“
Simon war gerade fünf Jahre beurlaubt, um in Yale ein neues konservierungswissenschaftliches Institut mit aufzubauen. 2014 führte die Universität eine sogenannte Carbon Charge ein. Die Idee dahinter ist, den CO2-Ausstoß zu errechnen und die sozialen Kosten quer durch die Hochschule kostenneutral zu bepreisen: „Es sollte allen Instituten zeigen, dass der Energieverbrauch Konsequenzen hat und als Anreiz für Einsparungen dienen.“ Die Sammlungen der Museen erwiesen sich als die größten Energieverbraucher auf dem Campus, noch vor der School of Medicine.
In den USA, sagt Simon, gehe man von 40 Dollar sozialen Kosten pro Tonne CO2 aus. In der Schweiz wird die Tonne CO2 mit 86 Euro bepreist. 5.000 Tonnen CO2 entsprächen damit 200.000 bis 400.000 Dollar. Aus seiner Sicht ist es höchste Zeit für die Museen, die gesellschaftlichen Dialogen eine wichtige Bühne bieten können, „eine ehrliche Bilanz über ihren ökologischen Fußabdruck zu erstellen, die realen Kosten zu berechnen und auf den Tisch zu legen“.
Kommentare 2
Wunderbares Beispiel für jene kurzschlussaffine Aktionitis, welche bürgerliche Reaktionen auf sowie die medielle Berichterstattung über die Klimaerwärmung prägen.
So hat mein Fünf-Minuten-Kurzcheck ergeben, dass es sich bei dem (unter privater Trägerschaft stehenden) Tate eher um einen Galerie-Verbund handelt mit insgesamt vier Ablegern denn um ein klassisches Museum im landläufigen Sinn. Zum Tate: Sicher ist die Umrüstung auf Ökostrom löblich – vielleicht sogar vermehrte vegetarische sowie vegane Gerichtsangebote in den angeschlossenen Restaurants. Inwieweit vier Privatgalerie-Filialen allerdings Einfluss nehmen können auf die Beförderungsart am jeweiligen Standort und entsprechend etwa den Umstieg auf die Bahn deklarieren können, entzieht sich meiner Kenntnis. Ebenso die Frage, inwieweit ein kommerzielles Unternehmen berechtigt ist, einen »Klimanotstand« auszurufen – eigentlich müßte derlei doch eher Angst beziehungsweise große demokratische Sorge verursachen, oder?
Ansonsten will ich die einzelnen Initiativen nicht über Gebühr zerpflücken – die Absicht, als gutes Beispiel voranzugehen, mag sicher mit Pate gestanden haben, obwohl Marktvorteile im Anblick einer ökologisch orientierten Kundschaft ebenfalls nicht ganz auszuschließen sind. In weiten Teilen erweckt der Artikel dann leider doch den Eindruck, dass derlei »gute Beispiele« ausreichten, das Problem Klimawandel erfolgreich anzugehen. Die im letzten Artikeldrittel thematisierten Konservationsprobleme sind hierfür ein gutes Beispiel. Die Einsparpotenziale, welche Stefan Simon in dem Bereich eruiert hat, werden beim »Marsch durch die Institutionen« der betroffenen Anstalten, Träger usw. entweder zerbröselt werden oder aber derart zeitverzögert zur Anwendung kommen, das selbst der Begriff »Tropfen auf den heißen Stein« ein Euphemismus ist.
Frage so: Wieso nicht gleich sämtliche Museen vergesellschaften bzw. Kuratierung und den laufenden Betrieb unter gesellschaftliche Kontrolle stellen? Das wäre nicht nur im Bereich CO2-Einsparung effektiver, sondern würde zudem auch das demokratische Anliegen unterstreichen, dass Kunst letztlich eine Art Allgemein-Allmende ist. Und kein Spekulationsobjekt, wie es derzeit in weiten Bereichen – insbesondere auf dem freien Kunstmarkt – der Fall ist.
Der Ausdruck Klimanotstand ist Beamtendeutsch und bedeutet übersetzt:
Wir sind sehr enttäuscht, weil es in unserer Amtsstube noch keine Klimaanlage auf Steuerzahlerkosten gibt.