„Das ist ja kein Witz“

Interview Lassen sich Vorbehalte gegenüber Flüchtlingen mit einfachen Bildern auflösen? Ein Realitätscheck mit den Zeichnern des Blogs „Bildkorrektur“
Ausgabe 02/2016

Berlin-Mitte, Rosenthaler Straße. Neben den grundsanierten Hackeschen Höfen verteidigt das Haus Schwarzenberg den Flair eines Jugendzentrums aus den 90ern. Im ersten Stock gelangt man durch den angeschlossenen Buchladen in die Galerie Neurotitan. Die Galerie besteht seit 20 Jahren, an diesem Abend endet die Jubiläumsschau mit Künstlern und Comiczeichnern, die dem Haus verbunden sind. Die meisten sind anwesend: Mawil, der Autor und Zeichner von Kinderland, der hier ein von ihm gestaltetes Skatblatt zeigt, oder Tim Dinter, der Sven Regeners Herr Lehmann illustriert hat und mit glasigen Augen und halb von einem Schal bedeckt betont, dass er eigentlich krankgeschrieben sei.

Vor ein paar Tagen haben Tim Dinter und Mawil mit 13 anderen Zeichnern den Blog Bildkorrektur veröffentlicht. Sie haben Vorurteile gegen Flüchtlinge gezeichnet und diesen ein anderes Bild gegenübergestellt, das oft durch eine Quellenangabe ergänzt wird. Verglichen mit den Geschichten und Gimmicks an den Galeriewänden, wirken diese Bilder ein wenig unterkomplex. Ist das der Preis des Engagements? Zu uns in den Stuhlkreis kommen noch Alexandra Klobouk, die das Projekt angestoßen hat, und Hamed Eshrat, der als Letzter zur Gruppe stieß. Ein Thema war da noch nicht besetzt: Ängste gegenüber dem Islam.

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Ihr Blog trägt die Unterzeile: „Bilder gegen Bürgerängste“. Wen wollen Sie damit erreichen?

Mawil: Leute, die eine diffuse Angst haben, aber noch nicht bei Pegida mitmarschieren. Auf Facebook sind Leute oft schnell beleidigt, weil sie sich mit ihren Ängsten in die rechte Ecke gedrängt fühlen. Viele von denen sind vermutlich verkappte Nazis. Aber manchen unterstelle ich, dass sie einfach etwas ängstlicher und, ääh, vielleicht eher spießiger als wir sind. Die wollen wir erreichen.

Alexandra Klobouk: Ich glaube auch nicht, dass alle schon eine feste Meinung haben. Eine Geschichte wie in Köln macht vielen Schiss. Eine nüchterne Info kann dann hilfreich sein, um die Diskussion auf den Boden zu holen. Einer unserer Kollegen hat illustriert, dass Flüchtlinge nicht häufiger straffällig werden als andere.

Hamed Eshrat: Mit den Bildern wollen wir auch bei Leuten ankommen, die keine Comics lesen, aber sich durch eine Bilderstrecke klicken. Oder auf dem Smartphone drüberscrollen.

Die Zeichner

Markus „Mawil“ Witzel ist Autor des Wende- und Tischtennisepos Kinderland, für das er 2014 den Max- und- Moritz-Preis erhielt

Alexandra Klobouk ist Illustratorin und hat unter anderem 2012 den Band Der Islam für Kinder und Erwachsene bebildert

Hamed Eshrat hat soeben den Comic Venustransit veröffentlicht. Themen sind das Slackerleben in Berlin und eine Reise nach Indien

Tim Dinter ist vor allem für Comicreportagen bekannt. Zuletzt erschien die Graphic Novel zu Sven Regeners Roman Herr Lehmann

Sie greifen Vorurteile auf und zeichnen ein Gegenbild dazu. Bildkorrektur nennen Sie das.

Mawil: Wir haben ewig diskutiert, ob wir die Ängste überhaupt zeichnen wollen. Nicht, dass sich aus diesen Bildern dann jemand ein Pegida-Plakat bastelt. Wir hätten uns vielleicht öfter mit dem Zeichenstift treffen sollen. Wenn man etwas malt, sieht man schneller, ob es funktioniert oder nicht. Meine Freundin ist Lehrerin und engagiert sich auch, sie gibt Deutschunterricht. Die hat schon mal die Augen verdreht, wenn ich gesagt habe, dass wir uns zum fünften Mal zum Abstimmen getroffen haben und wieder nichts feststand. In der Zeit hätten wir im Flüchtlingsheim viele Kartoffeln schälen können.

Die meisten von Ihnen zeichnen ansonsten Comics, die oft mehrere hundert Seiten lang sind.

Tim Dinter: Ich bin Langstreckenerzähler. An diesen Bildern habe ich mir die Zähne ausgebissen. Ein Comic ist wie ein Kinofilm oder eine Kurzgeschichte und kein Plakat. Ich habe totalen Respekt vor politischer Karikatur. Es geht ja nicht ums Zeichnen, sondern um die Idee. Wie man das umsetzt, ist relativ egal. Die meisten Karikaturisten sind nicht unbedingt für ihren Zeichenstrich bekannt, sondern dafür, wie sie eine Sache auf den Punkt bringen. Das ist nicht mein Metier.

Landet man mit der Methode, für die Sie sich entschieden haben, nicht zwangsläufig wieder bei Stereotypen?

Dinter: Wenn man im Bild Sachen plakativ besprechen will, kommt man nicht drumherum, die Klischeekiste aufzumachen und voll reinzugreifen. Das ist ja auch in Ordnung. Anders als die politische Karikatur wollten wir aber niemandem an den Karren fahren. Wir wollten das behutsam angehen und Beispiele bringen. Das ist kein Witz, das ist keine Provokation. Mir sind viel schneller irgendwelche provokanten Sachen eingefallen, die ich in diesem Fall gelassen habe. Das hat hier nicht gepasst.

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Warum nicht? Ist das nicht auch eine Form von Selbstzensur?

Dinter: Das Ziel ist ja, in einen Dialog zu treten. Und nicht, sich über jemanden lustig zu machen oder ihn zu belehren. Wir wollten einfach sagen: Hier, kuck mal. Mit dem, was wir normalerweise machen, hat das nichts zu tun.

Mawil: Sonst würde man das mit einem Tortendiagramm darstellen. So ist es eben Infotainment.

Die Frauen tragen auf den Bildern fast immer Kopftuch. Es sind doch aber auch ebenso viele Frauen ohne auf der Flucht.

Eshrat: Unsere Kernaussage ist ja, dass wir falsche Bilder im Kopf haben.

Sie haben eine Familie gezeichnet: Die Frau trägt Tschador, der Mann einen Turban und einen langen Bart.

Eshrat: Wir sehen diese schwarze Silhouette und projizieren eine Axt hinein. Als Europäer hat man Angst, was da drunter ist. Ebenso gut könnten es aber ein Stift und ein Geodreieck sein. Ich bin mit dem Islam groß geworden. Meine Tanten leben alle im Iran und tragen Tschador, sie helfen anderen, sie engagieren sich. Letztlich sind das sehr fromme Menschen, die einen starken Wertekanon haben.

Sie sind der Einzige unter den Beteiligten, der selbst Fluchterfahrung hat.

Eshrat: Ich bin 1986 nach Deutschland gekommen. Ich hatte damals gerade im Iran die erste Klasse besucht und hier dann noch einmal. Es passiert mir aber auch, dass ich eine Frau mit Kopftuch sehe und denke, hat die keinen Stolz, ist die etwa nicht emanzipiert?

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Sind Sie in Deutschland zum Atheisten geworden?

Eshrat: Ich meditiere nach einer urbuddhistischen Lehre. Ich finde diese Abneigung gegen Religion in der Kulturszene schwierig. Solange es nicht zu dogmatisch wird, brauchen wir das in unserer Gesellschaft.

Mawil: Ich habe zu Hause auf dem Klo drei Geo-Epoche-Hefte über Riesenreiche liegen, die unter anderem wegen Religionen zerbrochen sind. Ich war zwar nicht Messdiener wie Mirco Watzke in Kinderland. Aber ich bin religiös erzogen worden. Inzwischen bin ich davon eher abgefallen. Ziemlich sogar.

Wirken sich die Flüchtlingkrise, Pegida und der Rechtsruck in Europa auf Ihre Arbeit als Comiczeichner aus?

Mawil: Klar, weil es ein Jahrhundertthema ist. Ich müsste jetzt mit einem neuen Buch anfangen und überlege, was beschäftigt mich, was beschäftigt die Leser. Einfach nur einen Liebescomic zu machen, wäre jetzt weltfremd.

Eshrat: Wenn ich arbeiten will, muss ich eine gewisse Lockerheit haben. Ich verdränge das deshalb auch bewusst. Aber ich bin gerade von Kreuzberg nach Strausberg gezogen.

Endstation der Berliner S-Bahn im Osten, wo Brandenburg beginnt.

Eshrat: Ich ertappe mich im Supermarkt, wie ich überlege, ob wohl jeder Dritte rechts ist. Und dann denke ich, nein, das kannst du nicht auf die Leute hier projizieren. Aber dann steht eben doch ein Typ mit Eisernem Kreuz auf der Kutte auf dem Parkplatz. Wenn ich den Realitätscheck mache, stimmt mich das in letzter Zeit düster, aber das geht auch wieder vorbei.

Dinter: Ich erzähle Geschichten, die sich um Alltag herumranken. Je mehr es im Alltag vorkommt, desto mehr wird das in die Geschichten einfließen. Ich war noch nie jemand, der plakativ politisch rausgegangen ist. Bei mir ist das sonst eher ein stiller Ton im Hintergrund.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler studierte Germanistik, Amerikanistik und Theaterwissenschaften in Mainz und arbeitete nebenbei als Autorin für Spex. Das Magazin für Popkultur. Im Anschluss führte sie das Journalismusstudium an der Hamburg Media School zum Freitag, wo sie ab 2010 als Onlineredakteurin arbeitete. 2012 wechselte sie ins Kulturressort, das sie seit 2018 leitet. Sie beschäftigt sich insbesondere mit Kunst und den damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten.

Christine Käppeler

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