Der junge Mann und das Meer

Kunst Bas Jan Ader ist seit einer Kunstaktion 1975 verschollen. In Hamburg und Berlin sind seine Arbeiten jetzt zu sehen, neulich auch in Frankfurt. Was macht ihn so aktuell?
Ausgabe 30/2013
Der junge Mann und das Meer

Bild: Mary Sue Ader Andersen / Bas Jan Ader

Kennen Sie den? Hängt ein Mann an einem Ast über einem Fluss. Die Schwerkraft ist stärker. Der Mann plumpst ins Wasser. Oder den: Sitzt ein Mann auf einem Stuhl auf einem Dachfirst. Der Mann kippelt nach rechts. Mann und Stuhl purzeln über das Dach in die Gartenhecke. Oder den hier: Fährt ein Mann auf einem Fahrrad eine Gracht entlang. Der Mann verliert die Kontrolle über das Fahrrad. Mann und Rad taumeln in die Gracht.

Man kann die kurzen Filme, die der Niederländer Bas Jan Ader 1970 und 71 produziert hat, nicht nacherzählen. Es klingt, als erzählte man einen müden Witz ohne Pointe. Wie Buster Keaton an einem schlechten Tag. Man muss diese Filme sehen. Und den jungen Mann – er ist zu jener Zeit noch keine 30 –, der diese Fallstudien so lakonisch wie ernsthaft betreibt.

Bas Jan Aders kurze Filme sind im Moment in Hamburg und Berlin zu sehen – auf den ersten Blick in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen. In der Hamburger Kunsthalle sind sie Teil der thematischen Ausstellung Besser scheitern. Die Schau zeigt Film- und Video-Arbeiten von 17 Künstlern, darunter Marina Abramovic, John Baldessari und Steve McQueen. In Berlin zeigt sie die Galerie Klosterfelde in einer kleinen Einzelschau, alle Werke sind dort auch käuflich zu erwerben.

Als Motto der Ausstellung in Hamburg steht ein Zitat von Samuel Beckett an der Wand im Eingangsraum: „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Wieder scheitern, besser scheitern: Auf Bas Jan Aders kleine Filmserie passt das kongenial. Auf sein Lebenswerk nur bedingt. Denn bei Beckett hat das Scheitern keine echte Konsequenz, der Mensch ist dazu verdammt, auf ewig weiter zu scheitern. Bei Bas Jan Ader hat das Scheitern sehr wohl Konsequenzen – am Ende den frühen Tod des Künstlers. Auch Relikte dieser letzten Arbeit, In Search of the Miraculous (1975), werden in Hamburg gezeigt: Die Partitur des Seemannssongs „A Life on the Ocean Wave“ und die Einladung in die Galerie Claire S. Copley in L.A., wo ein Studentenchor im Frühsommer 1975 das Lied gesungen hat. Die Geschichte von Bas Jan Ader, wie sie überliefert ist, verlief dann weiter so: Am 7. Juli 1975 stach er am anderen Ende der USA in Cape Cod in See, um in einem kleinen Segelboot den Atlantik zu überqueren. Nach drei Wochen brach der Funkkontakt ab, ein Jahr später wurde das Boot vor Irland angeschwemmt. Bas Jan Ader gilt seither als verschollen.

Die Parallele zu den oben wiedergegebenen Filmen Fall 1, Fall 2 und Broken Fall (organic) scheint auf der Hand zu liegen. Ein Mann begibt sich wissentlich in eine Situation, in der er nur scheitern kann – und scheitert. So weit, so klar scheint der Verdacht auf eine Selbstmord-Mission. Und doch spricht einiges dagegen. Um die Unterschiede zu erkennen, muss man sich einen anderen Teil der Arbeit In Search of the Miraculous ansehen. Womit wir beim zweiten Ort wären, der Galerie Klosterfelde in Berlin. Den Namen Klosterfelde werden in den vergangenen Wochen vielleicht auch Menschen gelesen haben, die sich nicht für die Kunstmarktseiten interessieren, denn Martin Klosterfelde wird seine Galerie, die zu den wichtigsten der Hauptstadt zählt, am 10. August nach 18 Jahren schließen. Bas Jan Ader ist die Abschiedsausstellung, und egal ob das von Klosterfelde so geplant war oder ein stimmiger Zufall ist, kommt man nicht umhin, sie als Kommentar zu lesen.

Im dritten Raum bei Klosterfelde hängt der erste Teil der Arbeit In Search of the Miraculous, 26 Vintage-Prints, Originalabzüge in Schwarz-Weiß also, auf dickem kartonähnlichen Papier, wie man es in den Siebzigern benutzt hat. Auf ihnen ist Bas Jan Ader zu sehen, wie er mit einer Taschenlampe in der Hand von den Hollywood Hills durch Los Angeles bis ans Meer wandert. Ein Abschiedsspaziergang durch die Stadt, in der er lebt, in der auch das Haus steht, von dessen Dachfirst er gepurzelt ist, wo er mit der Frau wohnt, Mary Sue Andersen-Ader, die diese Fotos macht. Den Spaziergang plante Ader nach seiner Ankunft in den Niederlanden spiegelverkehrt zu wiederholen. Anders als bei den Fallstudien, wo allein der Sturz interessierte, gibt es hier also ein Vorher und ein Danach, die Teil der Arbeit sind. Oder gewesen wären.

Heute Nacht

Vom Material der Abzüge abgesehen, sind Bas Jan Aders Fotografien berührend gegenwärtig. Womit wir bei dem Punkt wären, der seine Arbeiten – vom ewig-attraktiven Mythos des zu jung gestorbenen Künstlers einmal abgesehen – gerade jetzt wieder so interessant macht. Der schlanke Mann in dunklem T-Shirt, dunkler Hose, der mit seiner Taschenlampe in die vermeintlich unspektakulären Winkel der Metropole leuchtet, um dann wieder den großen Bildern zu erliegen, die das Urbane produziert, und sich schließlich am Meer vom schwachen Glühen der Nacht beinahe (noch ist es wirklich nur beinahe) verschlucken lässt – er könnte diese Runde ebenso gut heute Nacht drehen, in einer beliebigen westlichen Metropole. Die Ästhetik und das, was Bas Jan Ader tut, entsprechen dem Zeitgeist. Es ist die ganz große Geste, gepaart mit einem lakonischen „So what?“. Beides macht auch die Faszination einer anderen Fotoserie aus, die bei Klosterfelde zu sehen ist: I’m Too Sad To Tell You. Sechs Porträtfotografien des Künstlers, die parallel zu einer Filmaufnahme entstanden sind. Bas Jan Ader – hier in einem klassischen schwarzen Hemd – heult und heult auf diesen Bildern. Das Wasser rinnt an seiner Nase hinunter, dann wieder kneift er mit zurückgelehntem Kopf die Augen zu, wie um sich zu fangen. Er hat diese Bilder auch als Postkarte mit der Titelaufschrift an Freunde verschickt.

Bei Klosterfelde lesen sie sich nun wie ein Abschiedsgruß, an den Berliner Kunstmarkt und vielleicht auch an den Galerien-Standort Potsdamer Straße, der sich atemberaubend schnell füllt und weiter füllen wird. In der Kunsthalle wiederum funktionieren Bas Jan Aders Videos als nonchalante Fortsetzung des Beckett’schen Monologs und Dialogs über das Scheitern. Was sagt es denn über das „große Tabu der Moderne“, wie Richard Sennett im Katalog zitiert wird, wenn man es mit den Mitteln eines Fünfjährigen provozieren kann – und dafür mit einem Moment im freien Fall belohnt wird? Vor Kurzem war Bas Jan Aders In Search of the Miraculous übrigens auch in Frankfurt zu sehen: in der Ausstellung Letzte Bilder in der Schirn. Andy Warhols Das letzte Abendmahl von 1986 sah daneben ziemlich alt aus.

Bas Jan Ader. In Search of the Miraculous Klosterfelde Berlin, bis 10. August 2013 Besser scheitern Kunsthalle Hamburg , bis 11. August 2013

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