Die neue Generation 50plus

Werbekritik Falten und verschlüsselte Botschaften: Eine Plakat-Kampagne des Bundesfamilienministeriums soll ältere Menschen für ehrenamtliches Engagement begeistern

Ihre Hauthat die Farbe von Pergamentpapier, mit beiden Händen stützt sie ihr Kinn. „Sie hat acht Männer geliebt, getröstet, gescholten und ihnen vergeben. Alles diese Woche“, steht neben ihrem schmalen Gesicht. Man möchte der Frau helfen. Aber um welches Problem geht es hier?

Die Frau heißt Sabine Ball, sie ist 83 Jahre alt, christliche Seelsorgerin und hilft benachteiligten Kindern mit ihrem Verein „Stoffwechsel e.V.“. Das steht unter dem Text mit den acht Männern in kleinen Buchstaben. Menschen im Alter von Frau Ball werden die Schrift kaum entziffern können. Das Logo zur Kampagne ist eine Mischung aus Bio-Siegel, Blauem Engel und Grünem Punkt, selbst der ­Slogan hat einen Recycling-Appeal: ­„Alter schafft Neues“.

Nicht die heile Welt der Hochglanzwerbung

Die Kampagne des Bundesfamilienministeriums soll alte Menschen für ehrenamtliches Engagement begeistern, auf seiner Homepage kann man sich die sechs Plakatmotive ansehen. Drei Frauen und drei Männer, alle Fotos wurden mit dem selben Kontrastfilter bearbeitet, der Falten tiefer und fahle Haut fahler aussehen lässt. Jedes Plakat trägt eine verschlüsselte Botschaft. „Sie ist mit Entführungen, Öl und Märchen reich geworden. Letzte Woche“ steht neben dem Bild ­einer 79-Jährigen. Soll heißen: Die Dame organisiert Kunst-Reisen und Malkurse und liest in Kindertagesstätten vor.

Neben den düsteren Plakatmotiven strahlt das Foto einer Frau ganz hell: ­Ursula von der Leyen, mit rosigem Teint und honigblondem Haar. „Sie werden überrascht und erstaunt sein über das, was möglich ist. Genau wie ich“, schreibt die Ministerin. So klingen für gewöhnlich Models, die als Zahnarztgattin verkleidet für Haftcreme werben. Doch dies ist nicht die heile Welt der Hochglanzwerbung: „Viele ältere Menschen zeigen uns tagtäglich, dass sie noch lange nicht aufs Abstellgleis gehören“, schreibt sie. Und dann ist man wirklich überrascht und erstaunt: „Wer glaubt, Ruhestand ­bedeute Stillstand, der irrt. Im Gegenteil. Wir zeigen das Leben der neuen Generation 50+“. Für die 50- bis 67-Jährigen, die tagtäglich Arbeiten gehen oder sich auf Stellen bewerben, müssen solche Sätze ein Schlag ins Gesicht sein.

„Lassen Sie sich von der Freude an einem ausgefüllten Lebensabend anstecken“, wirbt von der Leyen. Wenn das, was sie da zeigt, Freude sein soll, wird es allerdings bald ein wenig enger werden auf dem Abstellgleis.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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