Der Freitag: Durch den Fund von mehr als 1.200 Werken aus der Sammlung von Hitlers Kunsthändler Hildebrand Gurlitt ist das Thema Raubkunst in aller Munde. Die Empörung ist groß. Viele sagen: Endlich.
Julius Schoeps: Der Fall Gurlitt ist in der Tat spektakulär, aber es geht eigentlich um etwas ganz anderes – nämlich um den Umgang mit Raubkunst im vereinten Deutschland.
Immer wieder ist jetzt vom „gutgläubigen Erwerb“ die Rede. Was hat es damit auf sich?
Nehmen wir einmal an, ein Museum kaufte in den sechziger Jahren ein Bild und geht heute davon aus, dass alles damit in Ordnung ist. Nun stellt sich aber heraus, dass es unter obskuren Umständen in seinen Besitz gelangt ist. Weder kann das Museum Quittungen vorlegen, noch ist die Provenienz, sprich Herkunft, beim Erwerb zureichend geprüft worden ...
Wozu das Museum wenigstens moralisch verpflichtet gewesen wäre.
Eigentlich ja. Denn es könnte sich um Raubkunst handeln, beispielsweise um ein Bild, das seinen einstigen jüdischen Besitzern abgepresst oder gar gestohlen worden ist. Bis vor nicht allzu langer Zeit wurde da nicht so genau hingeschaut. Das Problem ist, selbst wenn das Bild nach allgemeiner Rechtsauffassung als gestohlen gilt, kann das Museum es heute tatsächlich als sein Eigentum ansehen. Nach 30 Jahren hat es, wie es im deutschen Juristenjargon so schön heißt, das Eigentum ersessen. In den USA gibt es das nicht. Gestohlen gilt dort als gestohlen. Der gutgläubige Erwerb ist eine deutsche Spezialität. Dieser Sachverhalt muss gesetzlich anders geregelt werden.
1998 haben 44 Staaten, darunter auch Deutschland, die Washingtoner Erklärung unterzeichnet. Sie haben sich damit verpflichtet, Raubkunst in ihren Museen zu identifizieren und mit den Erben eine „gerechte und faire Lösung“ zu finden. Es handelt sich allerdings um eine rechtlich nicht bindende Übereinkunft. Österreich hat daraufhin 2002 ein Restitutionsgesetz verabschiedet.
Ich halte das österreichische Gesetz für beispielhaft. Darin ist die moralische Verantwortung für Verlust und Schäden festgelegt, die als Folge oder im Zusammenhang mit dem NS-Regime jüdischen Bürgerinnen und Bürgern zugefügt wurden. Dieses Gesetz enthält im Übrigen einen sehr interessanten Paragrafen. Wenn ein Bild als Raubkunst identifiziert worden ist und niemand mehr am Leben ist, der einen Anspruch stellen kann, dann soll dieses Bild veräußert werden und der Erlös Opfern des Nationalsozialismus oder entsprechenden Einrichtungen zukommen. Das ist radikal geregelt, aber, wie ich meine, auf vorbildliche Art. Ich würde es sehr begrüßen, wenn Deutschland ein ähnliches Restitutionsgesetz auf den Weg brächte.
Warum fällt das den Deutschen so schwer?
Hier mauern die Museen, und die Kulturpolitiker, die sich äußern müssten, schweigen. Es gibt nur ein paar wenige Museen wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die sich an den Wortlaut der Washingtoner Vereinbarung halten und Kunstwerke restituieren. Dazu kommt, dass die Provenienzforschung zumeist an den Museen angesiedelt ist. Sie handelt in der Regel in deren Interesse, aber nicht im Interesse der Erben, die ihr Eigentum zurückhaben wollen.
Die Museen argumentieren, dass sie ihre Sammlungen vor unberechtigten Ansprüchen schützen müssen.
Den Museen geht es um Bestandswahrung. Das verstehe ich ja. Wenn ich Museumsdirektor bin, dann fällt es mir schwer, mich von Bildern zu trennen, die in meinem Haus hängen oder im Depot lagern. Die Argumente, die vorgebracht werden, wenn man ein Bild nicht herausgeben möchte, sind allerdings zum Teil abenteuerlich. Ein persönliches Beispiel. Ich vertrete die Erbengemeinschaft nach meinem Großonkel, dem Bankier Paul von Mendelssohn-Bartholdy. Das Picasso-Bild, um das es bei unserer Restitutionsforderung geht, hängt in der Pinakothek in München. Als wir die Herausgabe forderten, mussten wir uns anhören, dass Paul von Mendelssohn-Bartholdy gar nicht verfolgt worden sei, zudem noch Christ gewesen ist. Es sind Abwehrargumente, die sich durch blamable historische Unkenntnisse auszeichnen. Sie lassen einen sprachlos werden.
Ist Ihr Fall ein besonderer?
Ja und nein. Jeder Restitutionsfall hat seine Besonderheiten. Man kann aber davon ausgehen, dass alles, was zwischen 1933 und 1945 unter Druck den Besitz wechselte, heute Probleme aufwirft und restitutionsbehaftet ist. Die Menschen waren gezwungen, ihre Sammlungen oder Teile davon zu verkaufen oder abzugeben. Sie taten das, um zu überleben, aber vielfach wollten sie auch, dieses Motiv ist nicht zu unterschätzen, ihre Sammlungen vor dem Zugriff der Nazis retten. Ein besonderes Handicap war die Reichsfluchtsteuer. Sie musste entrichtet werden, wenn man Deutschland verließ, was in nicht wenigen Fällen quasi zu einer Beschlagnahmung des Eigentums führte. Also waren viele Familien gezwungen, sich schon vorher von ihren Bildern und Kunstgegenständen zu trennen.
Ein weitverbreiteter Vorwurf lautet ja, den Erben und ihren Anwälten ginge es nur ums Geld.
Es gibt diesen schrecklichen Satz von Bernd Schultz vom Auktionshaus Griesebach in Berlin: „Sie sagen Holocaust und meinen Geld“. So lautete 2007 die Überschrift eines Beitrags von ihm in der FAZ. Die meisten Erben sind nicht wohlhabend, sondern pochen nur auf ihre Eigentumsrechte, auf das, was ihnen zusteht. Sie rechnen nicht damit, durch die Rückgabe reich zu werden, aber es geht ihnen um historische Gerechtigkeit. Sie wollen wissen, was in jenen dunklen Jahren damals geschah.
Sie beschäftigen sich seit Jahrzehnten intensiv mit den deutsch-jüdischen Beziehungen. Schockieren Sie solche antisemitischen Klischees noch?
Manchmal ja. Der Satz „Sie sagen Holocaust und meinen Geld“ hat mich in der Tat schockiert. Er zeigt, wie wenig man in diesem Land begriffen hat. Die Kommentare zu Berichten über Restitutionsfälle im Internet lassen einen mitunter den Glauben verlieren, dass sich etwas zum Besseren gewendet hat. Antisemitische Vorurteile sind nach wie vor existent. Sie wabern unter der Oberfläche. In Abständen brechen sie hervor. Das kann durch einen TV-Film geschehen wie 1978 durch den Mehrteiler Holocaust, durch ein Buch, durch die plumpe Bemerkung eines Politikers – oder eben durch einen Restitutions-fall, der in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird.
Welche Konsequenzen erwarten Sie aus dem Fall Gurlitt?
Bayern macht jetzt zumindest einen Vorstoß, um ein Restitutionsgesetz auf den Weg zu bringen. Was mich allerdings erstaunt, ist, dass sich die verantwortlichen Bundespolitiker wegducken.
Im Koalitionsvertrag steht lediglich, dass die Mittel für die Provenienzforschung verstärkt werden sollen.
Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Mittel sollten aber nicht nur den Museen zur Anstellung von Provenienzforschern zur Verfügung gestellt werden. Ich plädiere dafür, die Bundesmittel auch an universitäre Projektgruppen zu vergeben oder an unabhängige Forschungseinrichtungen. Sie könnten helfen, strittige Sachverhalte, die bisher nicht oder nur unzureichend erforscht worden sind, aufzuklären. Wenn nicht schnell etwas geschieht, wird bald nichts mehr aufzuklären sein. Die Zeit läuft ab.
Julius Schoeps wurde 1942 im schwedischen Exil geboren. Seit 1948 lebt er in Deutschland. Der Politikwissenschaftler und Historiker lehrte u.a. in Duisburg, Potsdam und New York. Seit 1992 ist er Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien. Die Geschichte seiner Familie hat er 2010 in dem Buch Das Erbe der Mendelssohns dokumentiert
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