Der Freitag: Frau Eilat, Sie sind seit einem Jahr in Brasilien, um mit vier weiteren Kuratoren die Biennale vorzubereiten. Mit welchen Erwartungen kamen Sie dorthin?
Galit Eilat: Mir war es wichtig, mehr über die brasilianische Gesellschaft und Lateinamerika zu erfahren. Die bewegte Geschichte dieser Kunstausstellung hat mich gereizt. Das Land erlebte zwischen 1964 und 1985 eine Militärdiktatur, Ende der 90er kam die Wirtschaftskrise. Die Biennale aber fand durchweg alle zwei Jahre statt. Ein Ausnahmefall.
Sie haben bei einer Konferenz in Berlin kürzlich gesagt, die São-Paulo-Biennale sei ein elitäres Projekt.
Man muss sich nur die Historie ansehen. 1951 wurde die Schau im Zug der europäischen Immigration gegründet. Mit dem Vorsatz also, die westliche Kultur
ur die Historie ansehen. 1951 wurde die Schau im Zug der europäischen Immigration gegründet. Mit dem Vorsatz also, die westliche Kultur nach Lateinamerika zu bringen. Schon ihr Ausgangspunkt war also durch und durch elitär. Heute setzt sich das aufgrund der Kluft zwischen Arm und Reich fort. In den vergangenen Jahren hat sich nun etwas getan. Der Eintritt zum Beispiel ist frei, das ist etwas Besonderes. Auf der anderen Seite ist der Pavilhão Ciccillo Matarazzo für Besucher, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind, schwer zu erreichen. Das Busticket ist nicht für jeden erschwinglich. Sie erinnern sich sicher, dass die Ankündigung der Regierung, die Buspreise in Rio und São Paulo zu erhöhen, einer der Auslöser für die Proteste war. Ob unfreiwillig oder nicht, bleibt die Biennale also ein elitäres Projekt. Das gilt aber auch in Europa für Kunst allgemein.Die älteste und wichtigste Biennale, die in Venedig, ist ganz bestimmt elitär.Hier liegt der Fall anders. Wenn wir über Venedig sprechen, müssen wir über die neue Geldelite sprechen, die es vor 40 Jahren so noch nicht gab. Die Elite war früher zwar auch mehr oder weniger vermögend, aber Venedig war vor allem von der intellektuellen Elite geprägt. Venedig hat sich also zu einem sehr kommerziellen Projekt gewandelt. Das ist in São Paulo anders.Bleibt es nicht immer ein gut gemeinter Wunsch, mit Kunst-Biennalen alle Bevölkerungsschichten zu erreichen?Gute Absichten reichen da nicht. Die letzte Biennale hier haben eine halbe Million Menschen besucht. Die Hälfte davon waren Schulkinder aus sozial schwachen Randbezirken. Das pädagogische Begleitprogramm für Lehrer und Schüler beginnt ein Jahr vor der Ausstellung. Das ist harte Arbeit. Aber auch die Geschichte Brasiliens wirkt bis heute nach. Nach der Militärdiktatur gab es keinen klaren Schnitt. Und das Gremium der Biennale ist nach wie vor Teil der Elite.Wie haben Sie die Entwicklung der Proteste seit 2013 erlebt?Die Unruhen dauern an, auch wenn sie nicht mehr so stark sind wie zu Beginn. Im Stadtzentrum wird täglich demonstriert. Das ist seit Beginn der Fußball-WM nur aus dem Fokus der Medien verschwunden.Erwarten Sie Proteste direkt gegen die Biennale?In der Vergangenheit kam das immer wieder vor. Sollte es auch dieses Mal so sein, wäre das für mich in Ordnung. Es ist gut, wenn eine Kunstveranstaltung kontroverse Diskussionen auslöst. Wir Kuratoren haben eine klare Entscheidung getroffen, als wir in Brasilien ankamen. Wir wollen den Protest von der Straße nicht in die Ausstellung holen, sondern die Themen, deretwegen demonstriert wird. Es wird also keine Demofotos oder Ähnliches im Biennale-Pavillon geben. Wir wollen eine Plattform sein, ohne als Stellvertreter der Protestierenden aufzutreten. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob uns das gelingt.Vor zwei Jahren wurden Occupy-Aktivisten eingeladen, den Hauptausstellungsort der Berlin-Biennale zu besetzen. Das Ergebnis war ein Desaster. Wie im Zoo.Das sehe ich auch so. Artur Żmijewskis Berlin-Biennale war für uns alle eine wertvolle Lektion. Ich kenne ihn viele Jahre, wir haben auch in Israel schon zusammengearbeitet. Er hat in Berlin einige Dinge getan, die viele Kuratoren seit langem überlegt haben, ohne die Probe aufs Exempel zu machen. Bei aller Kritik können wir von seinem Experiment eine Menge lernen. Wir geht man mit Aktivisten um? Wie vermeidet man es, etwas in Beschlag zu nehmen, das man aber für wichtig hält? Manchmal ist es besser, einen Konflikt nicht in eine Schau hineinzutragen. Man sollte nicht glauben, Kunst könne alles einbeziehen.Bei der eingangs angesprochenen Konferenz in Berlin trafen sich die Mitglieder der International Biennial Association – ein Zusammenschluss von Organisatoren, Kuratoren und anderen Beteiligten. Mein Eindruck war, dass es eine große Identitätskrise gibt.Bis in die 90er gab es ja nur wenige Biennalen. Damals war leicht zu überblicken, was sie eigentlich leisten. Aber seit etwa zehn Jahren sind es plötzlich mehr als 200! Da stellt sich automatisch die Frage: Wie kommt das denn? Ist dieses Modell tatsächlich so erfolgreich? Oder will nur das eine Land eine Biennale haben, weil ein anderes eine hat. Hinzu kommt, dass die Errungenschaften früherer Biennalen Selbstläufer geworden sind: Jede hat nun eine Biennale-Stiftung, jede hat ein zugehöriges Institut.Wofür ist so ein Institut da?Das ist eben die Frage: für ein Event, das alle zwei Jahre stattfindet? Welchen Beitrag leistet es wirklich? An einigen Orten passiert zwischen zwei Ausstellungen nichts. Alle Ressourcen fließen also in die Biennale selbst.Wie sähe eine ideale Biennale dann aus?Ein Vorbild ist die von Vasif Kortun und Charles Esche 2005 in Istanbul kuratierte. Die Istanbul-Biennale existierte zu diesem Zeitpunkt fast 20 Jahre. Aber erst nach der Ausstellung 2005 konnte man plötzlich beobachten, wie eine Menge neuer Kunsträume entstanden sind. Daran ließ sich ablesen, wie die Biennale dazu beigetragen hatte, eine Infrastruktur für Kunst zu schaffen, die über das eigentliche Event hinaus Bestand hatte. Ein Negativbeispiel wäre die Manifesta im spanischen Murcia, die der Region keinen Cent hinterließ.Die Istanbul-Biennale befand sich 2013 in einer ähnlichen Situation wie Ihre Veranstaltung jetzt. Vier Monate zuvor war der Höhepunkt der Gezi-Proteste. Die Kuratorin hatte eine Ausstellung im öffentlichen Raum geplant, entschied sich aber unter politischem Druck kurz vorher zum Rückzug ins Museum.In dem Moment, in dem sie entschied, den Kampf nicht aufzunehmen, verlor die Biennale ihre Kraft. Andernfalls hätte zwar die Gefahr bestanden, polemisch zu wirken, aber all diese Probleme hätten an die Oberfläche ge-hört, man hätte ihnen nicht ausweichen dürfen. Auch dieses Beispiel hatten wir hier bei unserer Arbeit immer vor Augen.Die slowakische Kuratorin Maria Hlavajova hat es auf der Konferenz so formuliert: „What is a beautiful exhibition in an ugly society?“ Was bringt eine schöne Ausstellung in einer hässlichen Gesellschaft?Es gibt viele offene Fragen, auch was den Markt und dessen Mechanismen betrifft. Noch etwas, worüber viele nicht gern sprechen: Wir sind in São Paulo stolz, dass wir viele Werke produzieren, anstatt Leihgaben auszustellen. Das Geld kommt von der Stadt und von Sponsoren. Wohin gehen diese Werke? In öffentliche Museen, oder landen sie in Privatsammlungen? Wer profitiert von dieser Kunst, die mit öffentlichen Geldern entstanden ist? Viele Antworten stehen aus, wenn wir fragen, was eine Biennale eigentlich jenseits einer schönen Ausstellung produziert.
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