"Ein Rücktritt würde dem Amt gut tun"

Im Gespräch Staatsrechtler Hans Meyer über politische Reife und die Frage, was verfassungsgemäß mit den Aufgaben eines Bundespräsidenten vereinbar ist - und was nicht

Christian Wulff hat in seiner Erklärung kurz vor Weihnachten betont: „Ich sehe ein, nicht alles, was juristisch rechtens ist, ist auch richtig“. Nach allem, was wir inzwischen erfahren haben: Kann Wulff noch von sich behaupten, juristisch korrekt gehandelt zu haben?

Der zitierte Satz ist eine Plattitüde. Genau genommen enthält er auch weder die Behauptung, „rechtens“, noch das Eingeständnis „unrichtig“ gehandelt zu haben. Der Versuch, Einfluss auf die Presseberichterstattung zu nehmen, gehört der dritten Kategorie an, die mit „dumm“ zutreffend beschrieben wäre. Ein mit der verfassungsmäßigen Aufgabe des Bundespräsidenten unvereinbares Verhalten ist nie „rechtens“. Die Finanzierung eines Hauskaufs ist eine private Angelegenheit. Sie wird bei einem Amtsträger zu einer öffentlichen, wenn die Gefahr einer unerlaubten Begünstigung wegen seiner Stellung vorliegt.

Bedeutet es einen Bruch der verfassungsmäßig garantierten Pressefreiheit, wenn das Staatsoberhaupt Journalisten einzuschüchtern und Berichterstattung zu verhindern versucht?

Der Versuch, eine erwartete ungünstige Presseberichterstattung über eigenes Verhalten zu verhindern oder abzuschwächen, gehört nicht zu den Aufgaben des Bundespräsidenten. Er kann einer solchen Berichterstattung natürlich mit eigenen Argumenten entgegentreten.

Ist der Präsident unter diesen Umständen noch haltbar?

Sein Verhalten gegenüber der Springer-Presse ist ihm als Bundespräsidenten zuzurechnen und daher nicht tolerierbar. Ein Rücktritt würde dem Amt und seiner Partei gut tun.

Als Horst Köhler 2006 zwei Gesetze wegen Verfassungsbedenken gestoppt hat, haben Sie sein Handeln als Verfassungsbruch kritisiert. In der Bevölkerung schien bei solchen Alleingängen die Meinung vorzuherrschen: gut, dass da einer nicht alles mitmacht. Haben wir falsche Vorstellungen von der Aufgabe des Bundespräsidenten?

Das Amt des Bundespräsidenten ist nach den schlechten Weimarer Erfahrungen mit erheblich geringeren Rechten als damals ausgestaltet. Einen wesentlichen Einfluss auf die Politik hat er nicht. Neben seinen vielfältigen Repräsentationspflichten kann er vor allem mit dem Wort wirken; nicht jeder bringt dazu die Gabe mit. Dass im Volk gelegentlich zu hohe Erwartungen an das Amt gestellt werden, schadet diesem und ist meist ein Zeichen dafür, dass unser parlamentarischen Regierungssystem nicht immer den berechtigten Erwartungen gerecht wird.

Verstellt die ewige Debatte über die „Würde des Amtes“ womöglich den Blick auf die eigentlichen Aufgaben und Anforderungen an einen Bundespräsidenten im 21. Jahrhundert?

Ich würde das Wort „Würde“ in diesem Zusammenhang eher klein schreiben. Wir können zwar noch nicht mit Italien konkurrieren, das mit Berlusconi einen einmaligen Rekord aufgestellt hat. Man kommt aber doch ins Sinnieren, wie es um die Reife des politischen Personals bei uns bestellt ist, das bei uns in das höchste, wenn auch nicht wichtigste Amt gelangen kann.

Womöglich erleben wir in den nächsten Tagen den Rücktritt des zweiten Bundespräsidenten innerhalb von nicht einmal zwei Jahren. Ist das Amt am Ende nicht mehr zeitgemäß?

Es gibt wenig Sinn, sich über das Amt selbst den Kopf zu zerbrechen, wenn ein Amtsinhaber nicht gut tut. Bei einer Totalrevision der Verfassung ist das aber ein Merkposten.

Hans Meyer gehörte unter anderem von 1970 bis 1976 dem Wissenschaftsrat an und bekleidete ab 1974 die Professur für Staats-, Verwaltungs- und Finanzrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.Von 1996 bis 2000 war er Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin.

der Freitag digital zum Vorteilspreis

6 Monate mit 25% Rabatt lesen

Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

Der Freitag im Oster-Abo Schenken Sie mutigen Qualitätsjournalismus!

Print

Entdecken Sie unsere Osterangebote für die Printzeitung mit Wunschprämie.

Jetzt sichern

Digital

Schenken Sie einen unserer Geschenkgutscheine für ein Digital-Abo.

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden