Eine Frau, eine Frau!

Preise Geht eine Auszeichnung zum ersten Mal an eine Künstlerin, gilt das immer noch als Sensation
Ausgabe 48/2017

Ende Oktober bekam ich eine Mail, die drei Ausrufezeichen enthielt. Die Mail hatte eine Agentur geschickt, Rebecca Horn, stand darin, werde am 24. November den Wilhelm-Lehmbruck-Preis erhalten, als erste Künstlerin. Ausrufezeichen, Ausrufezeichen, Ausrufezeichen. Ich empfinde es generell als unangenehm, wenn mich ein Text in dieser Form anbrüllt, aber hier störte mich noch etwas anderes. Es gibt eine alte Nachrichtenregel: „When a dog bites a man, that is not news. When a man bites a dog, that is news.“ Mit Menschen und Preisen scheint es sich so zu verhalten: Wenn ein Mann einen Preis bekommt, ist das keine Neuigkeit, sondern wer ihn erhält und wofür. Wird eine Frau ausgezeichnet, ist das die Nachricht.

Rebecca Horn, 1944 in Michelstadt geboren, hat Erfahrung damit, Erste zu sein: 1989 erhielt sie als erste Frau eine Professur an der Berliner Hochschule der Künste, 1992 als erste Frau den Kaiserring der Stadt Goslar, 1993 als erste Frau eine Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum. Das alles sind entscheidende Wegmarken, und natürlich zeugen sie, wie jetzt auch der Lehmbruck-Preis, von Horns überragendem Können. Er wird seit 1966 an Kunstschaffende verliehen, die einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Skulptur leisten, ist mit 10.000 Euro dotiert und mit einer Einzelausstellung im Lehmbruck-Museum in Duisburg verbunden. Hauchkörper als Lebenszyklus ist die aktuelle Schau von Rebecca Horn betitelt. Horn selbst erklärte vorab, sie sehe sich in einer Reihe „mit verehrten Künstlerkollegen wie etwa Kounellis, Oldenburg, Beuys, Serra, Tinguely und stellte mit einer gewissen Genugtuung fest, die erste Frau in der Geschichte des renommierten Preises zu sein, der diese besondere Ehre zuerkannt wird“. Jannis, Claes, Joseph, Richard und Jean will das Anrecht auf den Preis sicher keiner absprechen. Aber was ist mit Louise, Eva, Niki, Isa und Rosemarie?

Die Rede von der „ersten Frau“ lenkt die Aufmerksamkeit in eine falsche Richtung. Außerordentlich ist ja nicht, dass ein Mensch weiblichen Geschlechts Preiswürdiges leistet, bemerkenswert sind die Umstände, unter denen dies zuvor nicht honoriert wurde.

Wie sehr der Status quo verinnerlicht ist, zeigte sich Anfang November, als mehrere Zeitungen schrieben, die Künstlerin Hito Steyerl sei als erste Frau in der Geschichte des Rankings auf Platz eins der „Power 100“ der Zeitschrift Art Review gelandet. Einmal im Jahr erscheint diese Liste der mächtigsten Personen im Kunstbetrieb, für die Branche ist sie so relevant wie die Forbes-Rankings für die Wirtschaft.

Steyerl ist aber nicht die erste Frau an der Spitze des Rankings. Woher die News auch kamen: Dass in den 15 Jahren davor nur Männer die Nummer eins gewesen sein sollen, erschien vielen so plausibel, dass sie die Nachricht nicht überprüften. 2015 waren die Galeristen Iwan und Manuela Wirth auf Platz eins, 2012 Sheikha al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa al-Thani, die Vorsitzende der Museumsbehörde von Katar.

Peinliche Nationalgalerie

Was Steyerls Platzierung so bemerkenswert macht, ist also nicht etwa, dass sie eine Frau ist, sondern die Tatsache, dass sie eine politische Künstlerin und Theoretikerin ist. Steyerl hatte von der Biennale in Venedig bis hin zu Vorträgen auf kleinen Kunstbuchmessen in den vergangenen Jahren eine enorme Präsenz. Wie sie Überwachung, militärische Auseinandersetzungen und die Verstrickung von Konzernen in ihren Videos verarbeitet, hat Einfluss auf andere Künstler und ihr Publikum – aber im Gegensatz zu Sheikha al-Mayassa bint Hamad bin Khalifa al-Thani und Manuela Wirth hat sie keinen nennenswerten Einfluss auf den Kunstmarkt. Ob die Auszeichnung von einer echten Verschiebung der Machtverhältnisse in der Kunstwelt zeugt – weg vom Geschäft, hin zu den Künstlern –, ist jedoch fragwürdig. Eher zeigt sie, wie die Branche sich 2017 selbst gerne sähe.

Was hilft, ist in diesem aufs Image bedachten Kosmos letztlich nur Protest. Und Solidarität. Den vier Kandidatinnen für den Preis der Nationalgalerie wurde es Mitte November zu blöd, wie ihr Frausein vermarktet wird. Mit Sol Calero, Iman Issa, Jumana Manna und der Preisträgerin Agnieszka Polska waren in diesem Jahr zum ersten Mal ausschließlich Künstlerinnen für die prestigeträchtigste Auszeichnung für unter 40-Jährige nominiert. Nach der Preisverleihung gaben die vier ein Statement ab, in dem sie kritisierten, dass ihr Geschlecht und ihre nichtdeutsche Herkunft in den Presseerklärungen und während der Gala stärker thematisiert wurden als der Inhalt ihrer Werke. Die Nationalgalerie war blamiert, wo sie sich gerade noch als besonders progressiv gefeiert hatte. Die Kolumnistin Mely Kiyak schrieb, man degradiere eine Auszeichnung so zur „Gebärmuttermedaille“.

Die Zeitschrift Monopol hat gerade übrigens zum ersten Mal auch eine Liste der wichtigsten Kunstweltmenschen des Jahres veröffentlicht. Auf Platz eins ist die Künstlerin Anne Imhof, die 2015 den Preis der Nationalgalerie gewann und danach die Halle des Hamburger Bahnhofs mit einem Tableau Vivant bespielte, das die Gesten und Riten des digitalen Zeitalters in ein mit kunsthistorischen Referenzen gespicktes Bild aus Drohnen, Greifvögeln, E-Zigaretten und fremdgesteuerten Menschen überführte. Für ihr Werk Faust im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig erhielt sie in diesem Jahr den Goldenen Löwen. Imhof auf Platz eins ist ein überzeugender Auftakt für das Ranking. In jeder Hinsicht.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

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