Der Freitag: Sie sind beide Ende der Achtziger geboren, also Kinder der Nachwende-Zeit. Bemerken Sie überhaupt noch Unterschiede in Ihrer musikalischen Sozialisation?
Grim104: Bei meinen Post-68er-Eltern gehörten Ton Steine Scherben zur frühkindlichen Erziehung.
Testo: Die waren bei uns kein Thema. Mein Vater hat Led Zeppelin und Deep Purple gehört, noch aus Westdeutschland geschmuggelt. Bevor Rap dann eine Rolle spielte, gab es nur die Böhsen Onkelz, die Ärzte und die Toten Hosen.
Grim104: Wir hatten dafür noch Pur.
Das heißt, Sie kommen so richtig vom Dorf.
Grim104: Ich ja. Testo kommt aus der Kleinstadt Stralsund.
Bei Buback erscheinen jetzt erst einmal acht Ihrer Songs. Der zweite heißt „Chrystal Meth in Brandenburg“. Bietet die ostdeutsche Provinz die besseren Themen?
Grim104: Das ist wie mit dem grüneren Gras auf der anderen Seite. Ich finde Kleinstädte und Dörfer interessant. Wenn ich von Berlin zu meinen Eltern nach Norddeutschland fahre, denke ich in Brandenburg immer, es muss total verrückt sein, hier aufzuwachsen. Aber man muss aufpassen, dass man das nicht kolonialherrenmäßig romantisiert. Von wegen die edlen Wilden an ihren Bushaltestellen, wo es noch klare Distinktionslinien und echte Feindbilder gibt, nämlich die Nazis aus der Kneipe gegenüber. Der Song ist Fiktion, aber nicht nur.
Was ist real?
Grim104: Chrystal Meth scheint in den Bundesländern, die eine Grenze zu Tschechien haben, rüberzuschwappen. Ich fand die Vorstellung Wahnsinn, dass durch diese Fichtenwälder Kuriere mit dieser komplett absurden Todesdroge fahren.
Testo: Das Chrystal Meth, das bei meinen Kumpels in Stralsund konsumiert wird…
Grim104: Echt jetzt?
Testo: Letztens habe ich einen getroffen, dem fehlten schon fünf Zähne, und danaben saß die Freundin mit dem Kind. Das ist der Osten.
Grim104: Da bin ich realitätsmäßig weit hintendran.
Sie nennen sich zusammen Zugezogen Maskulin. Ist das als Kampfansage an Kool Savas und Taktloss zu verstehen, die bis 2000 das Duo Westberlin Maskulin waren?
Testo: Das war ekelhaftes, skrupelloses Kalkül, um für Aufmerksamkeit zu sorgen. Wir fanden den Namen gut, weil zugezogen vor allem auch in der Rapszene ein Schimpfwort ist.
Grim104: Mit 16 war ich Savas-Fan. Ich fand dieses absurd-bösartige Zeug cool. Ich mag finstere Musik, ich mag sperrige Musik. Ich mag böse Musik.
Im Haus der Kulturen der Welt fand kürzlich ein Symposium zum Thema „Böse Musik“ statt. Im Rahmen einer Performance wurden dort homophobe, sexistische, rassistische und antisemitische Rap-Texte vorgetragen. Ich war erstaunt, wie umfangreich dieser Fundus ist.
Testo: Mich überrascht das nicht. Ich kenne Leute, die deshalb grundsätzlich von HipHop nichts wissen wollen.
Ist das für Sie auch ein Konflikt?
Grim104: Mein Problem ist, dass ich mit explizit politisch korrektem Rap nichts anfangen kann. Die rappen einfach scheiße. Die könnten ebensogut Folkmusik machen, aber sie machen eben Rap, weil es die meiste Awareness generiert. Wenn jemand wie G Hot und Kralle aber rappt, „ich geh mit zehn MGs zum CSD“, dann find ich das auch nur ekelhaft. Das können sie dann noch so oft als Satire ausgeben, das ruft zu Hass auf.
Die allgemeine Erzählung über Deutsch-Rap geht ja in etwa so: Zuerst waren da die netten Rapper aus dem Süden, wie Fanta 4 und Max Herre. Dann kamen die bösen aus Berlin.
Grim104: Ich zitiere da mal Marcus Staiger, ein Urgestein der Berliner Rap-Szene: Im „Mit Dir“-Video lässt Max Herre Joy Denalane die Wäsche aufhängen, während er damit beschäftigt ist cool rumzurappen. Warum hängt Max Herre nicht die Wäsche auf?
Testo: Ich finde es auch scheinheilig, wenn sich die Mehrheitsgesellschaft über homophobe HipHop-Künstler echauffiert. In der Wochenshow bei Sat.1 wurden doch ständig homophobe Witze gemacht. Das ist akzeptiert.
Würden Sie sich als politisch bezeichnen?
Grim104: Ich habe eine ausgeprägte Position, aber ich hätte kein Interesse, mich deshalb irgendeiner K-Gruppe anzuschließen. Ich finde es gut, Musik zu machen, die einen gewissen Deutungsspielraum hat.
Testo: Aber wir stellen immer wieder fest, dass viele Leute ein Problem mit Ironie haben. Bei uns auf der Facebook-Seite schrieb einer zu unserem Song „Häuserkampf“: „Endlich sagt mal einer was gegen die Scheiß-Zugezogenen.“ Der hat das also so gar nicht verstanden.
Diskutieren Sie mit denen?
Testo: Nein. Das ist doch okay.
Haben die Leute bei HipHop vielleicht besondere Mühe, Widersprüche zuzulassen, weil das Genre so textlastig ist?
Grim104: Das glaube ich nicht. Mein Vater hat ein Buch, in dem wird jeder Dylan-Text dechiffriert. Neulich habe ich im Netz nach „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“ gesucht. Bei Wikipedia wird da jede Zeile auf ein biografisches Detail aus dem Leben von Robert Zimmerman zurückverfolgt.
Auf dem Song „Dreck Scheisse Pisse“ rappen Sie von einem, der mit 34 nicht mehr Ihre Sprache spricht.
Grim104: Man kann auch mit 70 noch perfekte Musik machen. Aber es gibt Leute, die versuchen, mit 34 Jahren ein Revival ihrer eigenen Jugend zu feiern. Da denke ich, das ist Quatsch, rap doch über etwas, das dein Lebensumfeld bestimmt. Rap nicht über deine Abi-Feier.
Ist es in der Rap-Szene besonders schwierig, in Würde älter zu werden?
Testo: In den USA funktioniert es manchmal. Eminem ist jetzt 41, Jay Z wird 44. Jay Z rappt über Themen, die ihn mit Mitte 40 interessieren, und darin finden sich diese Leute dann auch wieder. Hier gehen sie zu den „Born 2 Roll“-Partys nach Friedrichshain, wo HipHop aus den Neunzigern läuft.
Als wir das Interview vereinbarten, schrieb Ihr Label, Sie seien sehr in Ihre angehenden Berufe eingespannt.
Grim104: Ich habe Zukunftsängste, ich brauche für mein Wohlbefinden etwas, das Freizeit kostbar macht. Ich kenne ja auch die abschreckenden Beispiele von Leuten aus der Gangsta-Rap-Phase um die Jahrtausendwende, die jetzt im Call-Center jobben, weil sie für kurze Zeit sehr viel verdient haben.
Und dachten, das ginge ewig so weiter?
Grim104: Die dachten, sie würden immer relevant und interessant und cool sein. Und da ist es mir wichtig, dass es noch etwas anderes gibt, wenn ich nicht mehr interessant, relevant und cool bin. Das denke ich mir immer bei den abgewrackten Ami-Rappern aus den Neunzigern, die nach Europa verfrachtet werden und vor gelangweilten 19-Jährigen spielen. Jeru the Damaja, den in den USA kein Schwein mehr interessiert, der kann dann hier noch mal seine Jugend auspacken Das will ich später nicht.
Die selbstbetitelte EP von Grim104 erscheint am 15. November bei Buback Tonträger Das Gespräch führte Christine Käppeler Zugezogen Maskulin ist der Name, unter dem die Rapper Grim104 und Testo gemeinsam arbeiten Grim 104 wurde 1988 in einem Dorf in einer touristischen Region in Friesland geboren. Er lebt seit 2007 in Berlin. Testo wurde 1988 in Stralsund geboren. Nach dem Abitur zog er 2008 nach Berlin
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