Wann haben Sie das letzte Mal einen Kaugummi auf die Straße gespuckt? Meiner klebt auf einem Schulhof in Süddeutschland, sofern ihn nicht längst ein Hausmeister gekärchert hat. Hätte mich vor meinem Besuch im Atelier von Gerd Rohling jemand gefragt, ob es Kaugummiflecken in meiner heutigen Straße gibt, hätte ich abgewunken. Inzwischen sehe ich, dass es Tausende sind. Besonders gut kann man sie bei Regenwetter erkennen. Sie leuchten dann weiß auf dem nassen Asphalt. Ist die Straße trocken, liegen sie schwarz da.
Der Künstler Gerd Rohling arbeitet seit 1996 mit dem Material. In der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts sind seine Bilder jetzt zu sehen: Landschaften aus schwarzen Flecken, aber auch Collagen, in die er Menschen eingearbeitet hat, die an der süßen Masse kleben. Lachen, sagt Rohling, könne man über seine Bilder. Was ihn ärgert, ist, wenn manche jetzt denken, er sei ein Nachahmer. Es gibt da zum Beispiel den Briten Ben Wilson, der seit ein paar Jahren schon von Journalisten begleitet wird, wenn er in London kleine Landschaften und Porträts auf festgetretene Fladen malt. Der Spiegel berichtete groß, RTL schickte einen Reporter hinterher, Wilson ist „der Gummimann“.
Dass Gerd Rohling 20 Jahre und mehr an einem Thema arbeitet, ist nicht ungewöhnlich. „Tiefkühlkost“ nennt er seine Werke deshalb auch. Man könne sich das gern in seinem Atelier ansehen. Seit den frühen 70ern hat Rohling wechselnde Ateliers im Berliner Stadtteil Wedding. Zuerst war er in einer alten Fabrik, auf zwei Etagen und dem Dach. Die wurde abgerissen. Gentrifizierung würde man das in anderen Vierteln nennen. „Nee“, Rohling winkt ab. „Da ist jetzt ein verkommener Kinderspielplatz, wo nie einer sitzt. Nur drei Mann mit der Bierpulle ab und zu. Das Ding hätten sie mir lassen können.“ In seinem heutigen Atelier stapeln sich Obstkisten und Windelkartons mit Material. Eine antike Vitrine enthält einige der kostbar aussehenden Weinpokale und Karaffen, die Rohling seit den 80ern aus Plastikstrandgut baut. Wasser und Sand haben den angeschwemmten Spülmittelflaschen und Kanistern eine matte Patina verliehen, mit verblüffendem Effekt. Als sie 2001 bei der Kunstbiennale in Venedig zu sehen waren, mäkelte ein Kritiker, die zeitgenössische Kunst bringe es wohl nicht mehr, nun zeige man dort schon antike Pötte.
In der kleinen Küche, die zum Atelier gehört, legt Gerd Rohling einen Stapel Fotos auf den Tisch. Als ihm die Kaugummiflecken in den 90ern in New York das erste Mal auffielen, begann er sie zu dokumentieren. Und er hat sich von Passanten dabei fotografieren lassen, wie er der Klebemasse mit dem Spachtel zu Leibe rückt und den Ertrag in einer Tüte sammelt. Würgte es ihn dabei nie? „Mich ekelt das null.“ Ein Foto zeigt ihn im Atelier, vor ihm auf dem Tisch eine modellierte Landschaft, seine Hände formen einen Turm aus einer Knetmasse. Ist das …? „Das dürfen Sie jetzt nicht fragen.“
Klumpen bei Tiffany
Den Kaugummi hat Rohling jedenfalls nicht nur eingesammelt, er hat ihn auch draußen wieder verteilt. Um an anderer Stelle das Bild zu ergänzen, wie er es nennt. Vor Tiffany, dem Schmuckgeschäft, legte er die Klumpen in buntes, glitzerndes Zellophan gewickelt aus. Ein Kinderstreich? Diese Komponente haben viele seiner Werke. Neben der Eingangstür hängt ein Plakat, mit dem das Ägyptische Museum für den Besuch der Nofretete warb. In ihrer linken, salzweißen Augenhöhle klebt eine grauschwarze Pupille. Rohling sagt, es gehe ihm weniger um die Geschichte als um das Bild, das am Ende entsteht – ein neues Bild, an dem er beteiligt ist.
Ein frühes Beispiel ist die Serie Berühmt-Berüchtigt, die 1984 als Reaktion auf eine Ausstellung im Kunstverein Hannover entstand, bei der neben Rohling auch die Künstler Fischli und Weiss ausstellten. Das Kunstmagazin Art fotografierte damals sein Werk und das der beiden Schweizer, beide wurden als Kandidaten für das Titelblatt gehandelt. Das Rennen machten Fischli und Weiss. Das Fischli/Weiss-Cover veränderte Rohling dann zu seinen Gunsten, indem er kurzerhand sein eigenes Werk hineinmontierte. 16 Blätter entstanden so, Rohling auf den Titelseiten aller tonangebenden Publikationen, von Artforum bis hin zum Plakat für die renommierte Abendauktion bei Christie’s.
Peter Fischli und sein 2012 verstorbener Partner David Weiss sind inzwischen weltberühmt. Gerd Rohling ist ein Geheimtipp geblieben, in den großen Häusern sind seine Werke durchaus zu sehen, aber meist in Gruppenausstellungen. Er gehört zum Mittelbau des Kunstbetriebs, über den der durchschnittliche Museumsgänger wenig weiß: Seinen Namen kennt kaum einer, von seiner Kunst kann er seit über 40 Jahren aber ganz ordentlich leben.
Zwischen zwei Kartons blitzt eine goldene Spitze hervor. „Schenke ich Ihnen“, Rohling zieht einen Dolch samt Scheide heraus, aus Pappkarton mit Glitzerfolie umwickelt. Einige Dutzend hat er noch, erstanden 1999 vor dem Taj Mahal Palace Hotel in Mumbai, das man durch den späteren Terroranschlag aus den Nachrichten kennt. Im Taj Mahal Palace, erzählt Rohling, habe er sonntags sein Bier getrunken, als er in Mumbai auf Einladung des Goethe-Instituts arbeitete und ausstellte. Er hat das schon an vielen Orten so gemacht, Kingston, Bangkok, Madras, Dakar. In eine Stadt, in der er sein Bier abends hinter Stacheldraht in der deutschen Botschaft trinken muss, mag er nicht gehen. Eine Einladung in den Sudan hat er deshalb kürzlich abgesagt. „Ich brauche den Alltag.“
Zur Kunst hat Gerd Rohling in der Kneipe gefunden, auch als er 1970 nach Berlin kam. 24 war er da und zuvor als Steward einige Jahre auf einem Schiff durch die Karibik gefahren. In der Kneipe am Steinplatz in Charlottenburg tranken damals auch die Studenten der Hochschule der Künste von gegenüber ihr Bier. Eine fremde Welt sei das gewesen, „aber eine, die sich mir schnell erschloss. Ich machte da weiter, wo ich mit sechs aufgehört hatte. Ich bastelte.“ Rohling wurde an der HBK angenommen. Es sei ihm, sagt er, auch darum gegangen, „jemand anderes zu werden. Wie im Karneval, wo man sich als Kind Fransen an die Hosen nähen durfte und ein paar Tage ein anderer war. So, wie man eigentlich immer sein wollte.“
Sein Kaugummi-Opus würde er gern einmal in einer großen Schau zeigen. In die alles aus den vergangenen 19 Jahren einfließen kann: die Fotos aus New York, die Museumsplakate, die er in Berlin umgestaltet hat, und die Collagen auf Aluminium. Bei Contemporary Fine Arts werden sie nun in Holzrahmen hinter Glas gezeigt – doppelt veredelt, durch die Einfassung und ihren Platz in einer der wichtigsten Galerien der Stadt. Wobei Gerd Rohling das Material anders sieht: „Wie in Aspik!“
Ausstellung
Gerd Rohling: Feinschliff Contemporary Fine Arts Berlin, bis 14. März
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