Es wird sonnig

Interview Claudia Kleinert moderiert seit 16 Jahren das Wetter in der ARD. Dass sie bald endgültig von Wetter-Apps abgelöst wird, hält sie für extrem unwahrscheinlich
Ausgabe 51/2016
„Ich bin ein ständiger Gast, ich gehöre zur Familie“
„Ich bin ein ständiger Gast, ich gehöre zur Familie“

Foto: Lisa Hörterer für der Freitag

Wenn am Ende der Tagesschau auf der Studiowand das Gesicht von Claudia Kleinert erscheint, wirkt es für einen Moment, als wäre die Welt zurück in ihren Fugen. Kleinert macht diesen Job seit 16 Jahren, wenn sie sagt, dass die Sonne auch morgen wieder scheint, ist darauf Verlass.

Ihr Wetterstudio befindet sich auf dem Gelände der Münchner Bavaria Film. Draußen warten Touristen darauf, in die Röhre zu kriechen, in der Das Boot gedreht wurde, drinnen steht Claudia Kleinert vor einer grasgrünen Wand, an deren Stelle im Fernsehen die Wetterkarten zu sehen sind, und erklärt, aus welcher Richtung der Wind kommt. Mehr noch als die Frage, ob es weiße Weihnachten gibt (voraussichtlich nicht), beschäftigen nur Kleinerts Outfits die Zuschauer. Beginnen wir also mit Äußerlichkeiten.

der Freitag: Frau Kleinert, der Journalist Moritz von Uslar hat Hans Magnus Enzensberger einmal gefragt, ob Sie nicht die schönste Frau des Landes sind.

Ach nee. Echt? Der kannte mich doch mit Sicherheit nicht.

Stimmt. Enzensbergers Antwort lautete: „Es gibt unendlich große Flächen der Ahnungslosigkeit.“

Das ist eine ganz süße Erklärung. Ich finde den ja ganz großartig. Früher habe ich seine Bücher gelesen, aber das ist lange her.

Sie werden oft als Granate oder Bombshell bezeichnet. Es wirkt immer, als störe Sie das nicht.

Das ist doch ein Kompliment. Ich bin nicht der Typ, der überlegt, ob mir da eine sexuelle Anmaßung entgegenkommt. Wenn mir jemand sagt, „Sie haben eine tolle Dirndlfigur“, würde ich antworten: „Schön, dann muss ich wohl mal wieder eines anziehen.“ Ich bin, was so etwas angeht, ziemlich locker. Aber ich kann auch parieren, wenn mir etwas nicht passt.

Können Sie verstehen, dass eine jüngere Generation von Frauen so etwas nicht mehr hören will?

Eigentlich nicht. Ich bin jemand, der sehr gegen jede Art von Diskriminierung und Sexualisierung ist. Aber einen Spruch wie „Die sieht ja süß aus“ sehe ich nicht als Diskriminierung.

Nehmen wir einen ernsteren Fall. Der CDU-Politiker Frank Henkel sagte zu einer jungen Kollegin: „Sie große süße Maus“.

Da würde ich auch einen Gegenspruch bringen: Na ja, dann passen wir ja nicht zusammen, kleine Wanze. Das diskreditiert den doch mehr als mich. So etwas ist in einem Abhängigkeitsverhältnis im Job natürlich nicht so einfach.

Wo fängt für Sie sexuelle Diskriminierung an?

Jegliche Art von Berührung oder Sprüche unter der Gürtellinie. Ich habe ein unheimliches Problem damit, wenn Leute mich auf der Straße ungefragt anfassen oder fotografieren, während ich esse. Wenn ich nur auf das Frausein oder sexuelle Merkmale reduziert werde, wehre ich mich. So wichtig ist kein Job, als dass ich da nicht klar Stellung beziehen würde.

Zur Person

Claudia Kleinert, 46, wurde in Koblenz geboren. Soeben erschien von ihr Unschlagbar positiv. Die Charisma-Formel ( Ariston 2016, 256 S., 19,99 €)

Sie sind ursprünglich Bankberaterin und waren lange Zeit die einzige Nicht-Meteorologin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie behauptet man sich da?

Ich habe mir vieles angelernt und angelesen. Anfangs, beim Wetter- und Reisekanal, bin ich nach den Sendungen oft noch zwei Stunden geblieben und habe mir alles erklären lassen. Wir arbeiten ja nie mit Telepromptern oder mit Texten. Ohne Ahnung kommen Sie da nicht weit.

Haben Sie mal überlegt, doch noch Meteorologie zu studieren?

Ich habe das gemacht, zwei Semester in Köln. Es nützt nur überhaupt nichts. Wenn Sie BWL studieren, können Sie danach auch kein Unternehmen führen. Bei Meteorologie lernen Sie unheimlich viel über sehr tiefgehende physikalische Zusammenhänge und Berechnungsmodelle. Was ich brauche, ist Vorhersagemodelle lesen und beurteilen zu können, die ein Computer ausrechnet. Nur ein winziger Teil des Stoffs im Studium.

Sie betonen immer wieder, dass alle Vorhersagen, die über drei Tage hinausgehen, unseriös sind.

Das Wetter ist ein chaotisches System, da gibt es keine Sicherheit. Die Daten, die in ein Modell einfließen, sind ja der Ist-Zustand, der in die Zukunft gerechnet wird. Sie gehen davon aus, dass sich diese Parameter – Temperatur am Boden, in der Höhe, Windgeschwindigkeit, Windrichtung et cetera – so weiterentwickeln, wie es das Modell berechnet. Weicht einer der herangezogenen Parameter aber nur um ein wenig von dem ab, was die Formel zur Vorhersage in die Zukunft rechnet, so ändert sich die komplette Vorhersage. Dann zieht ein Tief, das jetzt noch über dem Atlantik ist, in 5 Tagen eben nicht nach Großbritannien, sondern es kommt in Nordrhein-Westfalen an.

Nun werden die Computer und Programme, die diese Modelle erstellen, immer besser. Schwer vorstellbar, dass die Prognosen ewig auf dem Stand der nuller Jahre bleiben.

Selbst mit viel stärkerer Rechenleistung schaffen sie mittel- oder sogar langfristig keine Genauigkeit. Bei Temperaturen lässt sich zumindest für zwei Wochen im Voraus eine Spanne angeben. Aber in 14 Tagen kann die dann auch schon mal zwischen 4 und 18 Grad variieren. Damit kann ja kein Mensch was anfangen.

Ist das Wetter also Schicksal?

Würde ich nicht sagen. Neulich habe ich mich mit jemandem über das Waldsterben unterhalten. Der sagte: Ihr macht jetzt einen Hype um den Klimawandel, das war beim Waldsterben auch so. Aber der ist nicht tot, wir haben noch nie so tolle Wälder gehabt. Ja, aber dafür wurde auch eine Menge gemacht. Da darf man sich nicht wundern, wenn das ins Positive umschlägt. Es ist Quatsch zu sagen, vielleicht regelt sich die Natur selber. Wenn jetzt alle Vulkane auf der Erde auf einmal ausbrechen würden, hätten wir mit dem Thema Temperaturanstieg überhaupt kein Problem mehr, weil wir über Monate keine Sonneneinstrahlung mehr hätten. Ich denke nicht, dass wir uns das wünschen würden.

Müssen Sie als Wettermoderatoren angesichts des Klimawandels politischer werden?

Nein, wir dürfen grundsätzlich nicht politisch sein, wir sind nur Informationsvermittler. Ich vermeide auch Aussagen wie: „Morgen wird es schön“. Es gibt kein schlechtes oder schönes Wetter. Das, was ich schön finde, findet eine ältere Dame mit Kreislaufproblemen oder ein Landwirt, der auf Regen oder Frost wartet, vielleicht ganz gruselig. Ich bemühe mich um Neutralität, sage beispielsweise: Morgen wird’s sonnig. Da muss man als Informationsvermittler ganz vorsichtig sein.

Wobei Information an sich ja auch politisch ist. Allein dadurch, dass man entscheidet, worüber man informiert.

Ja, aber das Problem ist in unseren Wettervorhersagen kein Thema: wir geben nur kurzfristige Entwicklungen an den Zuschauer weiter und keine Klimaprognosen.

Bei Fragen zum Thema Klimawandel kann ich aus meiner Erfahrung lediglich sagen, dass ich Veränderungen wahrnehme, dass es häufiger Unwetterlagen oder Extreme gibt. Oder auch, dass sich schon der vierte Hurrikan der höchsten Kategorie in einem Jahr entwickelt hat. Wer sich etwas auskennt, weiß: Ein Hurrikan kann nur entstehen, wenn die Wassertemperatur 26,5 Grad oder mehr beträgt. Je wärmer das Wasser, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass ein Hurrikan entsteht und desto heftiger kann dieser ausfallen. Aber das zu erklären – dafür ist in unseren Sendungen keine Zeit. Ich habe maximal drei Minuten. Wir sind froh, wenn wir so einen Hurrikan überhaupt erwähnen oder mehr dazu erklären können.

Im Sommer machte ein Amateurvideo von einem Paar die Runde, das mit dem Auto zwei Tornados hinterherjagte. Wie gehen Sie mit solchem Material um, verwenden Sie das?

Wenn wir die Sachen zur Verfügung gestellt bekommen, klar. In den Foren sind auch Kollegen unterwegs, die schauen, was da übers Wetter gepostet wird. Da kriegen Sie Sachen auch mal früher mit, als sie in der dpa-Meldung sind. Für uns ist es natürlich superspannend, wenn wir fünf Minuten später in der Sendung sagen können: Bei Delmenhorst gab es einen unbestätigten Tornado.

Ist es eine gute Entwicklung, dass sich Amateure zum Wetterreporter berufen fühlen?

Ja, ich finde es toll, dass es solche Bilder gibt. Nein, ich glaube nicht, dass es gut ist, wenn irgendwer da irgendwas hinterherjagt. Ich verstehe die Frau, die wohl ihrem filmenden Partner immer wieder sagte: Komm ins Auto, lass es bleiben. So eine Sensationslust kann einen auch mal das Leben kosten. Ich habe selber mal einen Hurrikan in den USA miterlebt und, ganz ehrlich, ich war die Erste, die gesagt hat, wir bleiben hier alle drinnen. Das sind Naturgewalten, da haben Sie keine Chance mehr.

Gibt es Wetterentwicklungen, die Ihnen Angst machen?

Klar. Ich bin jemand, der sehr empathisch ist. Bilder wie dieses Jahr möchte ich weder selbst erleben noch wissen, dass Menschen in solche Situationen kommen. Als es das furchtbare Hochwasser in Bayern gab, saßen die Kollegen hier und sagten: „Gott sei Dank ist es so kalt, dass ein Teil dieser sintflutartigen Massen als Schnee gebunden wird.“ Nur fünf Grad wärmer und die Folgen wären noch viel verheerender ausgefallen.

Wenn gerade kein Extremwetter herrscht, hat es oft etwas Beruhigendes, wenn Sie nach den Nachrichten auftauchen. Vorher geht es um Krieg, Katastrophen oder Extremismus – und dann reden Sie oder Sven Plöger übers Wetter und wünschen allen noch eine gute Nacht. Das ist etwas sehr Zuverlässiges.

Ich höre oft: „Wie schön, dass Sie morgen im Sender sind, dann sind Sie wieder bei mir im Wohnzimmer.“ Ich bin ein ständiger Gast, ich gehöre zur Familie. Das finde ich ganz süß.

Wird der Wetterbericht bald endgültig von den Wetter-Apps abgelöst, die wir alle auf unseren Computern und Smartphones haben?

Nein, da diese bei weitem nicht so genau sein können wie eine von Menschen gemachte, auf Validität geprüfte Vorhersage. Zumindest nicht, wenn es um eine Vorhersage geht, die über die nächsten sechs Stunden hinausreichen soll.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin Kultur

Christine Käppeler

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