Eva Illouz analysiert „Shades of Grey“

Haarsträubend Die israelische Soziologin führt den Erfolg des Sadomaso-Bestsellers auf ein fundamentales weibliches Bedürfnis nach Hierarchie und Ordnung in der Partnerschaft zurück
Ausgabe 25/2013

Die Zahl beeindruckt: 70 Millionen. 70 Millionen Currywürste gehen zum Beispiel in Berlin jedes Jahr über die Imbisstheken, woraus sich allerhand ableiten lässt, etwa dass Berlin die internationale Currywurstmetropole ist. 70 Millionen Exemplare wurden inzwischen weltweit auch von E.L. James Sadomaso-Geschichte Shades of Grey abgesetzt. Anders als bei den Currywürsten kann man nur mutmaßen, ob sie nur gekauft oder auch konsumiert worden sind. Gewiss ist allemal, dass dieses Buch ein Bestseller ist, und was sich daraus ableiten lässt, untersucht Eva Illouz, die Autorin des Sachbuch-Bestsellers Warum Liebe weh tut? (2011), nun in einem schmalen Band.

Die neue Liebesordnung heißt die Studie der israelischen Soziologin, die in der „Edition Suhrkamp digital“ erschienen ist. Einer ohnehin obskuren Reihe, die durch dieses Buch nicht eben an Kontur gewinnt, handelt es doch von ungemein mechanischen Dingen – siehe die Handschellen auf dem Cover.

Ihre These: Die Komplexität sexueller Beziehungen in der Spätmoderne, in denen oben und unten optional geworden sind, überfordert den Menschen, und ganz besonders die Frau. Aus dieser Ausweglosigkeit, so Illouz, hilft das sadomasochistische Verhältnis, wie E.L. James es in Shades of Grey beschreibt, nicht nur symbolisch heraus, „es funktioniert letztlich als ein sexueller Selbsthilfeleitfaden“. Wenn dieser Roman als „Mamiporn“ gescholten wird, so die Autorin, liegt deshalb ein fundamentales Missverständis vor: Frauen kaufen – anders als Männer – erotische Romane nicht, um zu masturbieren, sondern um fürs Leben zu lernen, und zwar etwas, von dem beide profitieren. Als Beleg führt sie die Absatzsteigerung bei Augenbinden und Lustkugeln an.

Wen aber meint Eva Illouz, wenn sie von den Frauen respektive den Leserinnen des Romans spricht? Bei Illouz herrscht eine ungeheuer schlichte Dichotomie zwischen der Frau, die dieses Buch „fasziniert“, und dem Mann, dem ob Stil und Handlung „die Haare zu Berge stehen“. Die zahlreichen Verisse des Romans, die von Frauen verfasst wurden, lässt Illouz unerwähnt. Vielleicht, weil die Kritiken, die das Buch als antifeministisch gebrandmarkt haben“ ihrer Ansicht nach sowieso „völlig daneben liegen, was manchen Leserinnen freilich auch aufgefallen ist.“

Zum Beweis zitiert sie eine Bloggerin, der aufgefallen ist, dass Ana Steele den Sexvertrag, den der erfolgreiche, attraktive und unersättliche Christian Grey ihr aufgezwungen hat, auf fast jeder Seite neu verhandelt. Dass Grey sich in Ana schließlich verliebt, nachdem sie sich ihm entzogen hat, wertet Illouz gar als einen „aus eigener Kraft durch Entschlossenheit und Charakter erzielten romantischen Erfolg“. Andere (etwa Suzanne Moore im Freitag vom 9. Juli 2012) haben genau das als pathologisch kritisiert: Der Frau wird suggeriert, sie muss nur alles geben, dann wird ihr unnahbares Gegenüber sie schon lieben.

Eine Mitstudentin hat einmal über eine von ihr selbst verfasste Seminararbeit gesagt, man solle aus einem Misthaufen nicht mit Adorno winken. Eva Illouz winkt in ihrer Studie nicht nur mit Horkheimer und Adorno, sondern auch mit Hegel und der US-Serie Girls, und das so lange, bis sie zu dem Schluss kommt, dass die Form der sexuellen Selbsthilfe, die Shades of Grey anbietet, die Lektüre „zu einem paradigmatischen Akt des modernen Selbstseins, nämlich zu einem Akt der Selbstermächtigung und Selbstverbesserung“ macht. Man muss kein Mann sein, um diese These haarsträubend zu finden.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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