Im Prinzenbad sind die Deadlines fix

Hegelplatz 1 Unsere Kulturchefin würde die Schwimmbad-Security sofort beim „Freitag“ einstellen
Ausgabe 28/2019
Badegäste im vermeintlichen Berliner Brennpunkt-Schwimmbad „Prinzenbad“
Badegäste im vermeintlichen Berliner Brennpunkt-Schwimmbad „Prinzenbad“

Foto: Johannes Eisele/AFP/Getty Images

Vergangene Woche starb der britische Maler Leon Kossoff. Dem Vernehmen nach so, wie die meisten Menschen es sich wünschen: nach kurzer Krankheit mit 92 Jahren. Eines seiner Bilder geht mir seither nicht aus dem Kopf: Sein Titel ist Children’s Swimming Pool, 11 o’clock Saturday Morning, Kossoff hat es 1969 gemalt, das Bad befand sich unweit seines Ateliers im Norden von London. Zu sehen ist ein Becken, in dem Anarchie herrscht: Sehr viele kleine Körper stehen und paddeln kreuz und quer, von den Seitenrändern hechten zwei nicht mehr ganz so kleine Kinder mit einem Köpper ins Wasser. Es ist nicht erkennbar, dass sie irgendwo in diesem Becken ungestreift landen könnten. Ein Bademeister ist nicht in Sicht.

Der Berliner Galerist Johann König, den ich für die vorige Ausgabe des Freitag porträtiert habe, sagte mir im Gespräch, er denke beim Stichwort Schwimmbad immer zuerst an David Hockney und dann an ein echtes Schwimmbad. Hockneys azurblaue Pools, in denen schlanke junge Männer einsame Bahnen ziehen, sind Sehnsuchtsorte; die Berliner Realität sieht wie bei Leon Kossoff aus.

Unsere Freibäder haben einen eher mäßigen Ruf. Selbst in München weiß man, dass sie ständig wegen Messerstechereien, Massenprügeleien und Ähnlichem geschlossen werden. Vergangene Woche ließ ich meinen Haustürschlüssel im Kreuzberger Prinzenbad liegen. Am nächsten Morgen konnte ich ihn an der Kasse abholen. Auch so geht es in Berliner Freibädern zu.

Neulich stand ich eine Minute nach 19 Uhr am verschlossenen Eisenzaun. Um 19 Uhr ist Kassenschluss. Der Security-Mann, der aussah wie ein Kumpel von Bushido, sagte höflich, dass da nichts mehr zu machen sei. Vor ihm standen schon zwei bedröppelte Mädchen und ein Franzose, der zu vermitteln versuchte, dass seine Frau nebst Kleinkind und einer bereits für ihn gelösten Karte irgendwo da drin in dem abebbenden Wahnsinn ein paar Quadratzentimeter Becken erobert habe; an der Kasse wüsste man Bescheid. Ich schaute auf mein Telefon. Da stand immer noch 19.01 Uhr. Die beiden Mädchen, sagte ich zur Security, seien definitiv vor 19 Uhr da gewesen. Und wenn der Zaun schon mal offen sei … Meine vorgeschobene Solidarität mit dem Ziel der Vorteilsnahme brachte uns dem Becken keinen Zentimeter näher. „Ich krieg’ Ärger von oben“, sagte der Mann seinerseits mit Dackelblick und einem finalen Achselzucken.

Wäre ich Chef vom Dienst hier beim Freitag, dann würde ich die Security vom Prinzenbad einstellen, um über die Einhaltung der Deadlines zu wachen. Die Abgabe dieser Kolumne zum Beispiel war vor 1.200 Minuten fällig. Manchmal geht es hier in der Redaktion wie in einem Pool von Leon Kossoff zu.

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Geschrieben von

Christine Käppeler

Ressortleiterin „Kultur“

Christine Käppeler leitet seit 2018 das Kulturressort des „Freitag“, davor schrieb sie als Redakteurin vor allem über Kunst und die damit verbundenen ästhetischen und politischen Debatten. Sie hat Germanistik, Amerikanistik, Theaterwissenschaften und Journalismus in Mainz und Hamburg studiert und nebenbei als Autorin für „Spex. Das Magazin für Popkultur“ gearbeitet.

Christine Käppeler

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