Barbara Bleisch: „Personen auf eine Position festzulegen, ist das Ende der Philosophie“
Interview Barbara Bleisch moderiert im Schweizer Fernsehen die Gesprächssendung „Sternstunde Philosophie“. Es geht bei ihr um die großen Zeitfragen, aber die Gäste zoffen sich bei ihr nicht – und dürfen ausreden
In den Talkshows wurde in diesem Jahr hitzig und oft gnadenlos debattiert. Coronapandemie, Putins Überfall auf die Ukraine, der radikale Klimaaktivismus: Darüber ließ sich streiten, trefflich war es selten. Ausschnitte in den sozialen Medien sorgten für noch mehr Empörung. Umso wohltuender war es, dort auch auf Schnipsel aus der Sendung Sternstunde Philosophie zu stoßen, zu deren Moderator:innen die Philosophin Barbara Bleisch gehört. Harald Welzer, Maja Göpel, Katja Kullmann, Felix Lobrecht – auch viele Deutsche sind bei ihr im Schweizer Fernsehen zu Gast. Bleisch führt ihre Gespräche durchaus kritisch, aber immer warmherzig. Lässt sich da etwas abschauen?
der Freitag: Frau Bleisch, was macht das Fernsehen als Medium für phi
as macht das Fernsehen als Medium für philosophische Gespräche für Sie aus?Barbara Bleisch: Erst mal ist es vor allem erstaunlich, dass die Kombination so gut funktioniert. Sternstunde Philosophie hat keine Quote wie Markus Lanz, aber es gibt sie über 20 Jahre schon, und wir haben andauernd Wachstum zu verzeichnen, vor allem, seit wir einen eigenen Youtube-Kanal haben. Dabei ist, was wir machen, eigentlich ein Anachronismus – bösen Zungen zufolge Radio zum Schauen. Von dem, was das Fernsehen an technischen Tricks beherrscht, nutzen wir kaum etwas.Es gibt auch keine starke Emotionen. Bei Ihnen verliert in der Regel keiner die Fassung.Ich sehe das anders. Der emotionalste Moment in einem philosophischen Gespräch ist der, in dem jemand wirklich ins Denken kommt. Das sieht man der Person meist an, wenn sie länger nichts sagt. Diese Stille muss man aushalten und fürs Gespräch nutzen können. Und genau dafür haben wir Zeit. Anders als in Talkshows, wo es gleich weitergehen muss mit dem nächsten Thema, dem nächsten Gast. Kennen Sie das Gespräch zwischen Günter Gaus und Hannah Arendt? Es erreicht Millionen Klicks. Da sprechen zwei Menschen miteinander, versuchen zu verstehen, ohne vorschnell beizupflichten, und es entsteht im besten Sinne das, was der Philosoph Hans-Georg Gadamer „Horizontverschmelzung“ genannt hat: ein Verstehen, das Neues schafft. Ich glaube, viele faszinieren die Echtheit und Menschlichkeit, die sich in solchen Gesprächen zeigen.Sie sprechen durchaus auch über polarisierende Themen. Bei Ihrem „Philosophischen Stammtisch“, den sie gemeinsam mit Wolfram Eilenberger moderieren, hatten Sie Elke Schmitter und Wilfried Hinsch zu der Frage zu Gast, wie man es mit dem Pazifismus hält. Beide vertraten unterschiedliche Positionen, aber es gab keinen Zoff, keine Diffamierungen. Was funktioniert da anders als im Diskurs sonst?Zu einer philosophischen Anordnung gehört, dass alle, die daran teilnehmen, ergebnisoffen ins Gespräch gehen. Das bedingt die Bereitschaft, sich zu hinterfragen, also immer damit zu rechnen, ich könnte falschliegen und mein Gegenüber doch recht haben. Es muss also möglich sein, dem anderen Gast im Gespräch entgegenzukommen oder sogar während des Gesprächs die Position zu wechseln. Bei einer Talkshow werden die Gäste oft mit Blick darauf gecastet, dass sie sich widersprechen – und das sollen sie dann bitte auch tun. Nichts ist offenbar langweiliger als eine Runde, in der sich alle einig sind. Sagt ein Gast plötzlich: „Ehrlich gesagt, jetzt haben Sie mich überzeugt!“, würde die Moderatorin wahrscheinlich versuchen, ihn auf seine alte Position einzuschwören: „Nein, nein, schauen Sie, wir spielen das noch einmal ein, was Sie da bei dieser Versammlung gesagt haben.“ Personen auf eine Position festlegen, kann man in einem Theater, es ist jedoch das Ende der Philosophie.In einer Talkshow geht es auch darum, aus den Gästen etwas herauszukitzeln. Sie hingegen sagen Sätze wie: „Wenn ich jetzt mal auf Ihrer Linie argumentiere …“Ziel eines philosophischen Gesprächs ist nicht das Rechthaben, sondern die Erkenntnis. Deshalb beginnt der Unterschied schon früher: Wozu will ich etwas aus dem Gast herauskitzeln? In vielen Talkshows sollen die steilen Thesen sichtbar gemacht werden, die möglichst viel Reibung erzeugen. Der Moderator macht wie ein Dompteur die Tiere wild, indem er provoziert und zuspitzt. Die Provokation hat in der Philosophie ebenfalls eine lange Tradition, aber sie spielt erstens immer aufs Argument, nicht auf die Person. Zweitens orientiert sie sich idealtypisch am sogenannten „charity principle“: Argumente, gegen die man argumentiert, sollten im bestmöglichen Sinn verstanden werden. Dem Gegenüber sollten also nicht im erstbesten Moment Irrationalität oder eine Lüge unterstellt werden, wenn eine schlüssige Interpretation ebenfalls möglich ist. Nur so kann ein philosophisches Gespräch gelingen. Ich sehe allerdings durchaus, dass der öffentlich ausgetragene Streit in Talkshows auch seine Wichtigkeit hat. Im Grunde genommen kann man sagen, es gehört zur Demokratie dazu, dass man die Kontroversen, die im Bundestag verhandelt werden, medial sichtbar macht. Mein Problem ist nur, dass sie den Skandal und damit hohe Klickzahlen oft um jeden Preis wollen. Ich finde tragisch, wenn andere Sendungen Talkshows darin zu imitieren beginnen.Placeholder infobox-1Mitunter ist der Moderator nicht mehr der Dompteur, sondern kämpft selbst mit. Kürzlich hagelte es Kritik, als Markus Lanz sich in die Klimaaktivistin Carla Rochel regelrecht zu verbeißen schien, bei der Frage, ob man sich nicht doch an die Erderwärmung anpassen kann.Wenn der Moderator selbst Partei wird und mit den Gästen zu streiten beginnt, ist das gefährlich, weil es für ein Ungleichgewicht sorgt. Die Gäste, die nicht auf der Seite des Moderators stehen, fühlen sich alleingelassen.Bei vielen Zuschauer*innen erzeugt das den Eindruck, Minderheitenmeinungen kämen nicht vor, was die im Fernsehen äußert präsenten Richard David Precht und Harald Welzer kürzlich in einem Buch anprangerten.Eingeladen werden sie ja durchaus. Allerdings castet man die Gäste mit möglichst hohem Streitpotenzial. Bei emotionalen Themen entstehen schnell Allianzen im Studio. Die Gäste hören einander selten zu, sondern wollen im Streit gewinnen. Von der philosophischen Haltung, sich hinterfragen zu lassen, bleibt nicht viel. In gewissen Talkshows werden keine Gespräche mehr geführt, sondern nur noch ein Streit inszeniert und möglichst skandalträchtig aufgeführt. Ich muss sagen, ich schaue da von der Schweiz aus leicht besorgt nach Deutschland. In dieser Weise streiten wir öffentlich nicht.Sie haben selbst oft Gäste aus Deutschland. Stellen Sie Mentalitätsunterschiede fest?Ich mag es nicht, von Mentalitäten zu sprechen, weil man dadurch unzulässig generalisiert. Aber wir Schweizerinnen und Schweizer sind schon eher auf Konkordanz gebürstet: Im Zweifelsfall die Extreme lieber eingemeinden statt ausschließen. Das beginnt ja schon in der Politik. Eine Frage wie: Lässt man eine bestimmte Partei mitregieren oder nicht?, die stellt sich in der Schweiz so nicht. Die Regierungen auf Ebene des Bundes wie auch in den Kantonen funktionieren meist nach dem Konkordanz- und Kollegialitätsprinzip, ihre Mitglieder müssen sich zusammenraufen. Wir haben nicht diese eine Partei, die den Kanzler oder die Kanzlerin stellt, und insofern sind wir es gewohnt, dass wir gemeinsam zurechtkommen müssen. Dafür braucht es grundsätzlich das Wohlwollen, einander bestmöglich zu verstehen, und ein hohes Maß an Kompromissbereitschaft. Dazu kommt, dass wir ein sehr kleines Land sind, und die Deutschschweiz nochmals kleiner. Die Chance, dass Sie in einer Talkshow auf jemanden eindreschen, der morgen der Lehrer Ihrer Nichte ist, ist nicht ganz klein. Höflichkeit lohnt sich nicht nur aus ethischen Gründen. Aus Sicht der Philosophie lässt sich zusätzlich einwenden: Wenn man einander nicht in die Enge treibt, sondern sich auch auf die Gegenposition einlässt, kann man, wie John Stuart Mill schon sagte, nur gewinnen: Entweder man liegt falsch und lernt dazu, oder man liegt richtig und kann seine Argumente weiter schärfen.Das setzt eine Uneitelkeit voraus, die in gewissem Widerspruch zum Medium Fernsehen steht.Ja, aber haben Sie schon mal ein gutes Gespräch gesehen unter eitlen Gesprächspartnern? Auch die Moderatorin darf sich nicht zu fein sein, sich auf unliebsame Positionen fair einzulassen. Das kann unangenehm sein. Ich hätte wahnsinnig Mühe, eine transphobe Position wohlwollend zu verstehen. Aber letzten Endes kann man von anderen Denkweisen fast immer etwas lernen – sei es auch nur, Fehlschlüsse zu durchschauen. Die Contenance verliere ich nur, wenn mich jemand als Person angreift. Das geschieht allerdings selten. Wann war das der Fall?Alice Schwarzer warf mir einmal im Gespräch an den Kopf: „Sie sind doch Philosophin!“ Sie sprach mir meine Kompetenz ab, weil ich mit Blick auf Sexarbeit und Kopftuch die gegnerischen Argumente eingebracht habe. Ich habe versucht, in ihr die Lust zu wecken, ihrer Gegenposition etwas abzugewinnen. Denn nur so gelingt Erkenntnisgewinn. Das wollte sie aber nicht.Harte Kontroversen werden oft als intellektuell anspruchsvoller wahrgenommen als eine freundliche Auseinandersetzung. Was würden Sie dem entgegenhalten?Freundlichkeit ist eine hohe Tugend und schmiert die Bruchstellen im Gespräch. Das ist aber kein Widerspruch zum messerscharfen Verstand, den ich nicht in der Garderobe ablege. Eher umgekehrt. Der Philosoph Jay Rosenberg schreibt, Aufgabe der Philosophie sei es, die Fragen, die uns bewegen, vom Herzen in den Verstand zu verlagern. Wir haben viele Intuitionen, Ängste, Abwehrreflexe. Und dann beginnt man sich mit kühlem Verstand der Sache zu nähern, die Argumente zu sezieren, und siehe da: Man beginnt sie neu zu sehen. Ohne messerscharfen Verstand kein gutes Gespräch! Aber zurück zur Freundlichkeit: Sie kennen sicher das Gedicht von Hilde Domin: „Nicht müde werden, sondern dem Wunder, leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten.“ Das ist die Haltung, mit der ich Gespräche führe. Man muss überlegen, wie kriege ich dieses Gespräch in die Hand? Es kommt nicht zu mir, wenn ich zaudere oder etwas erzwingen will. Es braucht Geduld und Vertrauen. Und Futter! Ich muss das Gespräch also nähren. Die Nahrung ist die gute Vorbereitung und ein Rahmen, in dem sich der Gast öffnen kann.Placeholder authorbio-1
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